Prolog

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Das Rascheln von Papier,eines Briefes, den Tante Rachel soeben von Mrs. Scott, der Angestellten des Postamtes des Dorfes Green Garden, in Empfang genommen hatte, war zu hören, während sie den Verschluss mit Neugierde und auch großer Erwartung öffnete. Der Umschlag des Briefes und auch der Ortsstempel auf der Briefmarke ließ erahnen, dass er einen längeren und beschwerten Weg hinter sich gelassen hatte. Der Zusteller des Briefes, den Tante Rachel nun in den Händen hielt, der sich mit dem Namen Mr. Toby Francis angab, war ihr äußerst unbekannt und in Gedanken fragte sie sich immer wieder, um wen es sich bei diesem fremden Mr. handle. Hastig überflog Tante Rachel die einzelnen Zeilen, welche sie in ihren Gedanken speicherte, jedoch noch einmal erhaschen musste, um den Sinn des Briefes nachzuvollziehen...

Washington,den 18.Juni.1868

Sehr geehrte Miss Rachel Dicksten,

hiermit habe ich die Verpflichtung, Ihnen leider mitteilen zu müssen,dass ihr leiblicher Bruder,Andrew Dicksten und seine angeheiratete Frau, Meg Dicksten, geborene Charles, an Chorella gestorben sind.

Zurück, lassen sie zwei Kinder, die, laut dem Original des Testaments ihres Bruders ihnen und den Nahestehenden der Familie Charles, zur Erziehung aufgeteilt werden. Wenn sie dieser Bitte jedoch aus eigenen Gründen nicht nachkommen, ist seine Bitte, die Kinder einer anderen Familie zukommen zu lassen, bei der sie nun in der Zeit bleiben, in der sie bis zum 18. Juni.1886 eine Entscheidung zu fällen haben. Außerdem wird der gesamte Hausstand aufgegeben und an die Familie und Nahestehenden verteilt, zu denen auch sie gehören.

Die Bitte ist,mich Toby Francis, Notar der Verstorbenen, bis zu dem genannten Datum zu kontaktieren und mich ihre Entscheidung wissen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen und herzlichem Beileid,

Toby Francis

Aufgewühlt und nicht sicher darüber, wie sie sich fühlen, noch verhalten sollte, zog sie ihren Weg weiter aus, in dem sie auf ihren Einspänner zu ging, dessen Pferd an einem Balken angebunden wurde. Kurzerhand löste sie die Schlaufe und zog den Halfter über das Pferd auf den Kutschbock. Um ihren Aufstieg zu erleichtern, trat sie auf das Rad und zog ihr Gewicht auf den Sitz, auf dem der Kutscher Platz nahm. Als sie ihren Korb auf den freien Sitz neben sich selbst verfrachtete, schnalzte sie kurz mit der Zunge und bemühte sich, den Wagen auf die staubige Straße zu führen, auf der im Sommer der Staub hoch in die Luft gewirbelt wurde, wenn Einspänner oder Reiter diese benutzten. Langsam aber sicher, lenkte Rachel das Gespann in die Kurve in der Abbiegung auf die rechte Seite, welche das Dorfinnere verließ.
Als sie wieder in Gedanken spielte, war sie nicht im Stande zu realisieren, dass es stimmte, dass ihr einziger Bruder nicht mehr lebte. Zu mal seine Frau ebenfalls tot War und sie ihre beiden Kinder hinterließen. Blasse, nur noch karge Erinnerungen kamen in ihr hoch, als sie versuchte, an den Tag zu denken, an dem sie sich von ihrem Bruder, seiner Frau und dem gemeinsamen Kind verabschiedet hatte. Noch lange hatte sie damals an ein Wiedersehen gedacht.
Allmählich kam sie nach kurzem Überlegen zu dem Entschluss, dass sie ein, ihr zugewiesenes Kind, natürlich aufnehmen und erziehen würde, so gut sie es können würde und aus allen Kräften. Als Tante wollte sie in diesem Punkt nicht nachstehen und beschloss, schon an diesem Sommerabend, einen Antwortbrief zu verfassen, den sie an den Notar adressieren würde. Eine schwere Läßt der Trauer umhüllte sie, wie ein schwarzer Mantel, der einen bedrückte. Wie ein dunkler, schwarz farbender Schatten, folgte der Schmerz ihr auf dem Weg. Könnte es wirklich der Wahrheit entsprechen, dass ihr geliebter Bruder tot War? Nun ja, dem Brief zur Folge musste es schon stimmen, doch Rachel konnte diese Tatsache nicht so leicht und schnell realisieren. Den letzten Tag, an dem sie sich von ihm verabschiedet hatte, an dem er ihr versprochen hatte, sie irgendwann zu besuchen, ließ sie Revue passieren und sah jedes einzelne Bild als ein kostbarer Schatz. Die letzten Erinnerungen an ihn und Meg.
Meg, schon immer eine gute Schulfreundin gewesen und nun auch schon tot?
Unbedingt brauchte Rachel Zeit, um diese überaus traurige Nachricht erst zu realisieren und zu verkraften. Sie brauchte Betty. Eine Freundin, die ebenso jungferlich geblieben War und somit oft mit den selben Problemen zu kämpfen hatte, wie Rachel. Dennoch waren sie auch ohne Mann durch den Alltag gekommen. Wenn auch mit Hilfe anderer Männer, die in Austausch von Geld die Felder im Frühling säten und im Herbst die Ernte einbrachten.
Der Staub wedelte auf, als Tante Rachel den Einspänner über die Straße führen ließ und langsam schneller in Richtung Orkenslope lenkte. Orkenslope. Das jenige Haus,welches damals noch von der ganzen Familie bewohnt wurde. Nun War es jedoch nur noch ihr einziges, gebliebenes Erbe, welches an das gemeinsame Familienleben erinnerte.
"An früher zu denken und dir zu wünschen, alles wäre wie damals,  hilft dir auch nicht weiter, Rachel", versuchte sie sich einzureden, was ihr jedoch nicht zu gelingen schien. Alles schien zu kompliziert und ungerecht. Warum ließ Gott so etwas zu? Warum? Diese Frage, auf die keiner eine Antwort wusste...

 LaurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt