Kapitel 31

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Am gleichen Abend setzten Tante und Nichte sich in das Wohnzimmer und machten es sich vor der Wärme des Kamins gemütlich. Mit einer wärmenden Tasse, gefüllt mit frisch aufgebrühtem Tee in den Händen, sahen beide inmitten einer gähnenden Stille, welche nur durch das Knistern des Feuers gestört wurde, in die Flammen, die sich durch das trockene Holz ihren Weg bahnten und im bildlichen Kampf als Sieger ausgingen. Beide genossen die Stille dieses Abends und hingen ihren jeweiligen Gedanken nach, bis Lauren aufstand, ihre Tasse auf den Beistelltisch sicher wusste und in ihr Zimmer eilte, um ihr sorgfältig eingepacktes Geschenk zu bringen. Sie bemerkte den Blick ihrer Tante auf ihrem Rücken. Als sie sich wieder setzte, überreichte sie das Päckchen ihrer Tante. "Das ist für dich!"  Während ihre Tante es Lauren gleichtat und ihre Tasse aus ihrem Griff ihrer Hände befreite und dann anfing das, in braunes Papier  eingewickelte Päckchen auszupacken, achtete Lauren auf jede Mimik in dem Gesicht ihrer Tante. Als ein weinrotes Set                   zum Vorschein kam, welches einen Schal, eine Mütze und ein Paar Handschuhe einbezog, begannen Tante Rachels Augen einen ungewöhnlichen Glanz anzunehmen, welchen sie zuwider versteckte. Dennoch nicht gut genug. Das Glänzen in ihren Augen War Lauren nicht entgangen. Sie nahm es mit einem Lächeln als Kompliment an.  Ein Lächeln entzog sich Tante Rachels Gesicht, während sie staunend ihr Geschenk betrachtete. Immer mehr Freude schien in ihrem Gesicht Einzug zu halten. "Oh Danke, Lauren! Wirklich... Wann hast du denn nur Zeit gefunden, dass zu stricken? Und dann noch in dieser Farbe... Ich hätte es wissen müssen, da ich ja noch im Spätsommer immer wieder gesagt hatte, ich bräuchte neue Handschuhe für den Winter", meinte Tante Rachel, während sie bei den letzten Worten sich schickte, Lauren in ihre Arme zu nehmen. "In den langen Winterabenden saß ich oft mit Mrs. Harrison am Kamin und während wir Zeit hatten, zu plaudern, gab es gleichzeitig viel Zeit für verschiedene Handarbeiten. Da hat sie mir auch dieses Muster beigebracht", bemerkte Lauren und deutete auf den Schal. "Das musst du mir unbedingt auch einmal zeigen. Wie hübsch es ist!", lachte Tante Rachel. "Oh, das hab' ich gerade noch fast vergessen! Du glaubst doch nicht, dass ich für dich kein Geschenk habe!", sagte sie dann, erhob sich aus dem Schaukelstuhl und legte das Set sachte auf ihren Sitzplatz, nachdem sie auf eine Kommode zusteuerte und eine Schachtel hervorbrachte. "Hier. Das ist mein Weihnachtsgeschenk für dich, meine Liebe!" Mit herzlichem Lächeln überreichte die Tante ihrer Nichte die Schachtel, um welche eine Schleife, aus feinster Spitze gewickelt worden War.  Langsam löste Lauren diese gespannt und zog den Deckel von der Schachtel ab. Anfangs sich nicht trauend, einen Blick hinein zu werfen, schloss sie ihre Augen, schalt dich jedoch im gleichen Moment für dieses Gehabe. Ein wunderschönes, rosèfarbendes Kleid kam zum Vorschein, mit Spitze am oberen Teil und den Ärmeln des Kleides besetzt. Feine Perlen waren an einigen Stellen angebracht. Alles feinste Handarbeit. Nach einem darauffolgendem Gürtel, fiel das Kleid in Wellen hinunter. Ein Prachtstück von Kleid. "Es ist wunderschön", hauchte Lauren voller Staunen in die Stille und schenkte Tante Rachel ein dankbares Lächeln. "Wo hast du das denn aufgetrieben?" "Nun, Betty hatte mir nach einem Stadtbesuch in Carmedy erzählt, dass sie dort ein Kleid gesehen habe, welches dir sicher gut stehen würde", erklärte ihre Tante in aller Bescheidenheit. "Ich finde, es passt zu deinem Haar ganz gut."

                              ***

Und das tat es auch, als Lauren es am nächsten Morgen für den Gottesdienst anprobierte. Wie es die Größe erlaubte, schmiegte sich das Kleid wie angegossen an ihren Körper. Ein zartes Lächeln umgab ihr Gesicht, als sie sich nun im Spiegel betrachtete. Tante Rachel hatte ihren Geschmack sogar übertroffen. Das bewies dieses Meisterwerk von Ausgehkleid. Die dazu passende Haarfrisur schmückte Laurens Erscheinung um so mehr. Nachdem Lauren mit einem Gebet ihren Tag begonnen hatte, stieg sie die vertraute Treppe von Orkenslope hinunter in die Küche, in der Tante Rachel gerade damit beschäftigt war, das Ofenfeuer im laufenden zu halten.
Mit flinken Händen deckte Lauren den Tisch und pustete sich eine Locke aus ihrem Gesicht, welche sich aus der Frisur gelöst hatte. Tante Rachel nahm die Kanne vom Herd, in der der frische Kaffee noch brodelte und goss beide Tassen mit der brühend braunen Flüssigkeit ein. Die Kanne stellte sie an den Rand des Tisches, damit der Kaffee Zeit bekam, sich abzukühlen. Derweil dankten Lauren und Tante Rachel für das Essen und begannen ihren Porridge zu löffeln. "Möchtest du heute wieder jemanden einladen? Ich meine, wir haben ja Weihnachten", fragte Lauren, während sie ihren Porridge mit ihrem Löffel wendete. "Ich denke, heute kommt der Frauenkreis. Also Betty, Mrs Blake und noch die anderen. Du weißt ja, wer im Frauenkreis ist."
Ein kurzes Nicken war die Antwort, was Tante Rachel veranlasste, weiter zu sprechen. "Nun, wir hatten vor, die alte Witwe Thomson zu besuchen. Mr.McGregory arbeitet ja für sie, weißt du? Und wie man sagt, soll sie seit einigen Tagen erkrankt sein. Wie weit die Erkältung ausgedehnt ist, weiß man noch nicht, der Arzt war bisher auch noch nicht bei ihr, um bei ihr ein Krankenbesuch abzuhalten. Aber du weißt ja, so eine leichte Erkältung kann sich leicht zu etwas Schlimmeren verwirklichen. Sie ist nicht mehr die Jüngste.", erkläre Tante Rachel mit leichter Besorgnis, die ihre leiser gewordene Stimme verriet. "Ich werde sie in meine Gebete aufnehmen", bot Lauren an und Tante Rachel nickte voller Dankbarkeit in ihrer Geste. "Das war es, was ich dich auch fragen wollte. Wenn mehr darum bitten, dann wird Gott nicht nur zuschauen, sondern helfen!" Ein zartes Lächeln vollzog Laurens Gesicht.
"Bist du fertig?", war Tante Rachels Frage, als sie ihren Löffel in ihre Schüssel klirren ließ und sich den Mund zaghaft an einem Tuch abwischte und es wieder faltete. Auch wenn sie ihren Porridge aufgegessen hatte und nur Einzelreste in der Schüssel geblieben waren, füllte sie sich ihre leere Tasse wieder mit dem etwas kaltgewordenen Kaffee. Etwas Milch dazu, und er konnte in aller Ruhe genossen werden. "Ja", antwortete Lauren und löffelte schnell den letzten Porridge ihrer Schüssel, der sich am Rand verloren hatte, auf, um Tante Rachel Glauben zu schenken, ihre Antwort stimme. Eine Weile, nachdem auch Lauren mit ihrer zweiten Tasse Kaffee fertig war, welche sie auch erneut aufgefüllt hatte, spülten beide das schmutzige Geschirr in einer grauen Waschschüssel und stellten es getrocknet, wieder an den richtigen Platz. Noch einmal stieg Lauren die Treppe hinauf in ihr Zimmer, in dem es etwas kalt geworden war, und benutzte ihren Duft, der aus einem ihrer Flakons heraus gesprüht wurde. Ein Teil des Zimmers nahm, wie auch Lauren, den Duft an und Lauren atmete ihn sachte in ihre Nase ein und atmete wieder aus.
Anders als am Vortag, benutzten Tante Rachel und auch Lauren den Einspänner, an welchem die Räder mit eine Art Schlitten ausgetauscht worden waren, welcher sich den Weg in dem, an einigen Stellen unregelmäßigen Boden, frei bahnte und für sich in Anspruch nahm. Durch dem frischen Schneefall in der Nacht und auch den tiefer gesunkenen Temperaturen im Freien, nahmen beide auf dem Kutschbock Platz, anstatt sich den Weg zu Fuß zur Kirche zu bahnen, was auch an ihrer Verspätung lag, die nun aufzuholen war. Tante Rachel gab ein Zeichen und das, vor dem Schlitten gespannte Pferd, setzte sich in Bewegung und fand nach den ersten Schritten ein angenehmes,
passendes Tempo. Wie auch schon am Vortag, verkündete, die schon von weitem zu hörende Kirchenglocke, dass der Weihnachtsgottesdienst bald seinen Anfang nehmen würde. Schon von weitem, waren schon einige andere Schlittengespanne vor dem Gebäude zu sehen und Tante Rachel verlangsamte mit ihren Händen schon jetzt das Tempo, worauf das Pferd von einem Trab, bis zu einem Schritttempo gelangte und letztendlich vor Mr. Blare hielt, welcher die Zügel übernahm und den beiden Damen aus dem Schlitten, auf festen Boden verhalf. Um den Schlitten würde er sich kümmern, bot er an und Tante Rachel nahm mit einem dankenden Nicken von ihm Abschied. Langsam folgte Lauren ihrer Tante, welche ihren Weg auf die Treppe zusteuerte, bis Lauren auch schon dumpfe Schritte vernahm, die nun auch unter ihren Füßen entstanden. An der Eingangstür, begrüßte der Revorend sie mit einem Händeschütteln, welches Lauren wieder an Miss Valleys Anspielung am vorigen Tag, auf den Handkuss eines echten Gentleman gegenüber einer Frau, erinnerte und ein Schmunzeln auf ihr Gesicht brachte, welches sie auch ohne diesen Gedanken gemacht hätte, mit der Begründung, dass der Revorend vor ihr stand.
In dem großen Raum, waren schon die meisten Plätze besetzt und die beiden gingen auf eine der hinteren Reihen zu, welche man auch zu der Mitte des Raumes zählen könnte. Einige Gesichter, welche sich zu ihnen umgedreht hatten, erkannte Lauren und begrüßte diese mit einem Lächeln. Was sie nicht bemerkte war, dass Tante Rachel in die Reihe schritt, in welcher auch Daniel einen Platz gefunden hatte, und sie ihr folgte. Erst als sie Platz nahm, bemerkte Lauren seinen Blick auf sich, welcher ihr Kleid und auch ihr Gesicht begutachtete und dann, als er merkte, dass sie ihn zur Begrüßung zaghaft anlächelte, seinen Blick, mit einem erwiderten Lächeln auf seinen Lippen, welches erneut seine Grübchen zum Vorschein brachte, von ihr abwandte.
Der Ablauf des Weihnachtsgottesdienstes verlief bis auf einen weiteren kleinen Zwischenfall von Mark, ungestört. Die Menschenmenge lauschte dem Revorend und seiner Predigt, und verhing sich an seinen Worten. Seine Worte waren einfach gewählt, jedoch von jedem verstanden, was seinen Zweck diente.

***

"Jeder Mensch ist ein Sünder, doch gerade deshalb hat Gott seinen Sohn auf diese Welt geschickt, die so garnicht zu seinem heiligen Haupt passt. Aber Gott wollte, dass wir nicht verloren gehen! Sein Sohn wurde für unsere Schuld gekreuzigt und hat unsere Sünden, unser schmutziges Herz auf sich genommen. Jederzeit hält er seine Tür offen, wir müssen nur bereit sein, und ihn in unser Herz lassen! Komm zu Jesus und du wirst errrettet werden!"
Die Worte des Pfarrers, der extra für das Weihnachtsfest nach Victoria angereist war, um vor einer großen Menschenmenge, seine einfachen, aber eindeutigen Worte zu verkünden, hallten immer noch in seinem Kopf und nahmen alle seine Gedanken in Anspruch. Noch nie, waren die Worte eines Predigers ihm so zu Herzen gekommen und hatten sich in sein Herz fest geankert. Mr. Dicksten, beschäftigte sich damit, sich in einem Kessel einen Kaffee zu kochen, während seine Gedanken all seine Konzentration in Anspruch nahmen, und er darauf achten musste, dass die dunkel braune, fast schwarze Flüssigkeit nicht überkochte. Die Plätzchen, die er von einer freundlichen, etwas gealterten Frau nach der Kirchenmesse in die Hand gedrückt bekommen hatte, mit dem Wunsch ein schönes Fest zu haben und sich den Sinn durch den Kopf gehen zu lassen, stellte er neben der kleinen Untertasse auf dem braunen Küchentisch, welcher an die Wand angelehnt, stand. Dass sie einen kleinen Sprung am Rand hatte, störte in nur wenig. Sich den Sinn durch den Kopf gehen lassen... Das war ihr Wunsch gewesen. Und ob er wollte oder nicht, seine Gedankengänge konnte er nicht anhalten oder gar aus seinem Kopf verbannen. Erneut nahm er einen Bericht aus seinem Zeitungsständer hervor, den er schon öfter in der Zwischenzeit gelesen, und sich damit beschäftigt hatte. "Was bedeutet wahre Weihnachten?" Noch nie hatte er sich diese Frage so offensichtlich in der Weihnachtszeit gestellt, wie zu diesem Jahr, in dem er eine Person kennen gelernt hatte, die ihm eine Antwort auf seine langfristig gestellte Frage geben könnte. Lauren Dicksten.

 LaurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt