Kapitel 29

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Er, mit dem sie außer ihrem Arbeitsplatz, nicht in Verbindung gebracht werden wollte, machte sich auf den Weg, den Kirchengang am  Heiligabend anzutreten. Schon von weitem waren die Glocken zu hören, die die baldige Messe ankündigten. Je näher er dem großen, prächtig aussehendem Gebäude mit dem Glockenturm, in dem die Glocken ihren Schall verbreiteten, näher kam, desto mehr Menschen sah er, die  gleiche Richtung wie er anzusteuern. Eine kleine Welle von Furcht aber auch gebrochenem Stolz umgab ihn wie eine Husse. Was sollten die Menschen von ihm denken, so mal es bekannt War,  dass er nie an einen mächtigen, gütigen Gott geglaubt hatte? Wie sollte er denn auch? Sein Leben War nicht von Schönheiten oder gar Reichtum geprägt. Vieles was er besessen hatte, War ihm weg genommen worden. Nein, für ihn konnte es keinen Gott geben, der so eine Beschreibung hatte. Doch wie konnte Miss Dicksten so etwas behaupten? Ihr Leben War wahrscheinlich nicht zu vergleichen, mit einem einer Prinzessin.
Sobald er sich versah, hatten ihm seine Füße schon auf die Treppe getragen und er setzte einen Fuß vor den anderen und hatte den festen Boden der Kirche unter sich. Von dem Inneren des Raumes Waren gedämpfte Melodien zu hören, die eine wohlige Weihnachtsstimmung verbreiteten. Er trat in den Gemeindesaal und nahm auf einem freien Sitz Platz.

                               ***

Viele Meilen weit entfernt, saß Lauren vor dem Spiegel ihres Frisiertisches und War damit beschäftigt, ihre Haare zu Locken zu wickeln, um sie dann hochzustecken. Das cremefarbene Kleid, aus Vancouver, welches sie sich für diesen Tag gekauft hatte, saß wie angegossen. Noch immer bewunderte sie dieses Kunststück von Arbeit. Ein prüfender Blick in den Spiegel beendete ihre Arbeit und Lauren nahm sich ihre hervorgelegte Kette in die Hände und hielt sie vor ihre Augen. Sie legte sie an sich und prüfte noch einmal ihr ganzes Erscheinen. Erst jetzt konnte sie aus ihrem Zimmer treten und im unteren Bereich des Farmhauses ihrer Tante einen guten Morgen wünschen. Eine wohlige Wärme umhüllte sie, die von dem Kamin im Wohnbereich und dem Ofen in der Küche entstammte. "Guten Morgen!" Tante Rachel konnte nur Staunen über den Aufzug, den Lauren mit diesem Kleid machte. "Und fröhliche Weihnachten! ", sagte sie schnell und beide lagen sich in den Armen. "Dir auch, Tante Rachel", entgegnete Lauren. "Weihnachten... In Vancouver habe ich mir diesen Tag nur erträumen können. Es schien noch so weit entfernt zu sein und jetzt...", sagte Lauren laut auch wenn sie im Inneren nur daran dachte. "Und jetzt ist es soweit", lachte Tante Rachel.
Lang dauerte es nicht, bis der Tisch abgeräumt War, nachdem beide gegessen hatten und sie sich auch schon ihre Mäntel überzogen, um die Kirche zu besuchen. "Hast du eigentlich schon überlegt, wen wir zum Essen einladen?", fragte Lauren ihre Tante, während sie sich ihren Mantel überstreifte und die einzelnen Knöpfe verschloss. "Ich dachte vielleicht an die neue Lehrerin und wie jedes Jahr kommt auch Betty", antwortete sie und Lauren's Augen wurden größer. "Die neue Lehrerin?", fragte sie, etwas aus der Fassung. "Ja, ich dachte es wäre eine nette Geste. Jedenfalls scheint sie sehr nett zu sein" "Nun ja, wie man sie sieht. " antwortete Lauren knapp. "Im Schulhaus wirkte sie zu uns aber eher etwas erhoben. Aber vielleicht kann sie auch anders sein. Lade sie wegen mir ruhig ein", meinte Lauren dann, als Tante Rachel kurz etwas entgegnen wollte, während Lauren sprach. Und so War es beschlossene Sache. Miss Valley würde den heiligen Abend auf Orkenslope verbringen.

                            ***

Lauren und ihre Tante Rachel traten aus dem Vorgarten und schlossen das kleine Törchen hinter sich zu. Auf der Straße, nickten sie einigen vorbei Reitenden oder Familien, die Einspänner besetzten, die wie sie auf dem Weg zur Kirchenmesse waren, zu und verbrachten den weiteren, von Kutschen, Pferden und Fußgängern abgestampften Weg mit einem Gespräch über Laurens Zeit in Vancouver. Die nötige Zeit, die ihnen dazu in den letzten Tagen gefehlt hatte, nahmen sie nun in Anspruch. Schon von weitem, als die Kirche von Augenmaß, so groß wie der Daumen zu sein schien, hörte man die Glocke, die alle zu der Messe einlud. Leise, gedämpfte Melodien von "Stille Nacht, heilige Nacht" waren immer lauter zu hören, je näher sie dem Gebäude entgegen gingen. Am Eingang grüßten sie freundlich Mr. Blake, der am Zug der Glocke zog und wünschten, wie er auch ihnen, frohe Weihnachten. In den vier Wänden herrschte etwas stickige Luft, die von den vielen Besuchern entstammte und sich mit der Wärme vermengte. Kerzen, die für diesen Tag gezogen         wurden, schmückten den  Raum und verliehen ihm ein weihnachtliches Bild, welches in einem Bilderbuch nicht schöner gezeichnet werden konnte. Der Weihnachtsbaum erstrahlte und zog alle Blicke der Kinder auf sich und zauberte ihnen ein Lächeln auf ihr rotwangiges Gesicht, welches von der Kälte und sogleich der Wärme dieses Raumes entsprang. Nur nach einem Umsehen später, hatte Lauren garnicht gemerkt wie sie von alleine neben Tante Rachel auf einer freien Bank Platz genommen hatte. Einige Blicke hafteten auf ihr, welche ihr nicht unbemerkt blieben. Zum einen, lag es an ihrem langen Fort in Victoria und zum anderen ihr zauberhaftes Kleid. Einige Burschen, aus ihrer alten Schulzeit, die nun als junge Männern galten, sahen sie mit einem anerkennenden Gesichtsausdruck an, welchen Lauren jedoch einfach  unbemerkbar ließ.
Ob sie auch auf ein Wiedersehen mit keinem jungen Mann, sondern einzig und allein Mark Donnel hoffen konnte? Dieser kleine, freche Schuljunge, der für seine zwölf Jahre schon einige Streiche auf dem Buckel hatte, ließ Lauren schmunzeln. Als sie sich umschaute, machte Lauren ihn in der zweiten Bank erkennbar. Als er sich umdrehte, um die Lichter zu bewundern, gab es einen kurzen Moment, sein Gesicht zu studieren. Etwas hatte sich geändert. Er sah erwachsener aus und auch so, als könnte man ihm seine Streiche nicht mehr hinzuordnen. Jedoch könnte er sich nicht in so kurzer Zeit geändert haben. Nicht Mark Donnel...
Wenn Lauren nur an die Himbeertorte mit Schlagsahne dachte... Jedenfalls wurde diese Überlegung bewiesen, als er Melissa Sue, die eine Reihe vor ihm saß, während dem Aufstehen für ein Gebet, die Zöpfbänder von ihren zwei lustigen, zwei blonden Zöpfen abstreifte und die Zöpfe anfingen sich zu lösen. Das kleine Mädchen suchte sofort die Hilfe ihrer Mutter, einige Reihen hinter Lauren, und setzte sich auf ihren Schoß, als sie sie in einer hinteren Reihe vorfand. Unbemerkt schaute Lauren über ihre Schulter hinweg auf diese Situation und geriet in einen Blickkontakt zwischen sich und Daniel, welcher sie anlächelte, als wenn er schon gehofft hätte, sie würde nach hinten schauen. Etwas befangen wich Lauren seinem Gesicht, auf dem sich kleine Grübchen bemerkbar gemacht hatten und schaute wieder auf zur Kanzel. In Mark Donnel's Gesicht konnte Lauren nur ein bübisches Lächeln erkennen, als er nach dem kleinen Mädchen Ausschau hielt.
Der weitere Weihnachtsgottesdienst wurde weiterhin bis zum Ende ohne Störung weitergeführt und die Kirchenbesucher und Gemeindemitglieder wichen ihren Plätzen auf der Bank und suchten den Ausgang auf. An der Türschwelle schüttelte der Pfarrer jedem die Hand und er hieß Lauren entgültig wieder willkommen. Lauren's Lächeln zeigte ihm ernstgenommene Freude und auch Erleichterung endlich wieder Zuhause zu sein, auch wenn sie darüber nichts verlauten ließ. Vor dem Gebäude bildeten sich kleine Gruppen, die sich in verschiedene Gespräche verwickelten. Lauren stand bei ihren Freundinnen und plauderte glücklich, während Tante Rachel Gäste zu ihnen einlud, unter denen nun Miss Valley gehörte und Betty. Liebend gern würde Lauren auch Kate einladen,  diese verbrachte jedoch den heiligen Abend mit ihrer Familie und könnte erst morgen kommen. Also versammelte sich ihre Familie und fuhr mit vielen Gespannen zu dem Farmhaus, der Blakes. Kurze Zeit später löste sich der Kreis von Freundinnen auf und Lauren stand anfangs allein da, wollte zu ihrer Tante gehen, sah sie anfangs nicht und hielt kurz Ausschau, bis sie bemerkte, dass sie nicht mehr alleine stehen würde. Daniel kam mit einem Lächeln auf sie zu, sogleich er auch etwas unentspannt wirkte. "Hallo Lauren! " "Hallo Daniel", sagte sie daraufhin etwas leiser. Ein kleines Lächeln umspielte ihr Gesicht, welches er sofort bemerkte und feststellte, dass es ihr gut stand. "Der Gottesdienst War schön ", bemerkte er und Lauren nickte. "Abgesehen von dem Zwischenfall", lachte sie daraufhin und ihre und auch seine Spannung löste sich langsam. "Kann ich dich begleiten? Oder gehst du mit deiner Tante?", fragte er. Auch die letzte Spannung aus seinem Gesicht entfloh. Das War wohl die Frage, die ihm nicht so leicht gefallen War,  zu fragen. Lauren schaute um sich. Ihre Tante würde sicherlich mit Miss Valley und Betty nach Hause gehen. Also willigte sie gerne ein. Alleine würde der Weg den Zauber verlieren, der ihm inne wohnte. Er lächelte zum Dank. Ihm einen Korb geben, konnte man einfach nicht.
Um sicher zu gehen, dass keiner von den Tratschtanten des Ortes neue und äußerst falsche Gerüchte in die Welt setzen könnte, bot er Lauren seinen Arm erst nach einer Biegung. Dankend nahm sie an. Eine Stille breitete sich aus, etwas was Lauren unwohl fühlen ließ.
"Du erzähltest, du würdest in Victoria arbeiten?", fragte er.
Lauren War dankbar für den Gesprächsstoff, den er gut gewählt und ihre Unsicherheit tauen ließ.
"Da hast du Recht. Eigentlich begann alles mit einem Stipendium, das ich gewonnen hatte."  Er nickte anerkennend, was sie leicht erröten ließ, auch wenn es mit keinem Kompliment zu vergleichen War.
"Da mir noch das restliche Geld fehlte, musste ich eine Alternative suchen, denn auf das Geld meiner Tante wollte ich nicht zurückgreifen."
Er nickte wieder nur verstehend. "Nun, und jetzt arbeite ich in Victoria als Zeitungsredakteurin. Nächstes Jahr würde ich dann gerne, wenn alles funktioniert, das Stipendium antreten und auf die Queens University gehen. Vielleicht klappt es auch dieses Jahr, aber darüber habe ich noch mit niemandem geredet." Lauren hatte Angst, dass sie ihn nun mit einem Wasserfall von Worten überwältigt hatte, doch er sagte nur: "Dann bin ich der erste, dem du das erzählt hast?" Er lächelte.
"Nun im gewissen Maßen schon", antwortete sie mit leichtem Zögern.
"Jedenfalls habe ich es Kate gesagt, aber nicht mit ihr darüber geredet. Die  Zeit dafür, hatte uns einfach nicht ausgereicht.", musste sie zugeben. Sein Lächeln verschwand noch immer nicht und er begutachtete sie von der Seite.
"Und nun zu dir...", begann Lauren den Würfel zu ihm zu schieben und fragte weiter, bevor er sagen könnte, dass es von ihm nicht viel zu erzählen gab: "Wie hast du Green Garden gefunden oder bist darauf gekommen?" "Nun, meine Familie lebt in Spencer's Hill und da es in dem  Dorf keine Arbeit gab, hab' ich mich einfach auf den Weg gemacht, um jemanden zu suchen, der vielleicht bei der Landwirtschaft oder bei Vieharbeit eine freie Hand gebrauchen könnte. Da bin ich hier angekommen und habe einfach einmal im Gemischtwarenhandel nachgefragt. Ich glaube Betty heißt sie, hat mir dann einen Weg zu einer Witwe Thomson beschrieben, die sie mir empfahl, da sie schon einmal eine Hilfe auf dem Hof hatte und auch ein kleines Häuschen neben ihrem Farmhaus steht, in dem ich jetzt lebe.", erklärte er mit einfachen, doch verständlichen Worten.
Mittlerweile konnte man schon das Farmhaus von Lauren ihrer Tante erkennen. Kurz vor dem Haus machten sie einen kleinen Stopp, um nicht abrupt während ihrer Unterhaltung zu stoppen.
"Hier wohne ich", erklärte Lauren dann kurz, er ließ einen Blick auf das Haus beruhen und machte ein Kompliment für die gute Lage des Hauses. Daniel merkte sofort, dass Lauren langsam anfing zu frösteln und bot an, das Gespräch ein anderes mal weiter zu führen. "Danke, für die Begleitung", sagte Lauren schlicht, aber ihr Lächeln verriet ihm, dass es sie gefreut hatte. "Gerne." Er lächelte zurück. "Das Kleid steht dir gut! ", fügte er dann hinzu, als er sich schon umgewandt hatte und Lauren ihm nicht mehr danken konnte. Völlig verzaubert und mit leicht angeröteten Wangen schloss sie das Gartentor hinter sich zu und betrat dann das Haus. Hinter sich, ließ sie Spuren in dem frischen Schnee.

 LaurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt