Als wir schließlich im Wohnzimmer sitzen und schweigend in unsere Teetassen schauen, versuche ich krampfhaft, ein Gesprächsthema zu finden. „Wohnen Sie denn hier alleine oder haben Sie einen Mann?", frage ich aus Neugierde heraus. Ich verstehe auch nicht so ganz, wieso mich ihr Haus oder generell ihr Privatleben interessiert, schließlich sind Lehrer doch einfach Lehrer, nicht mehr, und nicht weniger. Sie scheint kurz zu überlegen, was sie mir Antworten soll, und schon bekomme ich Angst, dass ich zu persönlich geworden bin. „Ich wohne hier mit meiner festen Freundin, die jedoch gerade mit unserem Hund spazieren ist.", erklärt sie mir lächelnd. Feste Freundin...? Warte. Ist sie etwa lesbisch? Anscheinend kann man mir meine Verwirrung ansehen, und bevor ich noch den Mund öffnen kann, um etwas zu sagen, fährt sie fort: „Ja, wir sind ein homosexuelles Paar. Ich würde dich jedoch bitten, es in der Schule nicht breitzutreten, da es heutzutage noch immer einige homophobe Personen gibt. Ich hoffe wirklich, du bist nicht eine davon, denn du schienst mir, in den wenigen Gesprächen, die ich mit dir geführt hab, doch sehr sympathisch.". Diese Aussage überrascht mich jetzt wirklich. Ich und jemanden sympathisch wirken? Das verwundert mich viel mehr, als dass ich jetzt jemanden kenne, der lesbisch ist. „Nein, nein, ich habe überhaupt kein Problem damit, mich hat es nur einfach überrascht, weil ich niemanden kenne, der homosexuell ist, und ich das auch bei Ihnen nicht erwartet hätte...". Sie lächelt mich an, und in mir wird es ganz warm. Sie ist privat ziemlich anders als in der Schule, viel lockerer. Frau Mandl fragt mich, ob ich denn einen Freund habe. Ich schüttle nur den Kopf. „Ist auch nicht schlimm, der Richtige wird noch kommen", grinst sie mir aufmunternd zu. Ja, hoffentlich. Vielleicht ist es ja Tom. Gerade, als ich zur Antwort ansetzen will, klingelt es an der Tür. Das muss wohl meine Mutter sein. Schnell verabschiede und bedanke ich mich bei Frau Mandl.
Abends im Bett kreisen meine Gedanken wie ein Karussell. Heute ist ganz schön viel passiert, zuerst meine Verabredung mit Tom, bei der er mich mit seinem Charme so verzaubert hat, dass ich ganz vergessen habe, aus dem Bus auszusteigen und dann noch das Gespräch mit Frau Mandl. Ich verstehe noch immer nicht wirklich, was mir an ihr so gefällt, dass sie so anziehend auf mich wirkt. Auch verstehe ich die Art, wie sie anziehend auf mich wirkt nicht. Ich bin schließlich nicht lesbisch und vor allem, kenne ich sie nicht und sie ist meine Lehrerin. Igitt. Außerdem hatte ich ja heute ziemlich viel Spaß mit Tom. Zum Glück schlafe ich bald ein.
Am nächsten Tag erzähle ich Tom nichts von meinem kleinen Missgeschick, denn ich möchte nicht zu aufdringlich wirken. Als Frau Mandl das Klassenzimmer betritt, lächelt sie mir kurz zu, und ich lächle schüchtern zurück. In mir wird es wieder ganz warm und ich fühle mich wohl. Was ist das denn bitte? Ich komme aber nicht weiter dazu, über dieses komische Gefühl nachzudenken, denn sie beginnt gleich mit dem Unterricht.
Die Wochen ziehen an mir vorbei, und es geschehen keine besonderen Vorfälle mehr. Mit Tom verstehe ich mich nach wie vor sehr gut, doch irgendwie passiert sonst nicht viel zwischen uns. Frau Mandl lächelt mich immer an, wenn sie in das Klassenzimmer kommt, und immer nur mich, da bin ich mir sicher. Das verwirrt mich. Ich mein, ich hab gerade mal eine halbe Stunde mit ihr verbracht, doch offensichtlich fand sie mich auch da sympathisch, sonst würde sie mich nicht anlächeln, oder?
An einem Freitag im Spätherbst, es ist schon ziemlich kalt draußen, lädt mich Tom wieder zu sich nach Hause ein. Nachdem wir schon viel miteinander geredet haben und ich auch bei ihm „aufgetaut" bin, stimme ich natürlich zu, jedoch bedenke ich nicht, dass seine Eltern auch zuhause sein könnten. Als wir nach der Schule mit dem Bus zu ihm fahren und er die Tür aufschließt, höre ich Stimmen aus der Küche. Natürlich, seine Eltern! Wie konnte ich das nur vergessen? Ich werde richtig unruhig und sehe Tom schüchtern an, doch er legt mir ermutigend seine Hand auf meinen Rücken, was sich übrigens ziemlich toll anfühlt, und führt mich in den Raum. Sofort halten sein Vater und seine Mutter in ihrem Gespräch inne, und wenden sich uns zu. „Hallo Marie! Wir haben schon so viel von dir gehört!", begrüßt mich seine Mutter, und schüttelt mir die Hand. Auch sein Vater kommt auf mich zu und meint: „Wir freuen uns sehr, endlich Toms Freundin kennenlernen zu dürfen". Warte. Toms Freundin? Hat Tom das so erzählt, oder haben sich seine Eltern etwas zusammenfantasiert? Ich spüre, wie sich meine Wangen röten. Schließlich bringe ich ein „Ich freue mich auch sehr, Sie kennenzulernen." heraus und Tom führt mich nach oben in sein Zimmer. Oben angelangt, drehe ich mich zu ihm und frage ihn: „Deine Freundin also?" und er grinst verlegen „Naja, ich habe versucht, meinen Eltern diese Idee auszureden, aber sie wollten es mir nicht abkaufen. Und so schlecht finde ich diese Idee eigentlich auch nicht...". Er macht einen Schritt auf mich zu und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Ich stehe wie eingefroren da und weiß nicht, wie ich reagieren soll. Bin ich in Tom verliebt? Ich weiß es nicht. Nach wie vor finde ich ihn ziemlich gut aussehend und witzig, allerdings war ich auch noch nie verliebt, und kann nicht einschätzen, wie sich das anfühlen soll. Während ich mit diesen Gedanken beschäftigt bin, beugt Tom sich runter, und küsst mich. Was soll ich denn jetzt machen? Mitmachen? Vermutlich die beste Idee beim Küssen. Sanft schlinge ich meine Arme um seinen Körper, und ziehe ihn näher an mich heran, jedoch eher aus Instinkt, als mit Absicht. Er riecht verdammt gut nach Junge, und küssen kann er auch nicht übel, soweit ich es beurteilen kann, schließlich ist dies mein erster Kuss. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösen wir uns leicht atemlos wieder voneinander. Meine Wangen glühen. Er grinst. Ich fühle mich wie elektrisiert.
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Im Chaos der Gefühle
RomanceMarie ist in der 11. Klasse und wechselt an eine Schule, an der sie noch niemanden kennt. Bald schon ist sie hin- und hergerissen zwischen ihrem gut aussehenden Mitschüler Tom und der Anziehung zu ihrer Lehrerin, die sie selbst nicht ganz verstehen...