War wirklich immer ich schuld? Warum waren meine Eltern sich da so sicher? Ich saß in meinem Zimmer auf der Fensterbank und starrte hinaus. Es hatte mal wieder zu regnen begonnen, obwohl fast Dezember war. Eigentlich hätte es schon längst schneien müssen, aber der Schnee ließ sich anscheinend Zeit. Ich zuckte zusammen. Ich hatte an diesem Morgen ein heftiges Wortgefecht mit meinen Eltern. Sie waren der Meinung, dass ich zu allem zu träge wäre, nur faul herumsitzen würde, gefesselt an Handy und Laptop. Das waren ihre üblichen Worte, wenn wir stritten. Ich hatte es so satt. Wenn ich dann zu kontern versuchte, unterbrachen sie mich ständig und beschuldigten mich weiter. Manchmal dachte ich, dass meine Eltern sich Dinge ausdachten, die sie mir dann an den Kopf werfen konnten. Und genau das machte mich traurig. Und ich fühlte mich allein. Langsam stand ich auf und ging zur Tür. "Was Oli gerade wohl macht.", dachte ich. Vielleicht ist er mit Jordan und den anderen unterwegs. Langsam öffnete ich die Tür von meinen Zimmer und ging leise die Treppe hinunter, in der Hoffnung, dass meine Eltern mich nicht hören würden und mir somit weiteres Geschrei erspart bleiben würde. Aber wie immer war es nicht so. Grade setzte ich den Fuß auf die letzte Treppenstufe, da sprang meine Mutter auch schon vom Sofa auf. "Na Fräulein, wo willst Du hin?" fragte sie und schaute mich eindringlich an. "Geht Dich nichts an Mama.", gab ich zurück und begann, meine Schuhe anzuziehen. Plötzlich packte sie mich am Arm und ich wusste nicht warum, aber ich begann, sie anzuschreien. Ich schrie ihr all das, was mich störte, ins Gesicht. Aber es währte nicht lange, denn sie ließ mich los, stieß mich zur Tür hinaus und brüllte etwas wie: "Verpiss Dich und denk über Dein scheiß Verhalten nach!", hinter mir her. Ich schnürte schnell meine Schnürsenkel zu, zog meinen Mantel an, steckte mir Kopfhörer in die Ohren und ging mit schnellen Schritten davon. Ich vermied es, zu rennen, da der Boden ein wenig gefroren war und ich nicht wieder ausrutschen wollte wie vor ein paar Monaten. Plötzlich schoss mir Oli wieder in den Kopf. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und wählte seine Nummer. Er ging sofort ran. Und ohne es zu wollen, begann ich zu weinen und berichtete ihm stotternd und unsicher von den zugetragenen Ereignissen. Zwischendurch gab er immer wieder ein "Hmm", oder "Oh man" von sich. "Willst Du zu mir?", fragte Oli ganz unerwartet und schoss danach ein "Ich hole Dich von der Einfahrt ab, wir gehen zu mir oder raus und reden, okay?". Wieder diese Sanftheit in seiner Stimme, in der diesmal aber auch ein wenig Angst mitschwang. "Ja, danke. Ich wüsste nicht, was ich ohne Dich machen würde.", meinte ich und Oli gab ein "Nicht der Rede wert" zurück. "Bis gleich. Ich beeil mich, ja? Ich liebe Dich." Er legte auf und ich ging zur Einfahrt und wartete. Es schneite ein wenig und während ich dort stand und auf Oli wartete, dachte ich darüber nach, wie froh ich war, ihn zu haben. Es war sicherlich nicht immer leicht mit mir (zumindest behaupten das meine Eltern), aber er schien ganz gut damit klarzukommen. Langsam fror ich und versuchte, das Zittern zu unterdrücken, aber dann rollte eine weitere Träne über meine Wange und ich wischte sie schnell fort. Ich beugte mich um die Ecke, um zu sehen, ob Oli schon in Sichtweite war. War er nicht. Als ich mich jedoch umdrehte, sah ich ihn, uns ohne es zu wollen, brach ich in Tränen aus und fiel ihm in die Arme. Oli strich mir über den Kopf und Rücken, murmelte beschwichtigende Worte, aber ich heulte nur noch mehr. "Lass Dich ruhig fallen, ja?", sagte er und ich atmete den vertrauten Geruch seines Mantels ein. "Tut mir leid..."? schluchzte ich, aber Oli umarmte mich noch fester und sagte, dafür müsse ich mich nicht entschuldigen, es ist okay. Wir standen noch länger so da, dann hörte ich auf zu weinen und er ließ mich langsam wieder los. Oli nahm meine Hand, und wir gingen langsam von der Einfahrt weg. Es war rutschig, sodass ich mich an ihm festhalten musste, um nicht umzuknicken. "Und Deine Mutter hat Dich einfach aus dem Haus gestoßen?", fragte Oli mich und ich nickte. "Und sie hat mir wüste Beleidigungen an den Kopf geworfen, das tat ziemlich weh...". Ich begann wieder ungewollt zu zittern und er legte mir den Arm um die Taille. "Glaube ich Dir. Aber ich finde, dass Deine Eltern nicht so ausflippen sollten, nur weil Du etwas mehr als normal am Handy sitzt und Dich vielleicht nicht immer um alle wichtigen Sachen kümmerst." Er hatte Recht. Es folgte eine kleine Pause und Oli schaute mich fragend an, so als würde er auf eine Antwort von mir warten. "Ja, hast Recht. Vielleicht rufe ich meine Mom nachher mal an und wir versuchen, dass zu klären." Oli stimmte zu und lächelte mich an. "Ich finde es gut, dass Du das mit ihnen klären willst. Denn eigentlich ist es immer blöd, nach einem Streit aus dem Haus zu flüchten. Aber in dem Moment konnte ich das verstehen. Aber jetzt bist Du erst einmal hier, und wir versuchen, Dich ein bisschen aufzuheitern. Einverstanden?" Mir huschte ein kleines Grinsen übers Gesicht und Oli schaute zufrieden den rauschenden Bäumen zu. Unter unseren Schuhen hörte man bei jedem Schritt das Eis knirschen, ich liebte dieses Geräusch. "Ist es noch weit?", fragte ich Oli und er schüttelte den Kopf. Wir bogen in eine kleine Seitenstraße ein, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich wohnte hier seit 17 Jahren, eigentlich müsste ich jede Ecke unseres Wohngebietes kennen. "Die Gegend hier kenne ich gar nicht.", sagte ich und schaute auf den Boden. "Wirklich nicht? Ich dachte, Du wohnst hier schon so lange?". "Ja, schon. Aber die Straße hier hab ich trotzdem noch nie gesehen.", meinte ich und sah Oli an. "Dann siehst Du sie jetzt. Es ist nicht mehr weit. Gleich dort bei der braunen Haustür. Meine Eltern sind nicht zuhause." Wir gingen zu dem besagten Haus und er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn ein paar Mal um und öffnete die Tür. "Komm, geh schon. Oder willst Du draussen überwintern?", lachte Oli und schob mich ins Haus. Wir zogen unsere Schuhe und Mäntel aus und ich sah mich ein wenig um. Heller Parkettboden, schlichte Möbel, eine Mischung aus Alt und Modern. "Hier unten ist nichts besonderes, nur die Küche und das Wohnzimmer. Oben ist es interessanter.", sagte Oli und deutete zu einer Holzleiter, die ins obere Geschoss führte. Er grinste und wir kletterten die Leiter hinauf, Oli voran. Als er oben angekommen war, gab er mir die Hand und zog mich hoch. "So, und hier ist mein Zimmer, dass Zimmer meiner Eltern und ein Badezimmer." Ich musste lachen, und als Oli mich verwirrt ansah, erklärte ich ihm, dass er sich wie ein alter Reiseführer benahm. Plötzlich stach er mir laut lachend in die Rippen und ich fiel vor Schreck fast um. Während ich mich vor lachen kaum noch halten konnte, ging Oli auf eine schwarze Tür zu, öffnete sie und stellte sich verbeugent wie ein Ober daneben. Ich ging auf die offene Tür zu. Ich dachte, er würde die Tür schließlich, aber stattdessen kitzelte er mich am Rücken und ich drehte mich zu ihm um. "Hör auf.", meinte ich und drehte mich wieder um. "Da ist heute aber jemand sehr fröhlich", gab er sarkastisch zurück und stach mir den Finger zwischen die Rippen. "Ja, total.", meinte ich trocken und setzte mich auf seinen abgenagten Schreibtischstul. Oli setzte sich auf sein Bett und betrachtete die Tattoos an seinen Fingern. Es herrschte eine Weile Ruhe. "Wenn Du jetzt meinst, rumzuzicken, kannst Du gleich wieder abzischen.", murmelte er und zupfte sich unsichtbare Fussel von der Hose. "Na dann.", meinte ich nur, Mühe, meine Enttäuschung zu verstecken. Ich erhob mich und ging in Richtung Zimmertür. "Boah, jetzt komm schon.", lachte er, griff mir um die Taille und warf mich neben sich aufs Bett. "Nö, lass stecken.", sagte ich und wollte mich wieder aufrichten, aber er hielt mich fest und drückte mich an sich. "Ich lieb Dich so seeehr.", sang er und lachte. "Du bist so dumm.", meinte ich und fiel mit ein. "Mag sein. ", murmelte er und drehte sein Gesicht zu mir. "Was willst Du eigentlich machen wegen Deinen Eltern?", fragte er mich und ich dachte nach. "Ich weiß es nicht, vielleicht gehe ich zum Jugendamt.". Oli strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte dann "Kannst Du machen. Musst Du aber nicht. Du kannst hier bleiben. Ich kann Lee aber auch fragen, er hat einen Kumpel, der gerade seine 4-Zimmer-Wohnung verkaufen will." "Du bist lustig. Ich hab kein Geld für eine Wohnung." Oli strich mir über die Wange, über die in der nächsten Sekunde ein paar Tränen liefen. "Nicht weinen Baby." Er setzte sich auf und lehnte sich gegen ein Kissen. Mir liefen die Tränen wie Flüsse über das Gesicht. Er zog mich an sich und ich setzte mich auf seinen Schoß. "Das wird schon wieder, okay?", flüsterte Oli und nahm meine Hand, die ununterbrochen zitterte. "Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht ist es meine Schuld.", sagte ich traurig. "Ach was. Jetzt gib Dir nicht die Schuld für etwas, was Deine Eltern gemacht haben." Er wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und zog eine Grimasse. "Na wer sagt's denn. Da ist ja wieder das Lächeln. Steht Dir viel besser als das Schmollen." Ich brachte ein kleines Lächeln zustande und legte meinen Kopf auf seine Schulter. "Danke.', sagte ich und sah zu ihm hoch. "Nicht dafür Baby." Er strich mir über den Kopf, ich legte meine Hand auf seine Brust und schloss die Augen.