Kapitel 9

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Liliane

Ich war unglaublich nervös. Das war ich in der Mittagspause für gewöhnlich, weil ich immer das Gefühl hatte, als ob mich jeder anstarren würde, doch heute war es etwas anderes. Ethan hatte gestern noch einmal betont, dass ich zusammen mit ihnen essen sollte, was ich gestern Mittag aus Angst nicht getan hatte. Doch heute würde ich es tun. Er hatte mir genau erklärt, wo seine Clique immer saß, weshalb ich mich jetzt auf den Weg in Richtung Sportplatz machte, wo ich ihn von weitem schon unter einigen Bäumen sitzen sah. Um ihn herum, ungefähr ein Dutzend anderer Typen, welche ich alle schon einmal unbewusst wahrgenommen hatte, da sie alle irgendwie etwas an sich hatten, dass sie unwiderstehlich machte. Wieso hingen die heißesten Jungs eigentliche immer mit genau so heißen Jungs rum? An Ethan kam zwar keiner heran, aber die Mädchen flogen alle genauso krass auf Manuel wie auf ihn. Zwar wollte ich es nicht und würde es nie wollen, doch ich mochte Ethan. Ich mochte ihn sehr, viel zu sehr, obwohl ich ihn erst seit so kurzer Zeit kannte. Trotzdem fühlte sich mit ihm alles besser an. Wenn ich mit ihm zusammen war, erschien mein Leben nicht mehr ganz so dunkel und grau. Doch ich wusste auch, dass ich bei ihm keine Chance hatte. Zumindest redete ich mir das selber ein, sodass ich erst gar nicht versuchte mit ihm zu flirten oder ihm zu nahe zu kommen. Denn manchmal hatte ich schon das Gefühl, als ob er mich auch mögen würde. Wieso sollte er mir sonst immer Komplimente machen, mir Spitzname geben, sich um mich kümmern, mich zum Lachen bringen, mich umarmen und auf die Stirn küssen? Bei ihm fühlte ich mich sicher, geborgen, etwas, was ich noch nicht einmal richtig gefühlt hatte, als mein Vater noch am Leben gewesen ist.

»Hey.«

Inzwischen war ich bei der Gruppe angekommen, zu der, wie ich nun feststellte, auch drei Mädchen gehörte, die an den Jungs klebten wie Kaugummi. Unter gar keinen Umständen wollte ich einmal so enden wie eine von ihnen.

Ethan wurde als Erster auf mich aufmerksam, was mich ungemein erleichterte.

»Hey, Hörnchen.«

Er stand sofort auf und kam zu mir, um mich in die Arm zu schließen. Die anderen, vor allem die Mädchen, warfen uns neugierige Blicke zu, doch ich probierte sie zu ignorieren, genauso wie den Schmerz, der in meiner Rippe ausbrach, als Ethan mich drückte. Mein Bruder hatte gestern mal wieder einen kleinen Wutanfall gehabt und ich hatte als sein Punchingball dienen müssen, wie ich es immer tat.

»Setz dich zu uns«, er griff meine Hand und ging zu dem Platz zurück, auf welchem er eben gesessen hatte. Etwas schüchtern ließ ich mich neben ihn fallen. Er hatte meine Hand immer noch nicht losgelassen.

»Leute, dass ist Lily, also eigentlich Liliane, aber Lily hört sich besser an.«

»Ist das deine neue Flamme?«

Ein Typ mit einem Augenbrauenpiercing musterte mich interessiert von oben bis unten und ich konnte an seiner Miene erkennen, dass er mein Erscheinungsbild wohl nicht ganz so ansprechend fand. Dafür starrten mir zwei weiter Jungs ungeniert auf die Brüste, welche unter meinem Pulli kaum zu sehen waren.

»Sie ist meine Partnerin für das Bioprojekt.«

»Die, die du so sterbenslangweilig fandest?«

Ein Kerl, der auch in meinem Biokurs war, meldete sich zu Wort und musterte mich ebenfalls. Bei seinen Worten kramte ich hastig in meiner Tasche, nach meinem Sandwich, welches ich immer zu Mittag aß und von zuhause mitnahm, damit keiner meinen roten Kopf sah. Ethan hatte also mit seinen Kumpels über mich gelästert. Wieso saß ich dann eigentlich hier? Wieso hatte ich mich von ihm überreden lassen, hierher zu kommen?

»Der erste Eindruck hat mich getäuscht, dass habe ich euch doch erläutert. Lily ist cool.«
Leicht erstaunt darüber, dass er mich verteidigte, sah ich ihn an. Ein Kribbeln hatte inzwischen mein Hand, die immer noch in seiner lag, in Beschlag genommen, welches sich nun langsam auch in meinen Arm und den Rest meines Körpers ausbreitete.

Be Honest #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt