[4] Alltäglich

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'Heute ist Samstag. 8 Uhr morgens. Spätestens morgen werde ich von meinen Eltern in die Kirche geschleppt werden und frühestens heute Nacht im Dunklen werde ich meinen Bodyguard wieder sehen. Ich weiß nicht warum, aber obwohl ich ihn noch nicht richtig kenne, geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. Fühlt es sich so an verliebt zu sein? Ein Kribbeln im Bauch, das fast nicht auszuhalten ist. Die Gedanken immer nur bei dem einen Jungen. Herzklopfen, wenn man daran denkt ihn bald wieder zu sehen. Die Regeln der Eltern brechen um ihn zu treffen. Den Kopf nur voll von den wunderschönen strahlenden Augen zu haben. Und das einzige was man anstrebt ist ihn zum Lachen zu bringen um sein herzhaftes Lachen noch einmal zu hören. Fühlt sich so die Liebe an? Auch wenn man den Jungen nicht kennt? Geht das überhaupt?! Gibt es sowas wie Liebe auf den ersten Blick? Ist das was ich gerade fühle überhaupt Liebe und nicht nur reine Neugierde auf die Person, die er wirklich ist?'

'Ich brauche dich Bodyguard! Vielleicht kannst du mir zeigen, was Liebe ist...', mit diesen Worten beendete ich meinen Tagebucheintrag und versteckte es wieder in der Bibelausgabe auf meinem Bücherregal. Ich hatte irgendwann riesige Wut auf Religion gehabt. Ich hatte Platz für mein Tagebuch geschaffen. Ich war zufrieden und meine Mutter und mein Vater freuten sich regelmäßig, dass die Bibel das einzige Buch in meinem Zimmer ist, das nicht einstaubt, weil es nur rumsteht, so wie all die anderen Bücher auf meinen Regalen.

"Ginny! Frühstück!", hörte ich meinen Bruder durchs Treppenhaus brüllen. Was für eine liebevolle Begrüßung...

Ich stand auf und torkelte schlaftrunken ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, das meine Haare natürlich nicht perfekt saßen, sondern in alle Himmelsrichtungen ab standen. Mit einem mürrischen Grummeln widmete ich mich dem Kämmen meiner widerspenstigen Haare.

Als meine Haare tatsächlich unter Kontrolle gebracht waren, brüllte mein Bruder erneut meinen Namen durchs Haus. "Jaha!", antwortete ich, "ich komme doch schon nach unten!", mit diesen Worten legte ich die Bürste zurück an ihren gewohnten Platz und trampelte die Treppenstufen herunter.

Meine Familie saß im Esszimmer an unserem großen Esstisch und wartete auf mich. Als ich den Raum betrat begann Luke sofort zu essen. "Luke-Schatz", begann meine Mutter, "warte doch bitte wenigstens bis deine Schwester am Tisch sitzt..." Das hinderte Luke jedoch nicht daran weiter zu essen. Er demonstrierte mal wieder, dass es ihn nicht kümmerte, was Mum und Dad wollten. Ich setzte mich und begann nach dem Morgengebet, bei dem ich genervt die Augen verdrehte, endlich mit dem Frühstück. Luke hatte schon fast sein erstes Brötchen aufgegessen, da fing ich gerade mal an zu essen... und das nur, weil er rebellierte, wozu mir keine Chance gelassen wurde...

Beim Frühstück wurde kein Wort gewechselt. Ich glaube, meine Eltern waren immernoch wütend auf meinen Rebllionsversuch und meinen kleinen Ausbruch gestern Abend. Vielleicht kamen sie auch nur nicht darüber hinweg, dass ich von einem Jungen geküsst worden war. Doch mir war das egal. Ich genoss die Stille. Es war angenehm nicht die quietschige Stimme meiner Mutter und die strenge Stimme meines Vaters zu hören, sondern einfach nur das Schmatzen von Luke. Ja, er schmatzt. Und wie! Er ist 16 Jahre alt und hat einfach 0,0% Tischmanieren. Es wundert mich ehrlich gesagt nicht, das er keine Freundin hat. Beim ersten Date im Restaurant lässt jedes Mädchen ihn sitzen, auch wenn er in ihren Augen noch so gut aussieht.

Ich war fertig mit essen und auch wenn alle anderen noch aßen, Luke aß mittlerweile glaube ich sein 5. Brötchen, stand ich auf und räumte meinen Teller und mein leeres Glas Milch ab. Was Luke konnte, konnte ich auch. Normalerweise, war er der erste der aufstand und ich fragte immer erst um Erlaubnis, aber heute war es anders. Überhaupt seit ich gestern Abend meinen Bodyguard kennengelernt habe, hat sich alles verändert. Mum und Dad schauten mir fassungslos nach, als ich erst in die Küche und kurz darauf wieder an ihnen vorbei in mein Zimmer spazierte. Ich pfiff demonstrativ dabei um meine gute Laune auszudrücken. Und um ihnen zu zeigen, wie wenig es mich interessierte, was sie dachten. Ich ging schnurstracks in mein Zimmer.

Dort angekommen suchte ich mir meine Klamotten zusammen in denen ich meinem Bodyguard heute Abend gegenübertreten sollte: kurze Hose, Top?! Langweilig! Kurze Hose, Top, Jacke?! Noch langweiliger!! Rock und Top?! Gar nicht mal so schlecht...

Nach langem überlegen entschied ich mich für einen weißen Rock, ein schwarzes Oberteil, das auch als Sport-BH durchgehen konnte, und eine Strickjacke, falls es wieder kalt werden würde. Oder lasse ich die Strickjacke zu Hause, damit mein Bodyguard mir seine Jacke leihen muss? Hmm... aber letztes Mal hatte er keine an... dann erfriere ich noch! Und das im Hochsommer!

Nach dem ich es endlich geschafft hatte mich anzuziehen, natürlich nicht das freizügige für heute Abend, sondern schön so, dass auch ja kaum nackte Haut zu sehen war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Mein geliebter Hauslehrer (*hust*hust*Ironie*hust*hust*) hatte mir Aufgaben gegeben, die ich über das Wochenende bearbeiten sollte. Klasse... draußen scheint die Sonne und ich sitze in meinem stickigen dunklen Zimmer und sterbe gleich entweder an Sauerstoffmangel oder an Hitzetod. Ob mich mein Bodyguard auch vor so etwas beschützt? Naja... erklärt sich ja eigentlich von selbst... er kann es gar nicht mitkriegen... aber wenn er es mitkriegen könnte, würde er mich dann retten? Oder wäre er froh, dass er das nervige Mädchen, das er gerettet hat, endlich los ist? Woher weiß ich eigentlich, dass er mich heute Abend findet? Woher weiß ich, dass er mich suchen wird? Vielleicht... was findet er überhaupt an mir, das er mich rettet?! Okay ich bin schlank und meine Mum behauptet immer ich sei so hübsch, wie sie früher einmal war. Ob das so positiv ist, sei jetzt dahingestellt, aber mal im ernst... Wer gibt mir die Gewissheit, dass ich ihn jemals wiedersehe?!

Ich schüttelte mich. Wow! Für eine Mathematik Aufgabe 10 Minuten... so bin ich ja in 5 Stunden noch nicht fertig...

My personal BodyguardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt