Kapitel 2
Es ist warm, ich höre die Wellen schlagen. Als ich die Augen aufschlage stelle ich erleichtert fest, dass die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Also stehe ich nicht allzu schnell auf. Eigentlich müssten wir heute nicht arbeiten. Ernte, niemand muss das. Trotzdem ist es den meisten lieber als nichts zu tun und auf das unvermeidliche zu warten. Mein Bruder Kay und ich gehen schon immer an jedem Morgen der Ernte raus und fischen. Es ist Tradition. Und etwas was uns gehört. Kay und ich haben kaum Gemeinsamkeiten. Wir haben nicht dieselben Freunde, sind nie einer Meinung, aber wenn wir draußen auf dem Meer sind, dann zählen unsere Streitigkeiten nicht, dann zählt nur das, was jetzt getan wird. Wir funktionieren dort draußen gemeinsam. Wir brauchen uns nicht zu unterhalten. Wir tun einfach, was wir können. Und die Tatsache, dass wir es zusammen noch besser können, bringt uns näher. Mein Bruder wartet bereits auf mich, als ich in das kleine Ruderboot springe. Das große Fischerboot dürfen wir heute nicht benutzen, denn eigentlich ist Arbeit heute sogar verboten. Wenn wir das kleine benutzen sieht es so aus, als würden wir nur ein wenig Ruhe brauchen bevor alles losgeht.
Bevor ich Fin kennenlernte hatte ich mich immer auf die Spiele gefreut. Es war aufregend und ich musste nie Angst haben ins Kapitol zu müssen. Es meldete sich immer jemand. Fin jedoch hatte mir die Wahrheit gezeigt, die auch er erst später erkannt hatte. Und als wir heute in den Absperrungen standen hatte ich tatsächlich Angst. Ich lächelte natürlich, trotzdem ging das Gefühl nicht weg. Es zog sich durch den ganzen Ablauf der Show. Die Begrüßung war nur ein mulmiges Gefühl und auch ein kurzes ehrliches Lachen kam von mir, weil die Betreuerin so erfreut, dass mir schlecht wurde. Dann die Verlesung des Vertrags, die Sonne brannte mir auf die Haut, ich hatte Hunger und das Gefühl hatte sich allmählich auf ein leichtes ziehen reduziert. Als sie dann aber den ersten Zettel, den Zettel des Mädchentributs zog, kam es auf einen Schlag zurück und ich begann zu Zittern. Ich achtete nicht mehr auf die Betreuerin, sondern auf meinen Freund, den Mentor, der auf einem Stuhl saß und mich ansah. Er lächelte mich ermutigend an, aber ich wusste, dass er noch mehr Angst hatte als ich.
Was war schlimmer als in der Arena zu kämpfen?
Zuzusehen, wie die Person die du liebst in der Arena stirbt.
Und obwohl ich ihm verprochen hatte nicht zu sterben, konnte ich das doch niemals einhalten, wenn es tatsächlich mein Name auf diesem Zettel war. Ich war vielleicht nicht besonders ängstlich, aber die Mut in Person konnte man mich auch nicht nennen. Ich war von kleiner Statur. Nicht besonders stark. Gegen die Tribute aus 1 und 2 wäre ich ein Witz und unser Jungentribut könnte mich auch locker töten.
Ich beruhigte mich wieder als die Betreuerin einen Namen sagte, den ich nicht kannte. Und als Stella die Stufen zur Bühne hinaufschreitete ging das Gefühl wirklich weg. Wie hatte ich nur Angst haben können? Wir waren ein Karrieredistrikt. Natürlich hätte sich jemand gemeldet. So wie es auch jetzt der Fall war. Allerdings ließ Stella keine Freiwilligen zu. Sie wollte lieber sterben. Ich sah wieder zu Finnick. Er war erleichtert, aber er sah mich an mit einem Gesicht, das sagte Hab ich doch gleich gewusst. Das sah so dämlich aus, dass ich wieder lachen musste.
Das Mädchen neben mir sah sah freundlich, aber schüchtern zu mir. Ich zwinkerte ihr zu. Und sie schien überrascht. Wer der Jungentribut war registrierte ich nicht mehr. War ja auch egal. Männliche Freunde hatte ich keine. Weibliche eigentlich auch nicht. Und mein Bruder war schon 19 und somit außer Gefahr.
Ich war auf dem Weg nach Hause. Von Fin würde ich mich nicht mehr verabschieden können. Er war sicher schon schon im Zug. Ich wurde allerdings eines besseren belehrt als eine feste Hand an meinem Arm zog und mich in einen kleinen Raum schob. Ich spürte einen Atem auf meinem und hörte geflüsterte Worte.
„Bis in ein paar Wochen, Annie.“ Ich schloss die Augen.
„Ich will nicht, dass du gehst.“ Er hatte mich fest in den Arm genommen und ich umklammerte ihn weiter, obwohl er mich längst losgelassen hatte.
„Ich muss in den Zug. Ich bin Mentor weißt du noch?“
„Ja schon klar, trotzdem.“ Ich biss mir auf meine Unterlippe und begann darauf herumzukauen. Ich hörte schlagartig auf, als Finnick mir seine Lippen auf meine drückte.
„Annie, ich komme bald wieder. Und das hoffentlich nicht alleine.“ Er fasste mir an die Wange und beugte sich für einen letzten Kuss vor. „Ich liebe dich.“
Dann blieb ich allein im Zimmer zurück. Als ich den Raum verließ, der sich als Abstellkammer herausgestellt hatte, lief direkt jemand in mich hinein. Ich fühlte mich natürlich sofort ertappt.
„Oh Gott, tut mir wirklich leid. Ich bin schon die ganze Zeit so ungeschickt.“ Nach dem ersten Schreck erwiederte ich: „Das ist halb so schlimm.“
„Du bist doch Annie oder? Annie Cresta?“
„Ja woher weit du das?“
„Kennst du die ganzen Gerüchte nicht?“
„Welche meinst du jetzt genau?“
„Na die über dich und Finnick Odair.“ ich lachte.
„Es gibt Gerüchte über uns?“
„Natürlich. Ich bin übrigens Kaira.“
Und so lernte ich meine beste Freundin kennen.