Kapitel 8
Fin hatte mich zu einer Klippe geführt. Normalerweise war das nichts besonderes, aber das hier war dieser eine Klippenvorsprung am Strand, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen hatte. Er hatte eine Decke ausgebreitet und einen Picknickkorb vorbereitet. Ich war überwältigt gewesen, als er mir die Augenbinde abgenommen hatte.
Aber jetzt wo wir gemeinsam die teuren Erdbeeren aßen, wurde ich sauer. Dachte er wirklich jetzt wäre alles wieder gut?! Er hatte mich vielleicht nicht direkt angelogen, aber er war auch nicht gerade offen zu mir gewesen. Er ist mir tagelang aus dem Weg gegangen und jetzt auf einmal sollte ich ihm das alles verzeihen?
Ich drehte den Kopf weg als er mir die letzte Erdbeere in den Mund schieben wollte.
„Annie?“ er klang besorgt. Und aus welchem Grund auch immer machte mich auch das wütend. Die letzten paar Tage hatte es ihn doch auch nie interessiert, wie sehr ich wegen ihm geweint hatte. Kaila musste das mittlerweile zum Hals heraushängen. Und jetzt sorgte es sich wieder um mich?
„Was ist los?“
„Das fragst du noch? Ich meine du warst doch die ganze Zeit so abweisen.“
„Annie, ich habe...“ er sprach nicht weiter. Wollte er, dass ich ihn unterbrach? Nun, den Gefallen tat ich ihm nicht. Er sollte sich ruhig rechtfertigen. Das war er mir schuldig. Er atmete tief durch.
„Annie, hör gut zu.“ Was denn? Ich hatte doch gar nichts gesagt.
„Du hast vollkommen recht damit wütend auf mich zu sein.“
„Allerdings.“
„Aber du hast ja gar keine Ahnung, was sich alles verändert hat.“ Tränen schlichen sich in meine Augen.
„Du hast dich verändert, Fin. Du.“
„Nein, Annie bitte, ich wollte nie... Ich wünschte du würdest verstehen.“
„Ja das wünsche ich mir auch, aber wie? Wenn du mir nichts sagst?“
„Ich kann nicht. Ich darf nicht.“
„Warum Fin? Was kann so schlimm sein?“ Er stand auf und ging auf das Meer zu. Er nahm wahllos einen Stein, warf ihn in die Wellen und stieß einen erstickten Schrei aus. Dann fiel er kraftlos auf die Knie.
„Annie, bitte ich kann das nicht. Ich liebe dich. Versuch doch bitte zu verstehen was in mir vorgeht.“ Ich ging auf ihn zu und fasste ihn an der Schulter.
„Tu nicht so, als müsstest du allein mit der Welt fertig werden.“
„Aber das muss ich.“ Ich antwortete eindringlich.
„Nein, Fin, nein das musst du nicht. Du hast mir versprochen, dass du mich liebst, dass du immer für mich da sein wirst. Und dass du mich niemals allein lässt. Richtig? Und ich werde dich auch nicht im Stich lassen. Nie. Aber du darfst mir nichts verheimlichen. Wann haben wir angefangen Geheimnisse voreinander zu haben?“
Er drehte sich zu mir um und vergrub seinen Kopf in meinem Haar.
„Du darfst mir nicht helfen. Es ist zu gefährlich. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“
Er nahm mich wenn möglich noch fester in den Arm.
„Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir erzähle, was im Moment schlimmes vorgeht. Aber ich schwöre dir, dass es niemals wieder zwischen uns stehen wird. Wenn ich dich nicht mehr los lasse, kann niemand dich mir wegnehmen, richtig?“
Ich gab ein leises Lachen von mir und er ließ mich los.
„Ich liebe dich Annie Cresta, und ich weiß ich, ich bin ein Idiot.
Aber wenn du mich lässt, werde ich dir alles geben, was ich dir zu geben vermag.“ Ich sah in seine grünen, liebevollen Augen. Sie glitzerten voll Wärme und ich fiel ihm um den Hals. Ich küsste ihn auf den Mundwinkel, auf die Wange und hatte keine Ahnung wie dieser Junge es schaffte mich immer wieder für sich einzunehmen. „Ich liebe dich auch, Finnick Odair. Mehr als du dir vorstellen kannst.“ Ich spürte wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog.„Du hast ihm einfach so verziehen? Warum hast du ihn nicht wenigstens ein bisschen schmoren lassen. Jetzt denkt er doch, er käme mit allem durch.“ Ich seufzte.
„Also erstens hättest du ihn sehen sollen. Ich musste ihm einfach verzeihen. Und zweitens wissen wir beide, dass er immer mit allem durchkommen wird.“
„Ja, aber das muss er doch nicht wissen.“ Ich lachte.
„Wo ist dein kleiner Idiot eigentlich.“
„Keine Ahnung, er meinte, er hätte einen Termin.“
„Er arbeitet doch überhaupt nicht.“
„Nein, aber er hat Siegerverpflichtungen. Und ich muss sehr wohl arbeiten, also wo ist das Problem?“
„Es gibt keins. Ich hab doch nur gefragt.“
Kaira waren nur noch halbtags in der Schule. Das war im Abschlussjahr so. Die Karrieretribute können noch einmal richtig trainieren bevor sie arbeiten gehen und wir anderen gehen nach der Schule arbeiten. Wir bekamen dafür kein Geld. Die Schule meinte, wir sollten ausprobieren was wir später einmal machen wollten. Jeder wusste, dass das eigentlich nur ein Witz war. Einer über den man nicht lachen konnte wohlgemerkt.
Die ohnehin schon Reichen, würden die Geschäfte ihrer Eltern übernehmen. Die Ärmeren, wie ich und Kaira, würde früh morgens aufstehen, fischen und das tägliche Minimum an Fisch abliefern. Und das für einen Lohn der gerade so für das nötigste reichte. Finnick war natürlich dagegen und er sprach oft davon mich zu heiraten wenn wir beide volljährig waren. Aber es kam mir jedes Mal nur vor wie ein Traum, aus dem keiner von uns aufwachen wollte. Es war genauso wie das Spiel weglaufen zu wollen. Es zeigte wie viel Macht sie über uns hatten, aber auch, dass es eine Sache gab, die uns niemand jemals wegnehmen konnte. Unsere Träume, Gefühle und Gedanken. Auch wenn wir sie nicht immer aussprechen konnten, waren sie da und dagegen konnten sie nichts unternehmen. Finnick träumte oft davon, so vielen Leuten wie möglich das zu erklären und dann eine Revolution zu beginnen. Wir lachten darüber. Aber es stand immer im Raum und die Vorstellung war großartig.
Am Morgen der Ernte ging ich nach dem alljährlichen Familienfischen direkt zu Kaira. Wir zogen uns gemeinsam um und ich machte mich auf den Weg um Fin zu verabschieden. Er hatte gesagt er würde beim Rathaus auf mich warten. Und der Weg war weit. Deshalb begleitete Kaira mich. Wir waren nicht besonders ängstlich. Aber eine gewisse Aufregung und Nervosität ließ sich nun mal nicht vermeiden. Wir waren gerade in ein Gespräch über die Haarfarbe unserer Betreuerin vertieft als ich spürte wie jemand mir mit seiner Hand den Mund zuhielt und mich in die nächste Seitengasse zog. Ich bekam eine Gänsehaut und hätte sicher geschrien, wenn er mich nicht daran gehindert hätte. Er drehte mich um und presste mich gegen die kühle Steinwand. In diesem Moment sah ich sein Gesicht.Darek. Nein. Ich versuchte erneut zu schreien, aber es ging nicht. Warum ließ er mich nicht einfach los. Warum tat er so etwas? „Ich nehm die Hand weg, wenn du versprichst nicht zu schreien.“ Ich nickte verängstigt und er tat es tatsächlich.
„Warum tust du das.“
„Warum hast du Finnick genommen.“
„Ist die Frage Ernst gemeint. Ich meine du drückst mich gegen meinen Willen gegen eine Hauswand.“
„Sei ehrlich zu mir. Wann wusstest du, dass das aus uns nichts werden würde.“
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich für dich keinerlei Gefühle habe.“
„Aber du hast es nie wirklich beendet.“
„Ich wusste nicht wie.“ ich begann zu weinen.
„Du hast immer weiter gemacht. Du hast mir Blumen geschenkt, mir Komplimente gemacht und ich habe dir ständig gesagt, dass du aufhören sollst.“
„Das ist nicht wahr.“ Er musste doch wissen, dass es so gewesen war. Warum fragte er mich. Hatte er meine Ablehnungen wirklich nie als solche verstanden oder hatte er die Tatsachen verdrängt? Ich wusste, dass ich ihm die Wahrheit immer sehr deutlich zu verstehen gegeben hatte, denn ich hatte jede einzelne Abfuhr vor dem Spiegel geübt.
„Annie, bitte. Ich kann dich verstehen. Odair kann dir viel mehr bieten als ich. Aber bitte gesteh dir ein, dass ich dir nicht vollkommen egal bin.“ Ich weinte heftiger. Nein er war mir nicht egal. Ich hasste ihn. Niemanden hasste ich mehr. Was er getan hatte konnte mir nicht egal sein. Denn es war verabscheuenswert. Doch das sagte ich nicht. Ich hatte zu viel Angst, dass er es wieder tun würde. Ich hoffte, dass Kay herkam. Oder Finnick. Suchte er schon nach mir? Ich hätte doch eigentlich längst bei ihm sein müssen. Und Kaira ihr war bestimmt schon aufgefallen, dass ich verschwunden war. Darek sagte nichts mehr. Sein Gesicht kam näher. Seine Lippen bewegten sich zu meinen. Ich presste sie fest zusammen. Kniff meine Augen zu und betete, dass endlich jemand käme.
Mein Wunsch wurde erfüllt, als eine Faust Darek auf den Boden beförderte. Ich sah Finnicks bronzefarbenen Haarschopf und atmete erleichtert aus. Mir war nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten hatte. Fin prügelte auf den Jungen ein. Ich sah Blut. Viel Blut und brachte ihn dazu aufzuhören.
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja, ja mir geht es gut. Danke, dass du gekommen bist.“
Er lächelte. „Ich lass nicht zu, dass dir etwas passiert. Schon vergessen?“
„Wie könnte ich.“ Und wir küssten uns. Auch Fin drückte mich gegen die Wand. Aber er bei ihm fühlte es sich sicher an sanft und nicht als wäre ich ihm ausgeliefert.Ich überstand die Ernte, genauso wie Kaira und alle die ich kannte. Zum Schluss standen zwei 18-Jährige auf der Bühne die beifallheischend in die Menge schaute. Ich sah zu Fin und er verdehte die Augen. Daraufhin musste ich lachen und das Mädchen neben mir schaute mich böse an. Ich kannte sie nur vom Sehen und wusste, dass sie die Schwester des männlichen Tributes war. Cih lächelte sie entschuldigent an und sah wieder auf die Bühne. Dort stand zu meiner Überraschung nur noch der Bürgermeister der seine Rede hielt. Die Tribute waren wohl schon im Justizgebäude.
Die Hungerspiele vergingen und es gewann das Mädchen aus 5. Ich war überrascht, aber eigentlich interessierte es mich nicht. Finnick kam zurück und wir verbrachte unser wohl schönstes gemeinsames Jahr. Wir schliefen zum ersten Mal miteinander und wir waren durch und durch glücklich. Aber irgendwann musste uns das viele Glück ja vergolten werden.
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