Eine Prophezeiung

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Mit einem kaum merklichen Nicken ließ Liadan die Hand ihrer Schwester los und mischte sich unter die Menge, um die beiden nicht weiter zu stören, denn sicher hatten sie sich viel zu erzählen.

Die lange Schleppe wehte leicht hinter ihr her, als sie sich einen Weg durch die Masse bahnte. Mit ihrer schlanken und anmutigen Erscheinung, zog sie sogleich die Blicke eines fein gekleideten Mannes in königlichen Gewändern, auf sich.

„Seid mir gegrüßt, mein lieber Onkel!", grüßte die Fai mit den goldenen Locken eben jenen. Ein belustigtes Lächeln lag in ihren Zügen, als er sich vor ihr verneigte und dann einen Arm um ihre Taille legte. „Na meine liebe Nichte?", er knuffte sie freundschaftlich in die Seite, beugte sich dann zu ihrem Ohr und hauchte: „Ganz vortrefflich steht dir dieses Kleid! Mal etwas Anderes als Reithosen aus Wildleder." Liadan kicherte leise, doch fasste sie sich wieder, wies mit einem Finger in die Richtung, wo vorher noch Lad mit ihrer Mutter gestanden hatte und wo jetzt nur mehr die junge Fai in ihrem schönen grünen Kleid stand und mit einer Haarsträhne spielte.

„Dort, sieh! Das ist meine seit langem gesuchte Schwester, Lad í Sathil."

Ihr Onkel sah in die Richtung, in die Liadan gezeigt hatte. „Dann ist sie also am Leben!", hauchte er, „Sie ist nicht vom Feuer verschlungen worden?" Er blickte seine Nichte freudig an. Seine Augen strahlten vor Glück, dass es nun doch noch Hoffnung gab für das Land Aurenien.

Sie folgten Lad, die sich zu einer Tür begab, die auf den Balkon hinausführte. Sie lehnte sich gegen das Geländer und betrachtete die darunter liegenden Gärten. Der Tag neigte sich allmählich seinem Ende zu und sie nahm an, dass das Fest noch bis spät in die Nacht gehen würde.

Liadan trat an sie heran und fragte: „Gefällt es dir hier nicht? Du wirkst so betrübt."

Lad schüttelte leicht den Kopf: „Es ist alles noch so fremd für mich, Liadan. So viele neue Gesichter und so viel Neues zu sehen. Ich bin nur verwirrt und auch ein bisschen eingeschüchtert, aber es wird sich mit der Zeit legen. Da bin ich mir ganz sicher."

Ein lautes Räuspern hinter sich ließen die junge Fai herumwirbeln. Ihre dunklen Haare peitschten dabei hart in ihren Nacken. Ohne es erwartet zu haben, blickte Lad nun Tanis in die Augen und ein Grinsen breitete sich in ihren Zügen aus. Ohne ihrer Schwester in die Augen zu sehen, flüsterte Liadan leise: „Dein Onkel Tanis í Corruth, König von Aurenien."

„Der reiche Handelsmann. Schön Euch wiederzusehen", Lad verneigte sich leicht. Wer hätte gedacht, dass der Mann mit dem sie sich auf See unterhalten hatte, ihr Verwandter wäre, noch dazu königlichen Blutes.

Liadan blickte sie verdutzt an, dann ihren Onkel. Der Mann mit den schwarzen, langen Haaren, die er mit einem Lederband zusammengebunden im Nacken trug, blickte sie verblüfft an, ehe er lächelte und sie kurz, doch herzlich, an sie drückte. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Mädchen vom Schiff meine lang vermisste Nichte ist!", er lachte und lächelte Lad in seiner Art an, als hätten sie sich schon ewig gekannt, „Komm mit, Lad i'Sathil, ich werde dir die Gäste vorstellen." Mit diesen Worten hackte er sie, die sich sogleich versteifte, unter, lächelte Liadan noch einmal mit der gleichen Wärme an, die auch immer von ihren Lippen sprach, doch sie bekam dieses warme Lächeln nicht mehr mit.

Sie hatte, den Rücken ihren Verwandten zugewandt, nachdenklich zum Horizont gestarrt. Die Schönheit der Gärten war wie verschwommen für Liadan geworden, deren hübsches Antlitz nun besorgt und traurig wirkte.

Lad, die dies bemerkte, entwand sich aus des Onkels Griff, der sie reinbringen wollte, um zu ihrer Schwester zurück zu gehen. „Was fehlt dir?", fragend sie an deren Ohr und hörte, wie sich Tanis mit leisen Schritten wieder in die Halle begab, um sie allein zu lassen.

Aurenien TalesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt