Es dauerte eine Weile, ehe Liadan zu ihr stieß und die Stille im Raum mit einem Räuspern durchbrach.
Lad hatte sich für ein hellgrünes Kleid mit rundem Ausschnitt entschieden. Ihr Haar fiel noch offen, doch gekämmt, über ihren Rücken. Sie saß wartend in einem der Korbsessel und hob leise die Stimme: „Es tut mir leid. Es ist so viel Neues und ich möchte lieber ein Beobachter sein, als aktiv eine Rolle zu spielen."
„Ich verstehe dich gut", Liadan trat an sie heran, fasste ihre Hände, „Dann sei meine Beobachterin am Fest, meine Ohren und Augen, ich bitte dich."
Lad nickte als Antwort und rang sich ein Lächeln ab. Sie folgte ihr ins Schlafzimmer und beobachtete ihre Verwandlung.
Liadan legte das wilde, ausgelassene Ich der Waldläuferin und Kommandantin der Reiter-Turma ab und schlüpfte in die Rolle der Liadan í Amasa, der Nichte des Königs, eine wichtige Botschafterin am Hofe. Sie legte ein langes, dunkelgrünes Kleid mit weiten wallenden Ärmeln an, das sich perfekt an ihren schlanken Körper schmiegte. Der runde Ausschnitt war mit feiner Spitze bestickt worden. Auf den Rock des Kleides waren vereinzelt Kristallsplitter eingenäht worden, die wie Tautropfen in einem Spinnennetz funkelten.
Die seidigen Haare steckte sie geschickt mit kleinen Spangen hoch und ein fein gearbeiteter Goldreif, der in ihrer Stirn eine Mondsichel trug, schmückte ihr Haupt.
Liadan winkte Lad heran, als sie fertig war und schmunzelte, „Das Kleid steht dir ausgezeichnet und wie ich sehe, haben wir denselben Geschmack, denn es ist eines meiner Lieblingskleider."
Sie hieß Lad, sich hinzusetzen und begann die braunen Haare ihrer Schwester ebenso hochzustecken wie ihre eigenen. Zum Schluss öffnete sie eine Schmuckschatulle und holte einen Reif heraus, der dem ihren glich, nur war er aus Silber gefertigt.
„Ich möchte, dass du diesen trägst", murmelte sie sehr leise, doch verständlich, „Unsere Großmutter gab mir diese beiden Zwillingsreifen, einen Tag bevor sie starb. Ich verwahrte ihn immer für dich." Liadan räusperte sich kurz, um ihre Stimme wieder befreiter klingen zu lassen, während Lad den Reif mit ihren Fingern betastete.
„Wir müssen los, doch keine Aufregung, denn sie werden dich lieben, glaube mir!", Liadan zwinkerte ihr aufmerksam zu, fasste sanft ihre Hand und verließ mit ihr das Haus. Unten wartete bereits Tades, der Stallbursche, mit ihren Pferden und half den beiden in den Sattel.
„Wissen sie, dass es mich gibt?", Lad zog den Rock des Kleides zurecht und ergriff die Zügel.
„Ja, sie wissen, dass es dich GAB! Aber dass es dich GIBT, wissen sie noch nicht. Du bist hier und das Beste, das es gibt. Hab keine Angst, denn ich bin immer bei dir, denn ich liebe dich schon mein Leben lang, meine Schwester, und wir bleiben zusammen, egal was kommt."
Auf ihrem Weg hatte Lad anfangs so einige Probleme gehabt, sich im Damensitz auf ihrer Stute zu halten, doch hatte sie sich schnell an die ungewohnte Sitzweise gewöhnt und klammerte sich nun nicht mehr verzweifelt fest, was Liadan immer wieder zum Lachen erregt hatte. Trotzdem sah man, dass nicht die Reiterin, sondern das Pferd die Kontrolle innehatte.
Ihre Schwester hingegen hielt geschickt die Zügel ihres Hengstes und trieb ihn an. Blätter und Blüten waren in die Mähnen der Pferde eingeflochten worden und kleine Glöckchen, die am Zaumzeug hingen, bimmelten fröhlich vor sich hin. Immer weiter ging es über die Ebene hinaus, am klaren Kristallsee vorbei. Nun ritten sie an den steil aufragenden Felswänden entlang, die das grüne Tal einkesselten. Sie waren auf dem Weg nach Narth'Mahat, der Sonnenstadt.
Der laue Wind rauschte durch die Baumwipfel und wehte Liadan einzelne Strähnen ins Gesicht, die ihre nachdenklichen und zugleich betrübten Züge versteckten. Sie hasste diese Verhandlungen mit den Skalanern, die auch anwesend sein würden, denn sie waren hochnäsig und überheblich. Es schien als wollte dieser ewige Krieg wohl nie aufhören, der sich zwischen den beiden Völkern abspielte.
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Aurenien Tales
FantasyDie Fai von Aurenien und die Skalaner liegen seit Jahrhunderten im Krieg. Lad hatte eigentlich nicht vor, jemals wieder einen Fuß in dieses Land zu setzen, doch als sie die Fragen nach ihrer Herkunft quälen, wird sie in etwas verstrickt, das größer...