Kapitel 2 - Tiefkühlgemüse

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PoV Paluten

„Wie hast du das", ich zeigte dabei auf ihr Schienbein, „eigentlich hinbekommen?" Ich hatte inzwischen meinen Rucksack abgesetzt und mich auf dem geringen freien Platz neben ihr niedergelassen. „Naja... also... auf jeden Fall mit ziemlich viel Dummheit", erklärte sie ausweichend. Es schien ihr irgendwie unangenehm zu sein, wer weiß, vielleicht ist sie ja beim Longboard fahren irgendwie hingefallen und das ist ihr jetzt peinlich. Allerdings konnte ich hier weit und breit kein Longboard sehen, also verwarf ich den Gedanken doch wieder.

„Und was genau hast du jetzt gemacht?" „Naja, also, ich hab 'nen Handstand auf der Mauer da gemacht und beim runtergehen hab ich mir wohl irgendwie... naja, wie soll ich sagen... das Bein ein wenig aufgekratzt" Sie lächelte verlegen. "Aufgekratzt" war gut, der Großteil ihres Schienbeins war voller Blut und ich meinte vorhin kurzzeitig den Knochen gesehen zu haben. Sie sprach weiter: „Und das ist mir irgendwie total peinlich, weil ich den Handstand ja eigentlich echt sicher kann, ich würd's dir ja demonstrieren, aber naja...". Sie sah auf ihr Bein und seufzte.

„Und du bist ganz alleine hier?", fragte ich weiter. „Ja, das war auch etwas unglücklich. Ich war eigentlich mit einer Freundin hier, aber die musste gehen, damit sie ihren Zug nicht verpasst und genau dann musste ich natürlich hinfliegen!" Man merkte ihr an, dass sie sich ziemlich über sich selbst ärgerte.

„Okay und wie wollen wir das jetzt machen?", versuchte ich eine Lösung zu finden. „Keine Ahnung, ich kann ja wahrscheinlich nicht mal laufen"

Und plötzlich hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich wusste, es war riskant, aber sie schien mich ja offensichtlich nicht zu kennen und wenn doch, dann war sie eine extrem gute Schauspielerin. Also fragte ich sie: „Wir könnten vielleicht kurz zu mir fahren, dann könnten wir dein Bein wenigstens etwas verarzten und ich wohn auch nur noch ca. 500 Meter von hier entfernt. Also natürlich nur wenn das für dich ok wäre." Sie schien zu überlegen. „Ich geh mal davon aus, dass du wohl kein Kidnapper, Entführer oder sonst was bist, oder?" Ich grinste: „Doch natürlich, was dachtest du denn?" Wir versuchten Beide so Ernst wie möglich zu schauen, was jedoch keinem von uns lange gelang. Also versuchte sie sich hinzustellen und ich sah das erste Mal Schmerz in ihrem Gesicht. Sie biss die Zähne zusammen und zog zischend die Luft ein. „Puh, das brennt, jetzt tut's etwas mehr weh", brachte sie gepresst hervor. Sie kämpfte sichtlich mit dem Schmerz und ich bot an, dass sie sich auf mein Fahrrad setzten kann und dabei versuchen könnte ihr Bein hochzuhalten. Es funktionierte auch einigermaßen und so begann ich sie in Richtung meiner Wohnung zu schieben.

„Ach ja, so nebenbei, wie heißt du eigentlich?", fragte sie urplötzlich. Stimmt, darüber hatten wir noch gar nicht geredet... okay, jetzt bloß keine Fehler machen. „Ich heiße Patrick, aber die meisten nennen mich Palle" „Palle? Wie kommt man denn bitte von Patrick zu Palle. Aber gut, du hast wohl kreative Freunde." Ich schmunzelte innerlich. Kreativ wäre jetzt nicht das erste Wort, dass mir einfallen würde um Rewi und die anderen Chaoten zu beschreiben. „Meine Freunde nennen mich meistens Jeka... oder einfach J. Ja gut, die meisten nennen mich einfach nur J." „Jay?" „Aja, den Buchstaben Jott, nur Englisch ausgesprochen..." „Und du willst mir erzählen, meine Freunde wären kreativ", ich lachte, „Wie ist bitte dein richtiger Name, wenn man daraus Jeka machen kann?"

„Wie gesagt, nenn' mich einfach J." Damit war das Gespräch für sie wohl abgehakt.

***

„Und es macht dir wirklich keine Umstände, dass ich jetzt mit hier her komme?", fragte das Mädchen mich jetzt schon zum dritten Mal, während ich die Haustür aufschloss. „Nein, das ist vollkommen in Ordnung, immer noch!", erklärte ich ihr vehement. Die Treppen machten ihr erneut sichtlich Probleme, aber sie wollte sich partout nicht helfen lassen, im Gegenteil, sich kämpfte sich eiskalt die drei Stockwerke nach oben.

„So hier ist es", erklärte ich ihr, gerade dabei die Wohnungstür aufzuschließen, woraufhin sie erleichtert seufzte. Ich hätte vermutlich auch klingeln können, aber da ich sowieso schon etwas gedämpft die Schreie aus unserer Wohnung hören konnte und dementsprechend klar war, dass Rewi gerade aufnahm, hätte er dieses wohl eh nicht gehört. Also schloss ich die Tür auf und brachte meine neue Bekanntschaft so schnell wie möglich durch unseren nicht ganz so aufgeräumten Flur in mein etwas aufgeräumteres Zimmer. Mit dem Zockerzimmer wollte ich sie beabsichtigt noch nicht bekannt machen, obwohl dieses zur Zeit wohl doch mitunter der sauberste Ort in der gesamten Wohnung war. Warum Rewi überhaupt da war, sollte ich vielleicht auch noch kurz erklären. Durch die Planung und den Umzug ins UFO, wie wir unser Büro nun tatsächlich genannt hatten, hatte Rewi zur Zeit nicht wirklich brauchbares Aufnahmeequipment parat. Also hatten Peter und ich ihm angeboten, doch einfach ein paar Dinge übergangsweise bei uns aufzunehmen.

„Ok warte kurz hier, ich hol' schnell ein feuchtes Tuch um erstmal das ganze Blut loszuwerden", erklärte ich ihr und verschwand damit im Bad.

Ich kam zurück mit einer flachen Schüssel voll Wasser, ein wenig Klopapier und einem Beutel Tiefkühlgemüse. Und als Jay mich damit sah, fing sie erstmal an herzlich zu lachen. „Ich muss schon sagen, ein erstklassiger Sanitäter bist du auf jeden Fall" entgegnete sie mir. „Jetzt hör erstmal auf zu lachen und warte bis ich dir erklärt hab, wofür ich das ganze Zeug mitgebracht hab." „Okay, ich bin gespannt" „Also mit dem Klopapier und dem Wasser solltest du versuchen das Blut ein wenig abzubekommen - Klopapier, denn, wir haben nix ähnlich brauchbares im Haus – und wenn du damit fertig bist kannst du versuchen mit dem Tiefkühlgemüse – hör auf zu grinsen – dein Bein etwas zu kühlen, ich hab nämlich das Gefühl, dass es gerade etwas dick und lila wird...", meinte ich und sah sie mit einem etwas mitleidigen Blick an.

Nach einer Weile des Schweigens und Blutabtupfens fing sie plötzlich an in ihrer Jackentasche rum zu Wühlen. „Du suchst nicht zufällig was bestimmtes, oder?", fragte ich dementsprechend. „Du hast nicht zufällig ein Ladekabel für ein iPhone, oder?", versuchte sie herauszufinden, nachdem sie mit ihrer Sucherei fertig war.„Ich nicht, aber mein Mitbewohner eventuell, kommt halt drauf an, welches Handy du hast.", versuchte ich zu helfen. Sie legte das Handy auf dem Bett ab und erklärte weiter: „Das wäre echt cool, mein Akku ist nämlich alle und so könnte ich wenigstens meiner Mutter schreiben, dass sie mich eventuell hier in der Nähe abholen kann."

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Nochmal kurze Unterbrechung am Ende, soll ich lieber Jay – so wie Palle es verstanden hat, oder J. schreiben, ich war mir nicht ganz sicher, weil man das J. so schlecht lesen kann...

Wie ihr vermutlich gesehen hab, ist das richtige Cover jetzt da :) Besser oder nicht so?

Seit dem ersten TropfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt