"Brautmode ist nichts für schwache Nerven"

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"Okay, wir haben Zeit bis um 16:00 Uhr, dann muss ich wieder in der Uni sein." Noelle hüpfte freudig neben mir auf und ab. "Ich bin aufgeregt. Du bist auch nervös oder? Du musst nervös sein!" Beim Laufen gestikulierte sie wild mit den Händen. Ihre Haare wippten mit jedem Schritt. Amüsiert beobachtete ich meine Freundin. Seit ich ihr von der Hochzeit erzählt hatte, war sie noch viel aufgedrehter, als sonst. Ihre unbedarfte Art war gewöhnungsbedürftig, doch was andere anstrengend fanden, empfand ich meistens als Charakterstärke. Man wusste immer, woran man war. Das konnte man nicht von allen Menschen behaupten.

"Ist schon okay, Noelle, es ist bloß ein Kleid!" Sie starrte mich mit großen Augen an. "Das ist das wichtigste Kleid deines Lebens." Ich zuckte bloß mit den Schultern. Gemeinsam stiegen wir in mein Auto. "Ich kann dich nachher zur Vorlesung fahren, wenn du magst. Ich muss sowieso da lang." Sie nickte abwesend. "Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was du dir vorstellen könntest?" Ich kam nicht mehr dazu, meine Meinung kundzutun, denn von da an wurde ich ununterbrochen mit Fachbegriffen zu Brautmode beschossen. Wer hätte ahnen können, wie viele unterschiedliche Brautkleid-Lieferanten es gab, die jeweils noch einmal unzählige  unterschiedliche Schnitte und Kollektionen anboten? Noelle schien sie alle auswendig zu kennen. Wenigstens eine, die sich auskannte... 

Ich betrat den Laden und wurde prompt von einer unangenehm aufdringlichen Beraterin in Empfang genommen. Sie  verstand sich hervorragend mit Noelle und die beiden waren bereits binnen weniger Augenblicke tief in ein Gespräch  über die neuen Kleider von Pronovias in V-Form vertieft. Etwas verloren stand ich vor der riesigen Spiegelwand, in der meine Beine wesentlich dicker wirkten, als sie in Wirklichkeit waren und aus der mir mein Gesicht viel zu rund entgegenblickte. Wer war denn hier die Braut? 

Nach einer halben Stunde weiterer Fachsimpelei, zu der ich kein Wort beitragen konnte, wurde ich langsam nervös. "Ich will einfach nur ein schlichtes weißes Kleid", wurde prinzipiell nicht als qualifizierte Meinung akzeptiert. Nachdem ich mich in ein riesiges rosa Tüllmonster zwängen musste, in dem ich aussah, wie die unvorteilhafte Kreuzung einer Erdbeertorte mit einer Leberwurst, war ich kurz davor in Tränen auszubrechen. 

Die Rettung kam unerwartet. Eine ältere Frau mit gutmütigem Gesicht legte mir sanft ihre Hand auf die Schulter. Sie lächelte wissend und schickte erst einmal die beiden Tortenliebhaber ins Lager, um nach einem speziellen Kleid zu suchen.  Diese schienen sich nicht daran zu stören, diskutierten sie doch mittlerweile angeregt über die figürlichen Vorteile der Fischschwanz-Optik. Verstört blickte ich ihnen hinterher. Ich machte ja vieles mit, aber ich entschied mich bei Flossen eine endgültige Grenze zu ziehen. 

Hilflos schaute ich in das freundliche Gesicht der fremden Frau. An ihrer Bluse hing ein Namensschild, also ging ich davon aus, dass auch sie hier arbeitete. Sie wirkte entspannt, was sie mir direkt wesentlich sympatischer machte, als die Fischschwanz-Dame zuvor. Sie lächelte immer noch. Meine Atmung begann sich zu beruhigen. "Ihr erstes Mal hier?" Ich nickte. "Das wird schon. Als erstes holen wir Sie mal aus diesem Ding raus und dann erzählen Sie mir ganz ruhig, was Sie sich vorstellen." "Danke", flüsterte ich. Sie schob mich in Richtung der Umkleide, was sich aufgrund der langen Schleppe als komplizierte Angelegenheit herausstellte. "Brautmode ist eben nichts für schwache Nerven." 

Eine weitere Stunde später verließ ich den Laden erschöpfte und um 500 Euro ärmer, aber dennoch  zufrieden. Das ausgesuchte Kleid entsprach genau meinem Geschmack. Letztendlich war sogar Noelle zu Tränen gerührt und schoss gleich mehrere Bilder, nachdem die Leberwurst-Lady sich endlich eine andere Kundin als Opfer gesucht hatte. 

Am Auto angekommen und die ganze Fahrt über, war ich tief in Gedanken versunken. Auch als Noelle sich verabschiedete und ausstieg, war mein Kopf noch voller Bilder meiner Traumhochzeit. Erst als Noelle laut fluchte, schreckte ich auf. Sie war mit ihrer Tasche an einem Hydranten hängengeblieben und alle Bücher hatten sich über den Bürgersteig verteilt. Schnell stieg ich aus, um ihr zu helfen. Kaum hatte ich mich nieder gekniet, fiel eine der Studentinnen beinahe über meinen ausgestreckten Arm. Erschrocken fuhr ich zurück und richtete mich auf, um mich zu entschuldigen. Da erkannte ich das Gesicht. Als erstes waren da bloß diese faszinierenden Augen die ich nicht sofort zuordnen konnte, doch dann nahm ich langsam den Rest wahr. Ich kannte auch die Nase, die Wangenknochen, die Lippen. Die Träume von einer perfekten Hochzeit zerplatzten wie Seifenblasen. 

"Was machst du hier?" Ich starrte ihr unentwegt mitten in die Augen, unfähig den Blick abzuwenden. Sie räusperte sich. "Ich studiere hier." Es dauerte einige Momente, bis ich realisierte, dass wir uns vor der städtischen Universität befanden. Natürlich, was für eine blöde Frage. Jetzt schaltete sich auch Noelle ein. "Ihr kennt euch?" "Wir äh...ja" "Flüchtig", fügte ich schnell hinzu, doch Noelle war nicht mehr zu bremsen. Sofort zog sie ihr Handy aus der Tasche und hielt es Hazel unter die Nase. "Wir waren gerade ein Brautkleid kaufen. Schau dir das an, ist es nicht toll?" Ich konnte bis hierher sehen, wie Hazel schluckte. "Wunderschön", murmelte sie heiser. 

Unerträglich lange Momente der Stille folgten. Wir waren beide penibel damit beschäftigt, jeden weiteren  Blickkontakt zu vermeiden. Ich spürte die unerträgliche Spannung zwischen uns, konnte mein Herz in den Ohren schlagen hören.

"Ich sollte gehen. Das ist eine sehr gute Wahl." Sie wies auf das Foto, wandte sich ab und ging davon. "Hey, warte!" Noelle winkte mir zu und rannte ihr hinterher. "Du solltest zum Junggesellinnenabschied kommen! Vielleicht kennst du noch jemanden, den wir einladen können? Ruby hat leider noch nicht so viele Freunde hier in der Stadt." 

Gedankenverloren blickte ich ihnen nach. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht kommen würde, sonst wäre auch der Abend für mich gelaufen. Ich konnte wirklich nicht zulassen, dass mich ein einziger Fehler so lange verfolgte.  

Meine gute Laune war verflogen. Als ich den Schlüssel meines alten Fords drehte, war ich bloß noch erschöpft, jetzt da der vorige Enthusiasmus gänzlich verschwunden war. Nachdem ich das Auto einige Minuten später vor meiner Wohnung geparkt hatte, stieg ich nicht sofort aus, sondern blieb noch eine ganze Weile sitzen. Das Wetter veränderte sich. Es zogen Wolken auf, bis es schließlich anfing zu regnen. Warum konnte ich nicht einen Tag glücklich sein? Es war immer alles so kompliziert. Ich bettete meinen Kopf auf dem Lenkrad und beobachtete gedankenverloren, wie die Regentropfen in kleinen Rinnsalen die Windschutzscheibe hinunter flossen. 


Heute Mal mit ein bisschen mehr Humor, als gewöhnlich. Ich hoffe der Teil gefällt euch trotzdem! :))

Ich würde mich freuen, wenn ihr mir auch ein bisschen negative Kritik in den Kommentaren da lasst, damit ich mich verbessern kann. Traut euch ruhig zu schreiben, was euch stört, was ihr gerne anders gesehen hättet, warum ihr nicht weiterlesen würdet, usw.
Vorschläge zur weiteren Handlung sind natürlich auch immer gerne gesehen. Seid hart (aber fair)! ;) 

Hazel EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt