Ich starrte auf den vollen Teller, der vor mir auf dem Tisch stand. Mit der Gabel in meiner linken Hand stocherte ich im Fleisch herum. "Schmeckt es dir?", fragte mich seine Mutter. Erschrocken fuhr ich auf. Als ich realisierte, was sie gefragt hatte, beeilte ich mich, mit einem freundlichem Lächeln zu antworten. Von rechts nahm Eric vorsichtig meine Hand. Zunächst zuckte ich vor seiner Berührung zurück, dann ließ ich es widerstrebend zu. Er hatte wahrscheinlich bereits gemerkt, dass ich mich in letzter Zeit komisch verhielt. Ich musste versuchen all das hinter mir zu lassen. Er verschränkte seine Finger in meinen. "Mama, Papa?" Ich hob den Kopf und sah, wie er mir ein verschwörerisches Lächeln zuwarf. Er sah glücklich aus. Ich konnte erahnen, was nun folgte. "Wir müssen euch etwas sagen." Seine Eltern schauten misstrauisch von einem zum anderen. Ich kratzte mich nervös an der Schläfe. "Ruby und ich werden heiraten."
Am Tisch brach eine ausgelassene Stimmung aus. Ich wurde umarmt und beglückwünscht. Wir stießen mit einem teuren Sekt an. Eric legte einen Arm um meine Schultern und ließ mich nicht mehr los. Eng an seine Brust geschmiegt, dachte ich über meine Entscheidung nach. Es war die Richtige gewesen, beschloss ich, Eric war der perfekte Mann. Ich würde niemanden finden, der mich so sehr liebte, wie er es tat.
Eine Stunde später saß ich gemütlich mit den anderen auf der Couch. Ich war in eine warme Decke gewickelt und hielt eine Tasse Kaffee in meinen Händen. Eigentlich trank ich keinen Kaffee, doch ich hatte es nicht gewagt, ihn abzulehnen. Eric schien zu sehr in das Gespräch vertieft, um etwas zu bemerken. Ich beobachtete, wie seine Augen vor Freude strahlten und mich überkam ein glückliches Gefühl. Wenn es ihn so froh machte, musste es doch richtig sein.
Oder?
Gerade erzählte er davon, wie er mir den Antrag gemacht hatte. "Wir haben uns gestritten und mir ist klar geworden, wie kindisch ich mich verhalten habe. Irgendwie war ich mir plötzlich sicher, dass sie meine einzige große Liebe ist. Also habe ich sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Ich glaube sie war erst einmal ziemlich verdutzt. Du hast nicht damit gerechnet, nicht wahr Liebling?" Ich setzte ein Lächeln auf. "Nein, das habe ich sicher nicht." Ich nippte an dem heißen Kaffee und dachte an diese Nacht zurück. Ich war absolut nicht darauf vorbereitet gewesen. Unvermittelt verzog ich das Gesicht. Die schwarze Brühe in meiner Tasse war ekelerregend bitter. Ich verstand nicht, was andere daran mochten. Eric fuhr mit seiner Anekdote fort. "Sie hat dann etwas Zeit gebraucht, um nachzudenken, aber gestern hat sie endlich 'Ja' gesagt." Meine zukünftige Schwiegermutter, die bisher gespannt an den Lippen ihres Sohnes gehangen hatte, seufzte nun melancholisch. Dann legte sie ihre raue, schwielige Hand auf meine.
"Du hattest Recht, dir erst einmal ein bisschen Zeit für dich zu nehmen. Weißt du, das ist eine wirklich wichtige Entscheidung, die keine Frau überstürzen sollte. Aber wenn man den richtigen Mann gefunden hat, dann fällt sie einem gar nicht schwer. Es ist dieser Mensch, dem man das erste Mal begegnet und plötzlich nicht mehr weiß, wer man ist oder was man vorher erlebt hat. Dann zählt nur noch dieser Moment. Er schaut dich an und all deine Sorgen sind vergessen. Sie sind nicht mehr wichtig. Schon in dem Augenblick weiß man, dass der andere etwas ganz Besonderes ist. Es ist genau die Person, die alles in dir durcheinander schmeißt, die dich deine bisherige Definition von Glück hinterfragen lässt. Du dachtest, du hättest alles, was du brauchst, um zufrieden zu leben, bis du denjenigen triffst, der immer gefehlt hat. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich Erics Vater kennengelernt habe. Ich musste nur meine Augen schließen und sofort habe ich sein Gesicht vor mir gesehen. Sein Lächeln, seine strahlenden Augen. Junge Liebe ist so etwas Schönes. Es wird uns eine Ehre sein, dich in unserer Familie aufzunehmen."
Ich schluckte. Während sie sprach, war sehr wohl ein Gesicht vor meinem inneren Auge aufgetaucht. Doch zu meinem Entsetzen war es nicht Erics, sondern das einer wunderschönen blonden Frau mit haselnussbraunen Augen. All die Gefühle, die sie beschrieb, hatte ich schon einmal empfunden. Nur leider nicht für den Mann, den ich heiraten sollte, sondern für diese eine Frau aus der Bar, die ich erst seit ein paar Tagen kannte, über die ich kaum etwas wusste.
Ein bisschen zu schnell stand ich auf. Das verträumte Lächeln auf Erics Gesicht verschwand und wich einem fragenden Blick. "Ähm, es tut mir Leid, aber mir geht es nicht besonders gut. Ich glaube, ich nehme den Bus nach Hause und lege mich erst einmal hin." Eric erhob sich ebenfalls. "Ich kann dich doch heimfahren, Schatz!" Ich schüttelte hektisch den Kopf. "Schon okay, bleib doch noch. Ich will dir nicht den Abend verderben." Zu seinen Eltern gewandt, meinte ich: "Vielen Dank für das leckere Essen. Es war sehr schön, euch mal wieder zu sehen." Dann lief ich zur Tür. Auf halbem Weg holte Eric mich ein und legte einen Arm um mich. "Bist du dir sicher?" Verwirrt schaute ich ihn an. "Womit?" "Na, dass ich dich nicht nach Hause bringen soll." "Ja, ja, natürlich." Er lächelte. Zu Abschied gab er mir einen Kuss, der mich bloß noch mehr verunsicherte. Wie sollte das bloß weitergehen, wenn ich meine eigenen Gefühle nicht verstand?
Als der Bus an meiner Haltestelle die Türen öffnete, stieg ich nicht aus. Ohne es wirklich zu realisieren, hatte ich längst ein anderes Ziel vor Augen. Erst als ich vor ihrer Haustür stand, wurde mir klar, was ich da gerade tat. Eine Zeit lang rang ich mit mir selbst, dann drückte ich auf die Klingel. Mittlerweile kannte ich ihren Nachnamen. Während ich auf eine Antwort wartete, zählte ich die Sekunden. 21, 22, 23, 24... Sie verstrichen so langsam, dass ich beinahe das Gefühl hatte, die Zeit liefe rückwärts. Als sie sich nach einer Minute noch nicht gemeldet hatte, wich ich von der Tür zurück. Vielleicht war das alles ein Fehler. Wie konnte ich mich in einer Frau verlieben, die ich erst zwei Mal gesehen hatte? Außerdem hatte sie sehr deutlich klar gemacht, was sie von unserer gemeinsamen Nacht hielt. Vielleicht war das hier ein Zeichen. Ein Omen, das alles endlich zu vergessen und mit den Hochzeitsvorbereitungen zu beginnen. Ich drehte um und lief davon.
Mit der Wohnung, an deren Fenster mir eine zarte Gestalt mit blonden, schulterlangen Haaren geistesabwesend nachblickte, blieb auch ein Stück meiner Selbst hinter mir zurück.
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Hazel Eyes
Teen Fiction"Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Doch irgendetwas läuft schief. Tief in ihrem Inneren weiß sie, dass sie jetzt gerne an einem ganz anderen Ort wäre, mit einer anderen Person. Ihr Herz gehört längst nicht mehr dem Mann im Anzug, der...