Ich sah die Klinge eines Messers durch die Luft zucken und hörte einen schrillen Aufschrei. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass ich diejenige war, die wie von Sinnen schrie. Jemand packte mich am Arm. "Lass uns gehen." Ich riss mich los. "Komm schon, die Polizei wird gleich hier sein." Mein gehetzter Blick sprang nach links. Ich blickte direkt in Erics besorgte Augen. In dem Moment konnte ich erkennen, wie eine Frau zu Boden ging. Von der anderen Straßenseite rannte ein junger Mann auf das Geschehen zu. Er brüllte und gestikulierte wild mit den Händen. Jetzt ließ der Angreifer von der verletzten Frau ab und warf sich auf den Helfenden. Ich rannte los. Hinter mir hörte ich, wie Eric sich ebenfalls in Bewegung setzte. Nur noch wenige Meter von der Verletzten entfernt, hob der Angreifer den Kopf und starrte uns entsetzt entgegen. Für einen kurzen Augenblick starrte er mir direkt in die Augen. Ich erkannte die Angst darin, sah wie seine Finger zitterten, als er aufsprang und los lief. Im Vorbeirennen versetzte er mir einen heftigen Stoß. Ich strauchelte und stürzte auf den harten Asphalt. Ein Stechen durchzuckte mein rechtes Handgelenk. Ich keuchte auf.
Neben mir kam Eric schnaufend zum stehen. "Alles in Ordnung?" Ich nickte, obwohl die Tränen in meinen Augen etwas anderes sagten. Ich presste die Hand an meinen Körper, rappelte mich auf und lief auf die beiden Verletzten zu. Der Mann hatte ein blaues Auge, atmete schwer und hatte sich über die junge Frau gebeugt. Ich konnte kaum etwas erkennen, doch der Boden war voll mit dunklem Blut und ich wusste, dass das nichts Gutes heißen konnte.
Irgendwo ertönte eine Sirene.
sechs Stunden vorher
Die Stuhllehne schnitt unangenehm in meinen Rücken. Ich war angespannt. Meine Finger zitterten unruhig, mir war kalt. Die Tür ging auf und die Ärztin lächelte mir freundlich entgegen. "Frau Hartman?" Ich nickte. "Guten Tag. Ich hoffe, sie mussten nicht zu lange warten." Sie streckte mir ihre Hand entgegen und ich griff danach. Der Händedruck war kurz und herzlos, durch und durch Routine.
"Es freut mich, ihnen Mitteilen zu dürfen, dass die Urinprobe positiv war. Das ist schon einmal ein gutes Zeichen. Wir machen jetzt noch einen Ultraschall, um ganz sicher zu gehen." Die Spannung verließ meinen Körper und ich sackte zusammen. Jetzt war es real. Ich spürte den Blick der Ärztin abschätzend auf mir ruhen. "Sie hatten keinen Nachwuchs geplant?" Ich lächelte schwach. "Nein, nicht wirklich. Der Zeitpunkt ist gerade irgendwie sehr schlecht." Die Ärztin nickte verständnisvoll. "Wir machen den Ultraschall und sollte dieser die Diagnose bestätigen, können wir uns über Ihre Optionen unterhalten." Ich starrte sie an. Optionen. Wie absurd das klang. "Eine Abtreibung?" Sie zuckte emotionslos mit den Schultern. "Zum Beispiel..."
Eine halbe Stunde später verließ ich die Arztpraxis. Vorsichtig legte ich eine Hand auf meinen Bauch. Ich dachte an das kleine Wesen, das dort in den nächsten Monaten heranwachsen würde. Ich konnte nicht abtreiben, in der Hinsicht war ich mir sicher. Das brachte ich nicht übers Herz. Ein Teil meiner Selbst hasste mich dafür, überhaupt darüber nachgedacht zu haben. Aber ich musste mit Eric sprechen, er hatte ein Recht darauf, miteinbezogen zu werden.
Der Bürgersteig war noch immer nass. Es hatte die ganze Nacht über geregnet und erst heute Morgen aufgehört. Dafür hing nun dicker Nebel über der Stadt, sodass man kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. Ein Fahrradfahrer fuhr klingelnd an mir vorbei. Nachdenklich beobachtete ich, wie er vom Nebel verschluckt wurde. Ich wollte schon immer Kinder haben. Aber die Situation war denkbar unpassend. Ich seufzte, zog mein Handy hervor und schrieb Eric, dass ich heute Abend gerne mit ihm Essen gehen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wie er auf die Nachricht reagieren würde.
Die Bushaltestelle war nun nicht mehr weit entfernt. Ich kratzte mich nervös an der Augenbraue. Ich wünschte, der Nebel könnte auch meine Probleme einfach verschwinden lassen.
Am Abend:
Im gemütlichen Dämmerlicht der Kerze beobachtete ich den Mann, der mir gegenüber saß und stirnrunzelnd die Karte studierte. Sein Gesicht hatte sich verändert, in den Jahren, seit wir uns kennengelernt hatten. Das schelmische Funkeln in seinen Augen war nach und nach verschwunden. Nun tauchte es nur noch selten auf. Eine etwas zu lange Haarsträhne hing ihm ins Gesicht. Ich widerstand dem Drang, sie zurückzustreichen. Eric trug noch immer seine Arbeitssachen. Ich hatte ihn direkt aus dem Büro abgeholt. Mit dem weißen Hemd und den grauen Nadelstreifen auf seinem schwarzen Jackett, wirkte er unglaublich erwachsen. "Ruby!" Erschrocken fuhr ich hoch. Erst jetzt realisierte ich, dass ich seit mehreren Minuten gedankenverloren in die Luft gestarrt hatte. Die Bedienung stand neben unserem Tisch und guckte etwas genervt von einem zu anderen. "Hmm?" Ich hatte keine Ahnung, um was es ging. "Möchtest du auch ein Glas Wein? Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nein, danke. Äh... Ich muss doch nachher noch fahren. Ich hätte gerne eine Apfelsaftschorle." Die Kellnerin ging kopfschüttelnd zum nächsten Tisch, um dort die Bestellung aufzunehmen. Erics Blick ruhte weiterhin auf mir.
"Was ist los, Ruby? Du bist heute extrem abwesend." Ich biss mir auf die Lippe. "Es ist nur... Es ist..." Ich atmete tief durch. "Nichts. Ich bin nur etwas müde." Er musterte mich abschätzend. Er ahnte wohl, dass etwas nicht stimmte, doch er sagte nun nichts mehr.
Die Zeit verging, das Essen kam, wir teilten uns einen Nachtisch - Ich schaffte es nicht, ihm zu sagen, was los war. Wir standen auf, zogen unsere Jacken an und traten ins Freie - Die Worte wollten einfach nicht über meine Lippen kommen. Ich wusste nicht einmal, warum mir das so schwer fiel.
Auf dem Weg zum Auto fasste ich mir ein Herz. "Eric? Ich muss dir etwas sagen." Wir hatten in einer Nebengasse geparkt, da vor dem Restaurant kein Platz mehr frei gewesen war. Es war dunkel hier, obwohl das Wetter aufgeklart war. Ich blickte nach oben. Ein paar einsame Sterne funkelten am Himmel über unseren Köpfen. Eric nahm meine Hand in seine. "Alles, was du willst." Ich wusste, dass er lächelte, obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Wir hatten das Auto beinahe erreicht. Auf der Kreuzung am anderen Ende der Straße führte ein junges Pärchen ein hitziges Gespräch. "Eric, ich bin..." Ich zuckte zusammen. Der Mann hatte einen Gegenstand aus seiner Tasche gezogen.
Das Licht der Straßenlaternen wurde von der glatten Klinge eines Messers reflektiert.
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Hazel Eyes
Teen Fiction"Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Doch irgendetwas läuft schief. Tief in ihrem Inneren weiß sie, dass sie jetzt gerne an einem ganz anderen Ort wäre, mit einer anderen Person. Ihr Herz gehört längst nicht mehr dem Mann im Anzug, der...