In einer perfekten Welt

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Wenige Minuten später waren zwei Krankenwagen und die Polizei vor Ort. Die schwer verletzte Frau wurde mit Blaulicht weggebracht. Ich machte meine Aussage und obwohl ich nicht viel gesehen hatte, waren sie dankbar für meinen Versuch, den Mann zu beschreiben. 

"Ist bei Ihnen alles in Ordnung?" Ich zuckte zusammen und blickte auf. Vor mir stand ein junger Sanitäter und lächelte mich freundlich an. "Ja. Ja, alles ok." Eric und ich saßen seit einigen Minuten unschlüssig auf einer Bordsteinkante. Wir hätten längst gehen können, doch keiner von uns war bereit, diesen Ort schon zu verlassen. Der Motor des Polizeiwagens stotterte. Dann sprang er an und das Auto fuhr davon. 

"Ganz sicher? Das sieht aus, als hätten Sie Schmerzen." Er deutete nach unten. Ich folgte seinem Blick. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meine rechte Hand eng an meinen Bauch gepresst hatte. Vorsichtig versuchte ich meine Finger zu strecken und zuckte vor Schmerz zusammen. Das hatte ich ganz vergessen. Er kniete sich vor mir auf den Asphalt und fuhr tastend über mein Handgelenk. "Sie sollten das im Krankenhaus untersuchen lassen." Ich nickte fahrig. "Wir können Sie mitnehmen..." Er deutete auf den geparkten Krankenwagen. Jetzt schaltete sich auch Eric ein. Er hatte seine Hand beruhigend auf mein Bein gelegt und ich war dankbar für seine Nähe. "Nein, unser Auto steht da drüben. Ich werde sie sofort hinfahren. Aber danke für das Angebot." Der Sanitäter nickte und hob zum Abschied kurz die Hand. Als der Krankenwagen um die Ecke bog, wurde es dunkel, dort, wo wir saßen. "Ruby? Lass uns gehen." Ich antwortete nicht. Eric stand auf, nahm mich bei den Schultern und zog mich vorsichtig hoch. "Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?" Ich nahm seine kräftige Hand in meine. "Ich verstehe nur nicht, wie ein Mensch so etwas tun kann." 

"Haben sie irgendwelche Allergien, von denen wir wissen sollten?" "Nein." Der junge Arzt schob das Stethoskop zurück in seine Tasche. Aus dem Mund roch er stark nach Fenchel. Genervt beobachtete ich, wie er ein weiteres Hustenbonbon von seinem Schreibtisch nahm und es knisternd öffnete. Dabei machte er sich ein paar Notizen. Plötzlich fiel mir ein, dass es da vielleicht doch etwas gab, von dem die Ärzte wissen sollten. Nervös blickte ich Eric an, der neben mir saß. Er sah müde aus. Ich hatte gewollt, dass er bei der Untersuchung dabei war, da ich mich in Krankenhäusern immer unwohl fühlte.

"Ich bin schwanger, falls das wichtig ist." Eric keuchte auf. "Du bist WAS? Der Arzt blickte von einem zum anderen. "Schwanger." Ich schluckte. "Das wollte ich dir vorhin sagen." Eric strahlte nun von einem Ohr zum anderen, packte meine gesunde Hand und küsste mich innig. "Ich werde Papa!"  

2 Monate später

"Bist du sehr aufgeregt?" Noelles helle Stimme erklang durch die Lautsprecher meines Smartphones. "Es geht noch. Ich glaube, ich freue mich einfach darauf." "Ruby, Ruby!" Noelle lachte. "Du heiratest morgen, meine Liebe. Erzähl mir keinen Schwachsinn, natürlich bist du aufgeregt." Ich musste grinsen. "Ja, du hast Recht, ich bin echt nervös." In dem Moment verstummte im Wohnzimmer der Staubsauger. "Ruby? Kannst du mal gucken kommen?", rief Eric von dort. "Ich muss Schluss machen, der Bräutigam ruft. Wir sehen uns morgen", verabschiedete ich mich von meiner Freundin und legte auf.  

Dann lief ich ins Wohnzimmer. "Ich glaube der Staubsauger ist kaputt." Ich fand Eric ratlos über eben diesen gebeugt. Das Wohnzimmer war so aufgeräumt, wie noch nie. Nur auf dem Tisch waren noch kleine Stapel an Kleidern und Kleinkram zu sehen. "Warum?" Eric kratzte sich am Kopf. "Er saugt nicht mehr richtig." Ich lächelte. "Hast du mal geguckt, ob der Beutel voll ist?" Eric runzelte die Stirn, dann erhellte sich sein Gesicht. "Nein habe ich nicht. Danke, du bist ein Schatz. Ich liebe dich!" Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. "Du musst nicht so versessen putzen, das weißt du, oder? Ich glaube, so ordentlich war es hier noch nie." Er nickte. "Ja ja, klar. Ich bin froh, dass ich eine Aufgabe habe. Diese Hochzeit macht mich noch verrückt!" Ich lachte laut auf. "Wem sagst du das!" Eric rüttelte unsanft am Deckel des Staubsaugers. "Ruby, kannst du noch über die Sachen auf dem Tisch gucken? Bei denen weiß ich nicht, wo sie hinkommen." 

Ich ging hinüber zu dem Tisch und begann die Sachen durchzugucken. Das meiste waren Kleider. Eine alte Jeans von mir, ein T-Shirt von Noelle, ein Paar Socken, das ich nicht zuordnen konnte. Ich kam gut voran und hatte den Stapel beinahe abgearbeitet, als ich etwas fand, was mich aus dem Konzept brachte. Vor mir lag das schwarze Spitzenkleid, welches Hazel an dem geplatzten Junggesellinnenabschied getragen hatte. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über den weichen Stoff. Ich konnte mich nicht daran erinnern, es seitdem gesehen zu haben. Eric musste es beiseite geräumt haben und jetzt war es in diesem Kleiderstapel wieder aufgetaucht. Gedankenverloren  holte ich Tasche und Jacke, packte das Kleid ein und schlüpfte in meine Schuhe. "Bin gleich wieder da", rief ich Eric zu, doch der hatte sich mittlerweile dem Fensterputzen gewidmet und war kaum ansprechbar. 

Ich wusste nicht genau, warum ich gerade in diesem Moment das Bedürfnis hatte, Hazel einen Besuch abzustatten. Vielleicht wollte ich mit allem abschließen, indem ich ihr ihr Kleid brachte, damit ich morgen heiraten und mein neues Leben beginnen konnte - Zumindest redete ich mir das ein, als ich mich auf dem Weg machte. 

Kurze Zeit später stand ich vor ihrer Tür. "Was willst du hier?" Hazels Stimme war belegt, ihr Gesicht hart. Das versetzte meinem Herz einen Stich. Ich hatte gehofft, dass sie sich zumindest ein wenig freute, mich zu sehen. Ich zog das Kleid aus der Tasche und hielt es so, dass sie es sehen konnte. Sie machte die Tür ein wenig weiter auf und nahm es entgegen. Unschlüssig verharrte ich im Eingang. "Das hatte ich schon fast vergessen", meinte sie dann, "Ich glaube, ich habe auch noch Sachen von dir. Magst du ganz kurz reinkommen?" Ich nickte schnell und sie ließ mich eintreten. Dann verschwand sie im Schlafzimmer. Ich schaute mich in der kleinen Wohnung um. Sie hatte sich nicht viel verändert, seitdem ich das erste Mal hier gewesen war. Ich dachte darüber nach, wie lange das nun schon her war und was in dieser Zeit alles passiert war.  

Schritte erklangen, Hazel kam zurück. In den Händen hielt sie meine Jogginghose und eines meiner T-Shirts. Ich lächelte. "Das hättest du auch behalten können." Sie reagierte nicht, sondern reichte mir die Sachen, ohne Augenkontakt aufzunehmen. Ich biss mir auf die Lippe, dann legte ich meine Hand vorsichtig auf ihre Schulter. Sie fuhr zusammen. "Das muss doch nicht so sein. Wir können nicht so tun, als kannten wir uns nicht, wenn wir im selben Raum sind." Sie zuckte mit den Schultern, doch jetzt sah sie mich wenigstens an. Ihre Augen strahlten noch genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht. "Ich frage mich manchmal, was in einer perfekten Welt mit uns passiert wäre", meinte ich dann. Dabei legte ich gedankenverloren eine Hand auf meinen schwangeren Bauch, der sich mittlerweile recht deutlich unter meinem Oberteil abzeichnete. Sie runzelte die Stirn, um dann den Blick erneut zu senken. "In einer perfekten Welt wären wir das perfekte Pärchen. Wie wären füreinander bestimmt." 

Ich verharrte noch kurz, dann wandte ich mich ab und ging zur Tür. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Ihre Worte trafen mich, wie ein Schlag ins Gesicht. Hazel folgte mir zur Tür. "Es war schön dich zu sehen", sagte sie mit heiserer Stimme und sie meinte es so, das wusste ich. 

Ich trat auf den Gang hinaus. Dort drehte ich mich noch einmal um. "Die Hochzeit ist morgen." Sie schluckte bitter. "Es wäre schön dein Gesicht zu sehen." Sie schüttelte den Kopf. "Das kann nicht dein Ernst sein. Warum sollte ich das wollen?" Ich holte tief Luft. "Hör zu, ich bin darüber hinweg. Es war eine schwierige Phase, aber ich liebe Eric und ich werde ihn heiraten. Dich dabei zu haben, wäre ein Zeichen dafür, dass das hinter uns liegt. Es würde zeigen, dass du ok damit bist, dass ich ihn heirate. Das würde mir alles so viel leichter machen." Sie schüttelte erneut den Kopf. "Das kann ich nicht!" Ich nickte langsam. "Das verstehe ich natürlich. Es wäre trotzdem schön, wenn du kommst. Ich werfe dir nachher eine Einladung in den Briefkasten. Ein Gast mehr oder weniger macht für die Planung keinen Unterschied. Überlege es dir." Damit wandte ich mich ab und ging davon. Bevor sich die Tür hinter mir schloss, meinte ich noch. "Ich würde mich freuen." 




Auf diesen Teil musstet ihr leider ein bisschen länger warten. Mich hatte eine heftige Erkältung erwischt, deswegen konnte ich nicht schreiben, aber jetzt geht es mir wieder gut und es kann weitergehen :-)). 
Im nächsten Teil gibt es den großen Showdown auf der Hochzeit, das wird dann auch der letzte Teil sein. :/  Ich freue mich darauf, ihn zu schreiben, ich hoffe, ihr freut euch aufs Lesen. Wie immer gebe ich keine Garantie auf ein Happy End, es kann immer noch sein, dass am Ende alle sterben. 

Muhahahah. 


Hazel EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt