"Ich sollte dir alles erzählen. Vielleicht tut es gut, endlich darüber zu reden." Ich wartete geduldig, bis sie bereit war, darüber zu sprechen. Irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass sie mir etwas sehr Wichtiges anvertrauen würde. "Ich habe dir doch von meinem Ex erzählt, oder?" Ich nickte stumm. Das war bei unserer ersten Begegnung gewesen, ich erinnerte mich dunkel.
"Ich habe gelogen. Eigentlich war ich mit einer Frau zusammen. Ich habe sie wirklich geliebt. Ich glaube, sie war die Liebe meines Lebens. Alles war perfekt. Und dann - dann - " Ich konnte genau erkennen, wie sie mit den Worten kämpfte.
"Dann hatte sie einen Autounfall. Sie hatte nicht mal Schuld, es war Fahrerflucht, die Polizei hat das Schwein nie gefunden. Sie ist im Krankenhaus gestorben, die Ärzte konnten nichts mehr für sie tun." Entsetzt starrte ich sie an. Sie wandte sich ab, nicht fähig mir in die Augen zu sehen. "Oh mein Gott." Ich war nicht in der Lage meine Gefühle in Worte zu fassen, also zog ich sie bloß eng an mich und hielt sie fest. Sie vergrub ihr Gesicht in meinen Armen und ich ließ es zu. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Irgendwann löste sie sich aus meiner Umarmung und sprach weiter. Ihre Stimme war heiser und gehetzt, sie atmete hektisch.
"Als ich davon erfahren habe, war ich am Ende. Ich habe mich in meinem Zimmer eingesperrt und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. All die Pläne, die wir gemacht hatten, die gemeinsame Zukunft, das alles war plötzlich weg. Es war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen." Sie machte eine kleine Pause, als würde sie überlegen, was sie als Nächstes sagen sollte.
"Meine Eltern wussten nichts von uns. Sie dachten, sie wäre bloß eine entfernte Bekannte gewesen und haben nicht verstanden, warum es mir so schlecht ging. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und es ihnen gesagt. Und statt, dass sie mich in den Arm genommen haben, haben sie... Sie haben..." Plötzlich hob sie ihren Blick und rückte ein wenig von mir ab. Sie wischte sich mit der Hand über ihr Gesicht. "Vielleicht war es eine blöde Idee, dir das alles zu erzählen. Ich kenne dich kaum. Du hältst mich jetzt sicher für verrückt. Ich sollte gehen." Mit diesen Worten sprang sie auf und verließ den Raum.
Verwirrt blickte ich ihr nach. Als ich mich von dem ersten Schock erholt hatte, lief ich ihr hinterher. Im Wohnzimmer fing ich sie ab. "Hazel!" Sie verharrte. Ich packte sie vorsichtig am Arm. "Ich denke, ich kenne dich besser, als die meisten Menschen. Es ist okay, wenn du eine Pause machen möchtest, aber ich lasse dich so nicht gehen. Hörst du? Ich lasse dich nicht gehen." In ihren Augen glimmte ein kleiner Hoffnungsschimmer. "Lass dir so viel Zeit, wie du willst. Ich bleibe genau hier und warte, bis du soweit bist, okay?" Sie nickte langsam. "Okay."
Zusammen gingen wir zurück ins Schlafzimmer. Ich setzte mich ihr gegenüber, nahm ihre warmen Hände in meine und wartete, bis sie fortfuhr.
"Meine Eltern, sie haben mich angeschaut, als hätte ich eine Krankheit. Plötzlich war ich nicht mehr ihr Kind. Sie haben mich behandelt, wie eine Aussätzige. Sie leben gar nicht in England, aber es fühlt sich so an. Das war alles zu viel für mich. Also bin ich ausgezogen, habe eine Zeit lang bei einer Freundin gelebt. Dann kam ich hierher. Ich wollte neu anfangen. Und das erste Mal, das ich ausgehe, treffe ich dich. Und...verliebe mich in dich." Nervös blickte sie mich an. Ich lächelte. Sie hatte gesagt, dass sie mich liebte. "Und dann stellt sich heraus, dass du heiraten wirst. Ich hatte Hoffnung, weißt du? Hoffnung, dass es vielleicht doch eine zweite Chance für mich geben kann, glücklich zu werden." Ich nickte heftig. "Aber diese zweite Chance ist nicht vorbei! Sie schwebt direkt vor unserer Nase, wir müssen doch bloß noch zugreifen. Das kann auch für mich ein Neuanfang werden." Hazel runzelte die Stirn, dann meinte sie beinahe abfällig: "Du wirst heiraten." Ich nickte. "Ich werde heiraten." Ein kurzes Schweigen folgte.
"Es sei denn, du gibst mir einen Grund, es nicht zu tun. Ich möchte dich nicht verlieren." Ich biss mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Dann fuhr ich fort und gab meiner Stimme einen sanften Klang. "Weißt du, du kannst mir von ihr erzählen, wenn du magst." Hazel wirkte verständnislos. Es war klar, dass sie wusste, um wen es ging. "Warum solltest du das hören wollen?"
Draußen hatte es begonnen zu regnen. Die Tropfen prasselten unbarmherzig auf das kleine Fenster ein. Die Zeiger der Uhr an meiner Zimmerwand klopften ihren immer gleichen Rhythmus. "Ihr wird immer dein Herz gehören. Ihr wart nicht fertig, ihr habt euch nicht getrennt. Sie hat dich geliebt. Du tust es noch. Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, dass du mir ein kleines Stückchen deines Herzens schenkst. Aber ich möchte nicht mit ihr darum kämpfen. Ich akzeptiere die Tatsache, dass dieser Mensch für dich wichtig ist, auch wenn sie nicht mehr bei dir sein kann." Meine Worte wurden fester, ich wurde sicherer, das Richtige zu tun. Es fühlte sich so gut an, hier mit ihr zu sein, es konnte nicht falsch sein. "Deswegen möchte ich wissen, wer sie war. Zumindest so viel, wie du mir erzählen willst. Ich - Ich -" Ich nahm all meinen Mut zusammen. "Ich möchte wissen, mit wem ich mir dein Herz teile." Hoffnungsvoll blickte ich in ihre braunen Augen.
Doch Hazel stieß bloß ein bitteres Lachen aus. "Du bist schwanger Ruby!" Ihre Worte trafen mich hart. Bei dem ganzen Durcheinander hatte ich das verdrängt und ganz tief in meinem Gehirn vergraben. Hazel stand auf. "Es tut mir Leid, aber ich kann das nicht, für mich wird es sich immer anfühlen, wie Betrug. Ich bin noch nicht soweit." Enttäuscht ballte ich meine Hände zu Fäusten. "Du hast mit mir geschlafen!" Sie schüttelte den Kopf. "Das ist etwas anderes." "Ist es nicht! Nicht für mich." Ich schrie jetzt beinahe. Wenn sie jetzt ging, dann ließ sie mich bloß noch viel verzweifelter zurück.
An der Tür verharrte sie. "Heirate Eric. Das ist das Beste für uns beide. Er ist perfekt. Werde glücklich mit ihm, kriegt Kinder zusammen. Ich wünsche dir, dass deine Träume in Erfüllung gehen, Ruby. Mein Leben ist verkorkst. Deines genauso. Das hier kann nicht funktionieren. Letztendlich würde nur einer von uns verletzt werden."
Dann ging sie. Ich hörte die Tür ins Schloss fallen. Und dieses Mal ließ ich es zu.
Zurück blieb ich mit einem kaputten Herzen, zerbrochen in 1000 Stücke, ohne auch nur die leiseste Ahnung, wie ich es jemals wieder zusammensetzten sollte.
DU LIEST GERADE
Hazel Eyes
Teen Fiction"Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Doch irgendetwas läuft schief. Tief in ihrem Inneren weiß sie, dass sie jetzt gerne an einem ganz anderen Ort wäre, mit einer anderen Person. Ihr Herz gehört längst nicht mehr dem Mann im Anzug, der...