Prüfungen in Hogwarts (01.06.2016 - 30.06.2016)

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Langsam blätterte er die Seite seines Buches um, das kaum eine Spanne lang war, sodass er es mit einer Hand halten konnte. Um ihn herum saß eine Gruppe junger Männer, die unter Bergen an Pergamenten, Enzyklopädien und Tintenfässern zu versinken schienen. Immer wieder glitten die Blicke der anderen nach oben zum Jungen am Tischende, der völlig in seiner Lektüre versunken war - am Lernen wie jeder andere auch. So, sah es zumindest aus.

Die Gruppe war nicht alleine in der Bibliothek. An jedem Tisch hatten sich Schüler aller Häuser versammelt um noch ein letztes Mal ihre Aufschriebe durchzulesen oder um noch schnell etwas in einem der unzähligen Bücher nachzuschlagen in der Hoffnung, dass genau das am nächsten Tag während ihren UTZ gefragt werden würde. Obwohl die Bibliothek so voll war wie kaum während des Schuljahres, herrschte eine angespannte Stille, die nur durch das Bewegen von Blättern oder das gelegentliche Zuschlagen von Büchern durchbrochen wurde.

Erneut blätterte der Junge am Tischende eine Seite um. Das Geräusch und die leichte Bewegung seines Daumens ließen sofort drei Augenpaare auf ihn fahren. Bis auf das zierliche Buch in seiner Hand lag auf der Arbeitsfläche vor ihm nur ein leeres Pergament mit einer Feder im Tintenfass. Keine Aufschriebe, keine Nachschlagewerke. Das einzige saubere Fleckchen auf einem Holztisch voller Chaos.

Im Gegensatz zu allen anderen war er nicht hier um zu lernen. Er war hier um sicherzustellen, dass sie lernten. Mit einem Ruck klappte er das Buch zu, wodurch einige leicht zusammenzuckten. Daraufhin erhob er sich träge von seinem Stuhl ohne einen Laut von sich zu geben. Langsam ging er einen Jungen nach dem anderen ab und schaute über ihre Schultern und damit auf ihre Aufschriebe. Seine Miene blieb völlig ausdruckslos.

"Avery, die Formel ist falsch angesetzt. Nochmal."

Ein Lob würde er niemals aussprechen. Stattdessen ging er weiter, sollte er nichts finden, dass es zu bemängeln gab. Tom Riddle fand jedoch immer etwas, das nicht perfekt war.

"Lestrange, ein Dullahan ist keine Ausnahme von Gamp's Gesetz."

"Gibbon, 'Rind' ist nicht die Bedeutung von 'Eihwaz'."

Es dauerte nur Sekunden, bis der Fehler auf dem entsprechenden Arbeitsblatt gefunden war. Kaum war er weitergegangen beeilte sich jeder der angesprochenen ihre Mängel zu verbessern. Viele zogen ein größeres Pergament zur Hilfe. Der sorgfältig und gleichmäßig ausgeführte Text, mit das Pergament beschrieben war, unterschied sich merklich vom Rest der Aufschriebe.

Tom beendete seine Runde und nahm wieder Platz, wo er kurz beobachtete, wie seine ... Lerngruppe über seine eigens für sie angefertigten Notizen hing. Wortlos nahm er das Buch vor ihm auf dem Tisch wieder zur Hand und schlug dort auf, wo er den Text verlassen hatte. Der Ledereinband war von den Jahrhunderten verschlissen und abgenutzt, sodass schon lange kein Titel mehr lesbar war.

Er wusste, dass fast allen ihre UTZ völlig egal waren. Wer konnte schon sagen, was die Zukunft bringen würde, dachten sich die einen. UTZ würden sie in ihrer Welt nicht mehr benötigen, dachten sich die anderen. Riddle bestand jedoch auf seine persönliche Elite. Wie sollten sie eine bessere Welt erschaffen, wenn sie noch nicht einmal besser als all die Unwürdigen in einem Test sein konnten?

Jeder hier hatte Träume, die sie sich erfüllen wollten, Wünsche für ihre Zukunft. Dafür arbeiten sie, steigerten sich in ihre Studien um den Weg für ihre Zukunft zu ebnen. Wie lächerlich, dachte Tom. Das einzig Wichtige waren Prestige und Ansehen.

Alles, was er im Moment sah, war ein Haufen aufgeschreckter Hühner, die bei jeder Gelegenheit über sich selbst stolperten. Seit Tagen beobachtete er, wie sie ihre Nasen in Bücher steckten, ohne wirklich etwas aufzunehmen. Die Nerven eines Jeden lagen blank. All die Sprüche über Zukunft und Träume waren nur hohles Geschwätz. Sie alle dachten nur daran ihre Prüfungen zu bestehen. Nicht so Tom. Er wusste genau, was er wollte und wie er es erreichen würde.

Nervosität oder andere unsinnige Gefühle kannte er nicht, wieso auch. Er würde jeden Test bestehen, dafür hatte er gesorgt. Zwei Prüfungen hatte er bereits hinter sich: Tränke und Zauberkunst. Der Theorieteil war schlichtweg lachhaft gewesen und die Praxis nur unmerklich anspruchsvoller. Er hatte erwartet seine Leglimentik einsetzten zu müssen, doch er war durch jede Prüfung gekommen ohne auch nur einmal in die Gedanken des Prüfers zu schauen.

Er hatte sich die UTZ weitaus schwieriger vorgestellt und war schon fast enttäuscht, wie wenig er gefordert wurde.

"Eh-mh. Tom? Eh V-verzeihung, dürfte ich dich kurz etwas fragen?" Eine dünne Stimme zu seiner Rechten ließ ihn herum fahren. Sofort setzte er das falsche Lächeln auf, das er in all den Jahren perfektioniert hatte. Er bemerkte, wie Gibbon zu seiner Linken etwas sagen wollte, doch ein kurzer Blick von Riddle ließ ihn und alle anderen am Tisch verstummen.

Die Höflichkeit verlangte es, dass er sich erhob, sodass das Mädchen nicht auf ihn herunter schauen musste und sicherlich würde sie es auch so verstehen: als Geste der Höflichkeit. In Wahrheit hasste er es von oben herab angesehen zu werden.

"Aber natürlich", sagte er mit einem leichten Lächeln, sodass die Augen des Mädchens glitzerten. "Wo liegt denn das Problem, Margot, richtig?" Während sie sich erleichtert auf das Stellen ihrer Frage konzentriert hatte, hatte sich Tom in ihr Bewusstsein geschlichen, um ihren Namen herauszufinden

"Ja, richtig. Margot", strahlte sie und fuhr sich nervös durch das braune Haar. Regel Nummer 4 im gesellschaftlichen Umgang: kenne den Namen deines Gegenübers, um ihm das Gefühl zu geben wichtig zu sein. Menschen waren so leicht zu manipulieren.

"Ich habe eine Frage zu dieser Pflanze." Während sie sprach hob sie einen Wälzer nach oben und schlug eine Seite auf, die sie zuvor mit ihrem Finger gesichert hatte. Er würdigte dem alten Buch in ihrer Hand kaum eines Blickes.

"Natürlich hast du das", säuselte er. Margot war jedoch zu sehr in seinem Charme gefangen um die Botschaft zwischen den Zeilen zu entziffern. Das leise Gekicher der Jungs am Tisch verriet, dass sie die Bedeutung verstanden hatte.

"Hier steht, der Löwenfuß kann magisch zum Wachstum verholfen werden. Ich habe es mit Nyd versucht und sogar den Lapislazuli mit in die Rechnung genommen, aber es ge-"

"Ich verstehe. Die Numerologie ist offensichtlich 5, daher sollte es mit der Polygonum Aviculare keine Probleme geben." Er griff neben sich und begann auf dem Pergament zu schreiben. "Das Wachstum wird durch den Stein hervorgerufen, dessen Eigenschaften von der Rune verstärkt wird." Innerhalb kürzester Zeit hatte er das Pergament beinahe vollgeschrieben und reichte es Margot, die es neugierig entgegen nahm. Es waren Zahlen umrundet von Runen zu sehen, die für den Außenstehenden kaum Sinn gemacht hätten. Auch Margot starrte ungläubig darauf, drückte schließlich das Pergament an die Brust und bedankte sich. Sie hüpfte wie ein kleines Schulkind zurück zu ihrem Tisch, dass Tom schlecht wurde.

"Wieso hast du dem Schlammblut geholfen?", fragte Lestrange kaum, dass sie außer Reichweite war.

"Habe ich nicht", antwortete er und starrte jedem einzeln ins Gesicht, als wartete er auf eine weitere Reaktion."Niemand? Wie enttäuschend."

"Was ist enttäuschend? Dass deine Schoßhunde ihre UTZ nicht schaffen werden? Durchaus", meldete sich eine weitere Stimme. Tom hob seine Brauen und drehte sich zum neuen Gast um.

"Fawley, wie immer ein Vergnügen dich zu sehen."

Ein Mädchen mit kurzen, blonden Haaren stand hinter Tom. "Man merkt, dass du deine UTZ nicht in Kräuterkunde machst. Der große Tom Riddle kann eben nicht überall ein Genie sein." Während sie sprach hatte sie ihre Hände vor der Brust verschränkt und ein breites Lächeln aufgsetzt. Tom lehnte nur unbeeindruckt gegen seinen Stuhl.

"Wenn du zugehört hast, wieso hast du der armen Margot nicht geholfen?"

"Und die Gelegenheit verpassen dich einen Fehler machen zu sehen? Niemals."

Tom grinste. "Augusta, bitte. Solche Gedanken wären eines Slytherin würdig." Sein Blick glitt zu ihrer gelben Krawatte. "Wir werden doch nicht die Werte unseres Hauses vergessen."

Ihr eben noch triumphierendes Lächeln erstarrte zu einer Grimasse. "Deshalb werde ich Margot auch sagen, dass sie dein Pergament verbrennen sollte."

"Überheblichkeit und unnötige Gewalt. Zeigt unsere Schulsprecherin etwa am Ende des Schuljahres ihr wahres Gesicht?", schaltete sich Avery ein, der jedoch sofort von Tom zum Schweigen gebracht wurde.

"Danke, Avery, für deinen Beitrag." Seine Aufmerksamkeit wechselte wieder zu Augusta. "Seit wann bist du eigentlich Experte für Kräuterkunde? Ach ja richtig, seit du dich mit Longbottom abgibst."

Augusta Fawleys Gesicht lief rot an. "Edmund hat nichts damit zu tun. Sowas weiß man einfach."

"Margot wusste es nicht."

"Wenn es nach dir ginge, würde sie es auch nie wissen."

"'Nie' ist ein so hartes Wort." Die Unterhaltung begann ihn zu langweilen, weshalb er stattdessen von seiner Position aus die Aufschriebe von Avery erneut begutachtete. Wieder waren seine Berechnungen daneben, was er scheinbar bereits selbst bemerkt hatte.

"-tionen gibst", hörte er Augusta sagen. Kurz wanderte er in ihr Gedächtnis, um eine Vorstellung zu bekommen, wovon sie gerade redete.

"Meine Informationen waren nicht falsch, Augusta. Und ich würde es begrüßen, wenn du deinerseits erst deine Annahme überprüfst, bevor du mich etwas bezichtigst. Die Rechnung geht für Polygonum Aviculare ohne Probleme auf."

"Falsch, Polygon-" Sie erstarrte mitten im Satz und erblasste. Tom glitt zur Seite und schob seinen Stuhl zurück.

"Möchtest du dich setzten? Du siehst etwas krank aus."

Sie ließ die Hände resigniert fallen und damit auch ihre selbstsichere Haltung. Nun wirkte sie um einiges kleiner, als Tom. "Wieso hast du ihr nicht einfach gesagt, dass sie die Pflanze verwechselt hat?" Auch ihr Ton war kaum noch mehr als ein Flüstern.

Tom hob abwehrend die Hände. "Weil es nicht meine Angelegenheit ist, die Arbeit für andere zu machen. Wenn sie drei Seiten weiter in ihrem Buch geblättert hätte, wäre ich die Verwechslung aufgefallen. Das kann sie immer noch."

"Sie hat deine Notizen. Sie wird dieses Buch nie wieder anrühren", gab Augusta abwehrend zurück.

"Wer schlampig arbeitet und nur Notizen vertraut ist selbst Schuld. Sollte sie deshalb durchfallen ist es nicht mein Problem."

Augusta ballte ihre Hand zur Faust. "Ich hoffe ich muss dich nie wieder sehen." Damit ging sie Richtung Margot ab, vermutlich um die Verwechslung aufzuklären.

"Da wäre ich mir nicht so sicher", flüsterte Tom ihr hinterher, bevor er sich wieder den anderen widmete. Er starrte in viele blasse Gesichter und beobachtete noch mehr zitternde Hände, die seine Aufschriebe hielten. Ausdruckslos nahm er wieder Platz. Um ihn herum wurden dutzende Enzyklopädien aufgeschlagen und mit den beschriebenen Pergamenten verglichen. Tom selbst nahm sein in Leder gebundenes Büchlein zur Hand und wartete.

"Ich erwarte von jedem von euch, dass er nicht blind auf einen Text vertraut", begann er schließlich. "Sie geben eine Grundbasis, doch man ist selbst verantwortlich, wie man sie einsetzt. Denkt außerhalb der Box um das größte Potential herauszuholen." Einige nickten stumm. "Größtes Potential. Das ist es, was ich verlange. Wer weniger liefert, kann sich zu dem Schlammblut gesellen und Fawley die Hand schütteln." Mit jedem Wort wurde sein Ton eisiger und trotz der Stille im Raum, hatten ihn nur die ausgewählten Personen am Tisch gehört und auch verstanden. Kurz ließ er seine Worte wirken und widmet sich schließlich wieder dem Oera Linda Manuskript.

Menschen waren so simpel, dachte Tom. Gebt ihnen ein Ziel, Konsequenzen und stellt Anforderungen um sie dahin zu leiten, wo sie hin sollten. Prüfungen arbeiteten auf diese Weise seit Jahrtausenden. Sie zerbrachen die Schüler geistig, bis sie aus nervlichen Wracks bestanden, die nur noch der Prüfungen wegen funktionierten. In diesem Zustand konnte man mit ihnen machen, was man wollte. Zwänge, die sich die Menschen selbst auferlegte. Er würde diese Zwänge ausnutzen, dachte er. Er würde die Formen nach seinen Vorstellungen und eine neue Welt für die erschaffen, die nicht völlig zerbrachen.

Vorher galt es die UTZ hinter sich zu bringen. Nur noch wenige Tage und Hogwarts würde nur noch eine Erinnerung aus der Vergangenheit sein. Dann begann die Zukunft. Seine Zukunft.

Kurzgeschichten aus der Welt von Harry Potter - HP One ShotsWhere stories live. Discover now