Dienstag ( 18. / 19. )

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18. Kapitel: ***Ash***
Die Tür fiel knarrend ins Schloss, danach herrschte Stille. Dienstagnachmittag, Schule aus, endlich. Ich atmete erleichtert den leicht abgestandenen Geruch von alten Büchern ein, der mir so vertraut vorkam. Vorsichtig tappte ich durch die Reihen, auf deren Gestellen sich Hunderte von Büchern reihten. Die Bibliothek war mit Abstand mein Lieblingsort in diesem Heim. Hier hatte ich meine Ruhe und konnte den Rest der Welt vergessen. Gedankenverloren liess ich meine Finger über die Buchrücken wandern und zog schliesslich ein Buch heraus, klemmte es mir unter den Arm und schlenderte zwischen den Gestellen in den hinteren Teil der Bibliothek, in der sich die Sitzgelegenheiten boten. Doch als ich um die letzte Ecke bog, blieb ich erstaunt stehen. Hier sass schon jemand. Der Junge bemerkte mich nicht. Er hatte die Knien mit den Armen umschlungen und blickte mit leerem Blick nach vorne. Erst als ich näher trat, mich räusperte, schien der Junge mich wahrzunehmen. Er zuckte zusammen und wandte sich mir zu. "Hi, ähm... - geht's dir nicht gut?" Fragte ich, denn mir waren Tränenspuren auf seinen Wangen aufgefallen. Der Junge schüttelte den Kopf und schien einen Punkt hinter mir zu fixieren. "Du bist doch der Neue, nicht wahr? Wie heisst du nochmals?", fragte ich weiter. "Dan", kam es rau über seine Lippen. Ich seufzte, stieg die Treppen hoch und setzte mich neben ihn. "Ist was?", fragte ich mitfühlend. Der Junge starrte weiter Löcher in die Luft. "Haben dich Alex und Isaac erwischt?" Dan zuckte zusammen und ich merkte, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. "Ich will nach Hause", wisperte er erstickt, Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln. Hilflos sass ich neben ihm. "Aber mein Vater hat keine Zeit, und meine Mutter-", er schnaubte verächtlich und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, "ach vergiss es, mir geht's gut." "Ich kann dich verstehen", flüsterte ich, dann schwiegen wir. Nur das Ticken der altmodischen Wanduhr, die inzwischen sechzehn Uhr zeigte, durchbrach die Stille...//

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19. Kapitel: ***Josh***
Das Skateboard rollte holpernd über die gepflasterte Dorfstrasse hinunter, als ich mich mit Logan und Georg der Dorfmitte näherte. Georg, der gerade das Schulgelände betrat, drehte sich um und fragte, "ihr wartet hier, oder?" "Wir gehen rüber, zum Skateplatz, aber ja, wir warten", meinte ich und klemmte mir das Brett unter den Arm. Georg machte ein Handzeichen, dass er verstanden hatte und verschwand in der Schule, während ich mit Logan um ein paar Ecken des Dorfes bog und den Skateplatz betrat. Der Platz war am Rand von Laubbäumen gesäumt, die Schatten warfen, in der Mitte waren ein paar Rampen aufgebaut. Ein paar kleine Kinder spielten Fangen und rannten im hinteren Teil des Platzes umher, ansonsten war alles ruhig. Nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Blätter im Wind durchbrach die sommerliche Stille. Ich stellte mich auf mein Skateboard und rollte über den Platz. Da das Dorf auf einem Hügel lag und der Skateplatz am Rande des Hanges, konnte man durch die Laubbäume, hinunter ins Tal blicken und in der Ferne das Meer erkennen. Nach ein paar Runden und Tricks hatte ich keine Lust mehr und stellte mich neben Logan in den Schatten, der sich auf einer Bank niedergelassen hatte. Die Kinder hatten aufgehört zu spielen und hatten den Platz verlassen. Inzwischen war es nach siebzehn Uhr. Die Sonne schien, der Betonboden reflektierte die flammende Hitze. Ich hatte mich inzwischen neben Logan auf die Bank niedergelassen und starrte Löcher in den Boden. Ich schwitzte trotz kurzem Shirt und den Shorts die ich trug. Logan schien es ähnlich zu gehen. "Was machst du heute noch?", fragte ich ihn, um die Stille zu überbrücken. "Heute ist Dienstag, oder?" Ich nickte bestätigend. Er zuckte die Schultern. "Keine Ahnung", meinte er, "vielleicht Hausaufgaben." "Haben ja kaum noch was auf", warf ich ein und er zuckte erneut die Schultern. "Ja stimmt. Bald sind Sommerferien", sagte er, schien mit den Gedanken aber woanders zu sein. "In eineinhalb Wochen, um genau zu sein", meinte ich und stiess ihn an. "Hey, was los? Geht's dir nicht gut?" Er schüttelte den Kopf, lächelte, doch wirkte er trotzdem abwesend und niedergeschlagen auf mich. "Und? Was macht ihr dann so?", fragte ich. Wieder zuckte er mit den Schultern. "Zuhause bleiben wahrscheinlich. Vielleicht fahren wir mal noch nach-", doch er wurde jäh von einem aufheulenden Motorengeräusch unterbrochen. Wir drehten uns um und blickten durch die Bäume auf das Tal hinunter, auf deren Strasse, die sich zwischen den Bäumen auf den Berg hinauf schlängelte, ein schwarzer Lieferwagen fuhr. Durch die Entfernung war nicht auszumachen, wer den Wagen steuerte, denn er hatte getönte Scheiben, was einen Blick in das Innere des Wagens unmöglich machte. Als er auf Höhe der Kreuzung zwischen Dorf und Heim war, blickte ich Logan beunruhigt an. Solche Wagen fuhren normalerweise nicht hier herauf. Logan schien dasselbe zu denken und verfolgte den Wagen mit seinen Augen, der langsam die Abzweigung zum Heim nahm und dann hinter den Bäumen, mit aufheulendem Motor, verschwand...//

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