Kapitel 6
Was Leslie mir zum Anziehen herausgesucht hatte, war gar nicht mal so schlecht, wie ich anfangs dachte. Ich trug eine enge Jeans mit einem schlichten schwarzen Top und einem rosa karierten Holzfällerhemd, das ich um die Hüfte binden konnte, wenn es später wärmer werden würde. Und das war garantiert: mir würde auf jeden Fall warm werden - vor Wut. Meine Haare trug ich offen über den Rücken, sodass sie mein dezent geschminktes Gesicht umspielten. Leslie hatte es tatsächlich geschafft alle Anzeichnen eines Tränenausbruchs zu kaschieren, wofür ich ihr mehr als dankbar war. Unten hatte ich noch meine weißen lieblings Chucks angezogen und mich von Leslie verabschiedet, die schwören musste, dass sie weder Charlotte noch Gideon in der Zwischenzeit aufsuchen würde, um sie anschließend fertig zu machen. Charlotte hatte ich seit dem Kuss mit Gideon vor ein paar Stunden auch weder gehört noch gesehen. Mittlerweile war es schon nach 14 Uhr und ich erreichte die Loge in der schwarzen Limousine, die mich wie immer pünktlich abgeholt hatte. Auf dem Weg zur Tür wurde mir immer mulmiger zumute. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte, wenn ich Gideon treffen würde. Wäre ein Wutanfall oder Ignoranz eher angemessen? Bei Mrs Jenkins an der Rezeption hatte ich mich immer noch nicht entschieden, während sie davonhuschte um Mr George zu holen. Diese ganze Situation erinnerte mich an die ganze Sache von vor 2 Monaten, als ich herausgefunden hatte, dass Gideon mich gar nicht liebte, was er dann aber doch tat. Und jetzt anscheinend doch nicht. Vor lauter Nervosität wurde mir ganz schwummrig und heiß, weswegen ich kurzerhand mein Hemd von den Schultern nahm und es mir mit einem lockeren Knoten um die Hüften band, wie Leslie es geraten hatte. In dem Moment kam auch schon glücklicherweise Mr George ums Eck, der im Gegensatz zu gestern viel freundlicher und entspannter wirkte. Hoffentlich waren sie in der Angelegenheit mit Mr Whitman schon weiter gekommen. "Hallo, Gwendolyn." Ich versuchte mich ebenfalls an einem Lächeln zur Begrüßung, aber es misslang mir kläglich. Sofort wurde auch die Miene meines Gegenübers ernster und besorgter. "Alles okay? Fühlst du dich nicht gut?" "Nein, alles okay", log ich. "Ich bin nur etwas...krank." "Na dann schicken wir dich heute nicht so lange zum elapsieren. Nicht, dass du dir noch etwas Ernstes einholst. Komm." Wie immer ging es den selben Weg durch die Loge zum elapsieren. "Soll ich dir Gideon nachschicken, damit du nicht so alleine bist? Er hat sein Kontingent zwar schon erfüllt, aber..." "Nein", erwiderte ich bestimmt und bekam schon Gänsehaut bei dem Gedanken daran, mit ihm 2 Stunden alleine eingesperrt zu sein. Noch war ich nicht bereit dazu. Mr George runzelte erstaunt die Stirn, da er wusste, wie unzertrennlich wir in den letzten Wochen geworden waren. "Ich...will nicht, dass er sich ansteckt", erklärte ich ihm kurzerhand und Mr George wandte seinen Blick wieder nach vorne, während wir die Treppe in den Keller hinabstiegen. Erleichtert atmete ich auf und freute mich schon auf die Zeit alleine in dem kleinen Raum zum Nachdenken. Als wir schon ein paar Meter vor der Tür zum Elapsierraum waren, hörte ich eine Stimme leise von den Wänden widerhallen. Sie war aber noch so weit entfernt, dass Mr George sie in seinem Alter wohl unmöglich hören konnte. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich mich nicht nach ihr umdrehen sollte. Als die Stimme erneut ertönte, konnte ich ihren Klang auch einer bestimmten Person zuordnen. "Können wir vielleicht etwas schneller gehen? Ich würde mich gerne so schnell wie möglich hinlegen", sagte ich so verzweifelt es nur ging. Mr George nickte nur und tatsächlich erreichten wir ein paar Sekunden später schon unser Ziel, wo er gleich den Chronografen auf irgendeinen Tag in den 50ern einstellte. Schnellen Schrittes war ich vor dem Gerät und legte meinen Finger erleichtert in die Öffnung. Von draußen ertönte das Klicken der Türklinke und während der Raum bereits vor meinen Augen verschwamm, stand Gideon auch schon im Türrahmen und schaute mich an. Glücklicherweise konnte er meine aufsteigenden Tränen nicht mehr sehen, da ich im Hauch einer Sekunde später schon verschwunden war.
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Diamantklar - Liebe geht durch alle Zeiten
Fiksi PenggemarDer Graf ist besiegt, Gwen und Gideon sind zusammen glücklich, sie können sich vertrauen. Alles ist wie im Märchen - dachten sie. Doch auch das schönste Märchen hat seine Tücken. Gwens und Gideons Vertrauen wird erneut auf eine harte Probe gestell...