Nach dem Traum

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Nachdem sie einen gellenden Schrei noch in der Luft über der Akademie gehört hatte stürzte die Hexe auf ihrem Besen direkt auf das Turmfenster zu, aus dem das nächtliche Geschrei hervordrang, anstatt wie geplant die Nacht in einer Unterkunft in Worms zu verbringen und am nächsten Vormittag pünktlich zum Gästeempfang dabei zu sein. Glücklicher Weise stand dieses Offen, so dass sie ohne weitere Schwierigkeiten in das prachtvoll ausgeschmückte Zimmer eindringen konnte und Erasmus von Worms, von Schweiß überdeckt aus seinen Albträumen wecken konnte. Der arme Mann war ganz verschreckt und wollte schon nach dem Degen neben seinem Bett greifen, erkannte jedoch im letzten Moment, dass es sich bei der vor ihm stehenden, in rotgelbe Seidentücher gewandte Person nicht etwa um eine schattenhafte Albtraumgestalt handelte, sondern um Brünnhilde persönlich, der er doch erst vor zwei Tagen einen Brief geschrieben hatte.

Nun war der Konferenzmeister deutlich verdutzt. Wie war das möglich? Wie konnte die Gewächsmeisterin innerhalb so geringer Zeit den Weg von Thüringen bis Worms zurücklegen?? Oder war es garnicht so kurzfristig? Vielleicht lag er ja schon länger in diesem Komahaften Zustand und Brünnhilde hatte ihn mit irgendeinem Trank aufgeweckt. Oder war das ganze doch nur eine Illusion?

Als hätte sie seine Gedanken gelesen deutete die Gewächsmeisterin erklärend auf das Objekt, dass sie in ihrer linken Hand hielt und sprach: “Ich habe mich auf den Weg gemacht, sobald ich euren Brief erhalten hatte. Und wie ihr wisst ist es per Luftlinie nicht weit von Worms nach Ruhla.”

Und tatsächlich erkannte Erasmus nun das verwachsene Holzstück mit verwurzeltem Ende, zweifelsfrei ein Thüringer Flugstab.

Einst erlaubte ihm das Alter noch selbst auf einem solchen magischen Konstrukt durch die Luft zu segeln, doch nun war er schon seit zwei Jahren so gebrechlich, dass er es sich nicht einmal mehr wagte sich auf einem eigentlich sehr bequemen fliegenden Teppich in die Lüfte zu erheben.

Während sich der Konferenzmeister also über die wundersamen Umstände wunderte nahm die Gewächsmeisterin auf einem der gepolsterten Stühle platz und begann eifrig diverse Kräuter und Pülverchen aus ihren unzähligen ledernen Gürteltaschen zu friemeln. Ein kühler Luftzug blies angenehm durch das geöffnete Fenster und ließ den warmen Schweiß auf Erasmus Stirn abkühlen.

Nun begann Brünnhilde die Kräutermischung mit dem Knauf eines kleinen schwarzen Dolches zu zerstampfen und in einem schönen Becher mit einer säuerlich riechenden Flüssigkeit zu vermengen.

Um nicht untätig da zu liegen erhob sich der Konferenzmeister mühselig aus seinem Bett und machte sich daran die im Raum verteilten Kerzen und Öllampen mit einem langen feuerstab zu entzünden. Als der Raum also in ein wohliges gelbes Licht getüncht war trat Erasmus an die Gewächsmeisterin und erkundige sich nach dem Flug und danach, was für ein Gebräu da in dem Kelch brodelte. Nach einem kurzen Gespräch und dem Austausch von einigen belanglosen Nichtigkeiten sagte Brünnhilde, ihres Zeichens Gewächsmeisterin der 420. Großen Konferenz von Worms “Hier, trinkt dies Erasmus, es wird eure Nerven beruhigen und euch wieder auf die Beine helfen” und hielt dem Konferenzmeister einen kupfernen Kelch, gefüllt mit einem zähflüssigen trüben Kräuteraufguss vor die Nase.

Ihre behruigende Stimmt ließ Erasmus allmählich die schauderhaften Bilder der vergangenen Nacht vergessen.

Nach einigen Minuten des entspannenden Plauderns zwischen dem Konferenzmeister und der Gewächsmeisterin ertönte ein zaghaftes Klopfen an der schweren Holztür.

Verwundert, wer ihm wohl noch zu solch unchristlicher Stund’ Gesellschaft leisten wollte rief Erasmus : “Herrein, solange es sich bei euch um einen Menschen und nicht um ein Knechtoides Wesen handelt!”

Die Tür öffnete sich mit einem leichten quietschen und auf der anderen Seite erschien der Sittenwart in einem weißen Nachtgewandt nur mit einer kleinen Wachskerze zwischen seinen Fingern aus dem dunklen Flur.

Von einer etwas anderen WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt