Nether

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Dunkelheit. Die Sterne glitzerten am klaren Nachthimmel, über den keine einzige Wolke zog. Leise raschelndes Laub begleitete Stegis Schritte, der auf dem Weg zu seiner kleinen Wohnung war, die dringend eine Sanierung vertragen könnte. Doch wo kein Geld war...
Dabei war es keineswegs so, dass Stegi kein Geld verdiente. Er verdiente mit den Mordaufträgen sogar relativ gut für die Szene aus der er kam. Eigentlich könnte er das angenehme Leben eines Durchschnittsbürgers führen. Gäbe es da nicht diese neuartige Droge. Yume no Sekai. Die Flucht in Stegis Traumwelt. Die Flucht vor seinem Kindheitstrauma, über das er immer noch nicht hinweggekommen war und vermutlich auch nie hinwegkommen würde. Die sichere Flucht in Stegis persönliche Hölle, sollte die Droge in zu großen Mengen auf einmal konsumiert werden.

Doch Stegi brauchte die Hölle. Seine Traumwelt. Den Nether. Er weckte den Kampfgeist, diese unbändige Mordlust, die Gefühlskälte, das berechnende Wesen in Stegi. Der Nether weckte das Monster in ihm, welches bereits nach neuem Blut und dem damit verbundenen Adrenalinrausch gierte.

Knarrend öffnete sich die alte Metalltür zu Stegis Wohnung. Dahinter lag ein einzelner Raum. Kahl eingerichtet, dafür jedoch mit allerlei tödlichen Utensilien, die wohl geordnet an den Wänden hingen. Ausgelaugt lies der Blonde sich auf seine schäbige Matratze fallen, strich seine lästigen blonden Locken aus dem Gesicht und betrachtete das hastig verpackte Päckchen in seiner Hand.

Mit zitternden Fingern holte er einige Spritzen und eine Ampulle mit einer mystisch blaugrün leuchtenden Flüssigkeit aus dem zerknautschten Päckchen. Da war sie. Yume no Sekai. Endlich. Stegi war kurz davor in seinen Nether zurückzukehren.
Schnell zog der Blonde drei Spritzen mit der gefährlichen Droge auf. Viel zu viel. Doch es war ihm egal. Er wollte vergessen. Einfach ein paar Stunden ohne Sorgen leben, die Flucht in eine andere Realität wagen. Einen Atemzug später bohrte sich die erste dünne Nadel in Stegis Aterie, stach durch die helle Haut, die an den Armbeugen von Einstichnarben und dunklen Flecken übersäht war, und Yume no Sekai verschwand in seinem Körper. Die zweite Nadel folgte sofort, ebenso wie die dritte.
Das Serum entfaltete sofort seine Wirkung. Stegis Atmung verschnellerte sich rasant bis ihm nur noch ein abgehacktes Keuchen über die Lippen kam, seine Pupillen verdrängten fast das gesamte Grün aus seinen Augen, ein wohliges Zittern schüttelte seinen Körper in unregelmäßigen Abständen. Seine Augen verdrehten sich unnatürlich, die Sicht verschwamm.

Stegi fiel. - Direkt in den Nether, direkt zu dem Monster in ihm.

Gleißendes Licht und Hitze wärmten Stegis Körper. Verzerrte Lavaströme bildeten einen Sog, der den Blonden in den Nether zog. Rot. Pulsierende Wände. Wabernde Luftmassen. Seine gesamte Umgebung zog in rasender Geschwindigkeit vorbei. Immer schneller und schneller. Alles drehte sich. Stegis Traumwelt. Geborgenheit. Heimat. So wunderschön. Wunderschön und gefährlich. Pures Adrenalin rauschte durch seine Adern. Yume no Sekai verursachte einfach die schönsten, realsten Illusionen.

Stegi kam es vor als könnte er das heiße, rotbraune Gestein unter seinen Händen spüren, die einzelnen Steinchen die an seiner verschwitzten Haut kleben blieben. Neben ihm ein bodenloser Abgrund aus dem warme, trockene Luft nach oben strömte. Die hell strahlenden Lavaströme blendeten ihn. In der Ferne waren die Geräusche von Monstern zu hören. Besser gesagt einem Monster. Stegis Monster.

"Töte. Alles und jeden."

Wie eine seichte Brise wehten die Worte durch Stegis Kopf, berührten kaum sein Bewusstsein. Er nahm sie kaum war. Seine ganze Konzentration galt dem Gefühl des Rausches, der Wirkung der Droge, welche seine Sinne benebelte, sie in einen angenehmen Dunst hüllte. Stegis wirre Gedanken formten den Nether, dessen Struktur und Aussehen sich im ständigen Wandel befanden.

"Lass sie frei. Tod. Explosion. Bring sie alle in die Hölle. Töte sie. Töte alles und jeden. Du hast die Macht dazu. Entscheide über Leben und Vergehen. Töte sie. Alles und jeden. Töte sie. Töte sie. Töte sie. Töte sie. Töte sie. Töte sie."

Wie eine Spirale zog die dunkle Stimme ihre Kreise um Stegi, wiederholte voller Nachdrücklichkeit die immergleichen Worte, welche sich in sein Gehirn einbrannten, zu seiner Überrzeugung, seinem Halt wurden.

Der Rausch ebbte ab. Ein letztes Mal wurde Stegi in einen Strudel, einen Sog gezogen, welcher ihm den Atem raubte. Die Hitze verschwand und mit ihr der Nether. Der Blonde wurde zurück in die Realität geworfen, atmete einmal scharf ein, schlug die Augen, welche wahnsinnig glänzten, ruckartig auf und verzog seine Lippen zu einem irren Grinsen. Er hatte keinerlei Erinnerungen an den Nether. Er brauchte auch keine Erinnerungen daran. Alles wofür in seinem Kopf Platz war waren die Worte der geheimnisvollen Stimme, welche sich immer und immer wieder wiederholten.

"Töte sie."

Yume no Sekai - Traumwelten | StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt