Flucht

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Ein lautes Krachen im Erdgeschoss ließ Stegi erschrocken zusammenfahren. Mist. Seine Fluchtchancen waren soeben drastisch gesunken. Hastig zog er sich die Sturmmaske wieder über das Gesicht und blickte sich hektisch um. Das Fenster! ...Nein, davor warteten hundertprozentig die Bullen auf ihn. Auf halbem Weg kehrte der Blonde um und hastete zum Kleiderschrank seines Opfers.

Gerade noch rechtzeitig erreichte er ihn, versteckte sich zwischen den warmen und muffigen Klamotten, denn kaum einen Moment später polterten Schritte die Treppe hinauf und die Tür zum Schlafzimmer wurde rabiat aufgerissen.

Scheiße! Sein Messer steckte noch in der Kommode! Offensichtlicher ging es ja wohl nicht. GG Stegi. Okay Stegi. Bleib ganz ruhig und konzentrier dich. Tief ein- und ausatmen. Sie werden dich nicht finden. Warte den richtigen Moment ab und dann verschwinde von hier. Alles wird gut. Sie werden dich nicht finden. Sie werden dich nicht finden.

Wie ein Mantra wiederholte Stegi die Worte in seinem Kopf immer und immer wieder. Alles würde gut werden. Ein Schauer kroch über seinen gesamten Körper als mehrere bewaffnete Polizisten in das Zimmer traten und sich einer von ihnen auf Stegis Versteck zu bewegte. Der Blonde hielt vor Anspannung die Luft an.

Sei. Einfach. Still. Beweg dich nicht.

Glücklicherweise beachtete der Fremde den Kleiderschrank nicht weiter und wand sich seinen Kollegen zu. Durch den Schlitz zwischen den Schranktüren konnte er die Polizisten erkennen, die den Tatort sicherten und jede Kleinigkeit dokumentierten. Sicherheit blitzte in den grünen Augen auf.

JETZT!

Blitzschnell sprang er aus dem Schrank, wobei eine der Türen aus den Angeln flog, sprintete an den vor Schreck erstarrten Polizisten vorbei und wollte gerade durch die Hintertür flüchten als er von jemandem zur Seite gezogen und grob auf den Boden gedrückt wurde. Ein fremdes Knie fand seinen Platz auf seinem Rücken, fixierte ihn, ebenso wie der starke Griff einer Hand in seinem Nacken. Fuck. Wie konnte das passieren?!

Schnelle Schritte näherten sich und kurz darauf befanden sich Stegi und der Drecksbulle der ihn festhielt in der Mitte eines Ringes aus bewaffneten, uniformierten Polizisten.

Der Teppich des Vorzimmers, in dem sie sich befanden, war kratzig, drückte und rieb unangenehm an Stegis linker Wange. Zudem fing sein linkes Auge an zu tränen, da die Fusseln des Teppichs schmerzhaft hineinstachen. Durch die Lücken zwischen seinen „Feinden" konnte der Blonde die Tür – seinen Fluchtweg – erkennen. Die Freiheit war so nah, beinahe greifbar. Stegi wollte sie noch nicht aufgeben. Fieberhaft biss der Blonde sich auf die Lippe. Es musste irgendeinen Fluchtweg geben. Es gab immer einen.

Aber die sind bewaffnet...

Stegi zischte schmerzvoll auf als ihm seine abgenutzte Sturmmaske rücksichtslos über den Kopf gezogen wurde und kniff die grünen Augen zusammen. Nein. Sie durften ihn nicht sehen. Dicke blonde, verwuschelte Strähnen verteilten sich über Stegis Stirn, die er sogleich in gegen den Teppich drückte um sich den, vor Neugier brennenden, Blicken zu entziehen. Neben ihm fand seine Sturmmaske ihren Platz auf dem kratzigen Fußboden. Er durfte nicht erkannt werden. Um keinen Preis.

Der Griff in seinem Nacken verstärkte sich.

„Sie sind hiermit festgenommen. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Haben Sie das verstanden?", fragte ihn eine angenehm tiefe Stimme.

Stegi konnte sich nicht zu einem Nicken überwinden, warf stattdessen seinen Vorsatz nicht erkannt werden zu wollen über Bord, drehte seinen Kopf und blitzte den Polizisten über ihm herausfordernd an.

„Und was wenn nicht?"

Mit so einer Frage schien der Braunhaarige, zugegebenermaßen äußerst attraktive junge Mann, nicht gerechnet zu haben, denn für den Bruchteil einer Sekunde tauchte ehrliche Verwirrung in seinen Augen auf, welche jedoch schnell wieder von einem professionellen, neutralen Blick verdrängt wurde.

„Wollen Sie mich für dumm verkaufen?"

Anstelle einer Antwort warf Stegi ihm einen eindeutigen Blick und ein fieses Grinsen zu.

„Sie sind nicht in der Position sich über mich lustig zu machen. Ist Ihnen das bewusst?"

In der Stimme des Polizisten ließ sich keine Gefühlsregung erkennen, ebenso wie es Stegi nicht möglich war zu erkennen, wie dieser dämliche Bulle über ihn dachte.

Die schimmernden Augen verdrehend nickte der Blonde. Er war noch nicht bereit aufzugeben und würde alles daran setzen sich zu befreien, schließlich wollte er nicht auf seine Belohnung verzichten.

Der Braunhaarige zog Stegi auf die Beine, legte ihm Handschellen an und inspizierte Stegis mitgeführte Waffen.

„Ganz schön vielseitige und vor allem viele Waffen für einen einfachen Mörder", kam schon bald die Bemerkung und Stegi war sofort klar, dass sein Gegenüber darauf abzielte herauszufinden, ob er ByStegi war. Pah. Elendige Psychospielchen. Es war so einfach zu durchschauen.

„Und? Was genau wollen Sie mir jetzt damit unterstellen?"

Stegi ging es gegen den Strich einen Polizisten höflich anzusprechen, jedoch wusste er auch, dass dieser – so wenig es ihm auch passte – am längeren Hebel saß. Der Kreis um sie herum begann sich aufzulösen.

„Nein. Ich unterstelle Ihnen gar nichts. Aber Sie wissen nicht zufälligerweise mehr über diesen ByStegi?"

Nein oder? Das hatte der Typ jetzt nicht wirklich so direkt gefragt. Wie dumm und naiv konnte man denn nur sein? Ein leises Lachen entwich Stegi.

„Zufälligerweise kenn' ich den nicht. Hab' mal von ihm gehört, aber das war's auch schon wieder", frech grinsend beobachteten grüne Augen den anderen.

Bevor der Braunhaarige zu einer Antwort ansetzen konnte begann ein anderer Uniformierter ihm irgendetwas zu erzählen. Stegi konnten sich ein innerliches Jubeln nicht verkneifen. Da ließen sie ihn, der eben jemanden ermordet hatte, allen Ernstes aus den Augen. Was war nur aus diesem Land geworden? Mit einer winzigen Bewegung hatte der Blonde seine Büroklammer für Notfälle bei der Hand und die Handschellen somit innerhalb weniger Sekunden überwunden. Gerade als er sich abwenden wollte um schnellstmöglich das Weite zu suchen traf ihn ein intensiver Blick des Braunhaarigen. Stegi versuchte krampfhaft sich nichts anmerken zu lassen und in der nächsten unachtsamen Sekunde der Polizisten war er verschwunden.

Am nächstbesten Gullideckel machte er Halt, um diesen aus seiner Verankerung zu heben. In dem Moment als Stegi in den Schacht klettern wollte erblickte er die beiden Polizisten, die direkt auf ihn zusteuerten. Schnell sprang er hinab und rannte durch die Sicherheit der Kanalisation, gefolgt von den beiden anderen die sich an seine Fersen hefteten. Laut hallten seine Schritte und die seiner Verfolger von den Wänden wieder.

Als Stegi dachte er hätte sie fast abgehängt ertönten plötzlich mehrere Schüsse. Im selben Augenblick durchzog ein stechender Schmerz seine rechte Seite.

Fuck. Streifschuss.

Keuchend drückte der Blonde auf die Wunde. Es brannte und zwiebelte wie Feuer als der Stoff seines Shirts in die Verletzung gepresst wurde. Stegi taumelte, stützte sich an der feuchten, gemauerten Wand ab, versuchte verzweifelt seinen Verfolgern zu entkommen, deren Schritte sich bedrohlich näherten. Stegi strauchelte, fiel zu Boden. Neben ihm erneut der Braunhaarige Polizist, der ihn besorgt musterte. Besorgt? Warum tat er das? Stegi wollte kein Mitleid.

„Du musst nichts mehr verheimlichen. Ich weiß wer du bist", eine längere Pause folgte, in der Stegi vergeblich versuchte sich aufzurichten, „ByStegi."

Ein letzter Gedanke flog durch Stegis Kopf, bevor der Schmerz ihn übermannte.

Nein!

Yume no Sekai - Traumwelten | StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt