Unsinnig

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Erst als Rebecca versuchte den Zeitstein aus ihrer Tasche zu ziehen merkte sie wie sehr ihre Finger zitterten.
Sie stand vor dem Gerichtsgebäude in dem Steve erschossen worden war, ein Ort den sie seitdem nie wieder betreten hatte.
Nun musste sie da rein.
Obwohl sie bis jetzt noch kein Zeichen eines gewissen Doctor Strange erhalten hatte, der höchstwahrscheinlich sein Artefakt zurückhaben wollte, hatte sich Rebecca dazu entschieden ihren Plan sofort in die Tat umzusetzen.
Steve war so nah...
Sie wollte gerade einen ersten Schritt in Richtung Haupteingang machen als ihr ein verstört aussehender Passant in den Weg trat und ihr sein Handy hin hielt.
"Das ist für sie", murmelte er mit halblauter Stimme.
Rebeccas Herz begann gegen ihren Brustkorb zu hämmern.
Was war hier los?
"Bitte- Bitte nehmen sie es."
Der angsterfüllte, panische Blick des Mannes bewegte etwas in ihr, und trotz des hohen Risikos griff sie langsam nach dem Telefon.
"Hallo?"
Fragte sie mit fester Stimme und sah sich um.
"Gib mir den Stein Becca."
Das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend verwandelte sich in Wut.
"Was hast du dem armen Passanten gedroht dass er mir sein Handy entgegenhält?"
"Nichts allzu schlimmes. Bitte Becca, ich flehe dich an, spiel nicht Gott. Weißt du noch was passiert ist als ich versucht habe das zu tun?"
Rebecca ballte die freie Hand zur Faust.
"Lass mich einfach mein Werk beenden und schwirr ab, Tony."
Sie hörte den Milliardär am anderen Ende der Leitung schwer schnaufen.
"Du redest mit mir als wäre ich der Feind."
"Bist du auch, ihr alle, seit ihr mir den Rücken zugekehrt habt."
"Wir sind nicht deine Gegenspieler Becks, verdammt noch mal! Du bist dein eigener Feind! Und du bist davor einen so massiven Fehler zu begehen! Du hast deine eigene Tochter im Stich gelassen!"
Stark schrie beinahe.
Doch die Erwähnung Dianas löste etwas in ihr aus.
Mit tränenverschwommener Sicht blickte sie zum Gerichtsgebäude.
So nah...
"Bitte Tony. Lass mich ihn zurückholen. Ich... ich kann nicht ohne ihm Leben."
Ihre eben noch so gut gehaltene Fassade war gnadenlos heruntergebröckelt.
"Wenn du versuchst die Zeit zurückdrehen muss ich schießen."
Sie schloss die Augen und unterdrückte ein Schluchzen.
"Du würdest ein gigantisches Loch ins Raum-Zeit-Kontinuum reißen das katastrophale Folgen hätte."
Er klang beinahe beruhigend.
Mit schmerzendem Herzen dachte sie an ihre wunderschöne Tochter.
Strange hatte einen Schritt gewagt, den weder sie noch Mordo jemals von ihm erwartet hätten.
Er hatte sich nicht selbst gegen sie gestellt, sondern die Menschen die sie liebte dazu gebracht es zu tun.
Mit starrem Blick zog sie das Auge von Agamoto abermals aus ihrer Tasche, nur um es dann auf den Boden vor sich fallen zu lassen.
Sie hörte wie Stark erleichtert aufatmete.
"Na los, komm schon. Sperr mich ein Tony."
Doch anstatt einer Spezialeinheit kam nur Natasha Romanoff auf sie zu, ein trauriges Lächeln auf den wunderschönen Lippen.
"Niemand sperrt dich ein, Becks."
Betont entspannt hob sie den Infinity Stein auf und sah ihrer besten Freundin direkt in die Augen.
"Es tut mir leid."
Ihre Stimme war kaum mehr als ein flüstern.
So sehr sie es auch versuchte nicht zu tun, Rebecca brach komplett zusammen.
So ließ sie es auch zu dass Nat sie fest an sich drückte.
"Na komm schon. James wartet um die Ecke auf uns."
Auf etwas zittrigen Beinen folgte sie der Witwe.
"James, hm?"
Nat wurde rot.
"Ich meine Bucky."
Rebecca versuchte zu lächeln, doch dabei strömten nur noch mehr Tränen über ihr Gesicht.

In den nächsten Wochen begann sich Rebecca endlich Diana anzunähern.
Allmählich konnte sie ihr sogar in die Augen sehen.
Trotzdem schien die Tatsache, Steve so knapp verloren zu haben sie ein für alle mal gebrochen zu haben.
Aufgrund ihrer 'vorübergehenden Unzurechnungsfähigkeit' und etwas Hilfe Furys war sie von sämtlichen Taten freigesprochen worden, doch Tony hatte sie zu täglichen Therapiesitzungen verdonnert.
Ob das etwas half war eine andere Frage.

"Du denkst darüber nach ihn zurückzuholen, nicht?"
Wie ein ertappter Schuljunge ließ Tony hastig das Auge Agamotos in einer Schublade verschwinden.
Er hatte Ewigkeiten lang mit Stephen Strange über den Verbleib des Infinity Steins verhandelt, und gemeinsam waren sie zu dem Schluss gekommen dass er in Obhut der Avengers fürs erste am besten Aufgehoben war.
Sollte der Magier ihn jedoch einmal brauchen würde er jederzeit dazu befugt sein ihn zu benutzen.
Natasha verschränkte die Arme.
"Ich weiß dass du schon wieder daran herumgetüftelt hast."
Mit einem Seufzen zog Tony das Auge wieder aus seinem Schreibtisch.
"Der Gedanke lässt mich einfach nicht los. Wir- wir haben die Möglichkeit ihn zurückzuholen ohne tatsächlich an der Zeit herumzuspielen, wir haben zusätzlich noch den Gedankenstein. Wem bringt es da etwas es nicht zu tun? Es erscheint mir so... so unsinnig."
Die Witwe lächelte ihr übliches, sanftes Lächeln und schloss die Tür zu Tonys Arbeitszimmer hinter sich.
Zwar waren Rebecca und Bucky mit Diana im Park unterwegs, die beiden hatten sich endlich wieder vertragen, doch trotzdem musste man kein unnötiges Risiko eingehen.
"Wir alle vermissen Steve. Das Team ist nicht das selbe ohne ihn."
"Stimmst du mir etwa gerade zu, Romanoff?"
"Ich sage nur dass die Welt Captain America braucht."
Nachdenklich spielte Tony mit der Kette des Auges herum.
"Also, was meinst du sollen wir tun?"
Die Rothaarige ließ sich einen Moment lang Zeit mit der Antwort.
"Thor um Rat fragen. Er weiß am meisten von uns über die Steine. Dann Vision um Hilfe bitten, er ist schließlich Träger des Gedankensteines. Und dann... Steve zurückbringen."
"Was ist mit Rebecca?"
Natasha lachte.
"Sie würde auf dich losgehen und schreien warum du sie denn nicht gleich ihren Plan vervollständigen lassen hast."
Tony stimmte mit ein.
Er war froh sie wieder auf ihrer Seite, in Sicherheit zu wissen.
Auf eine merkwürdige art und Weise hatte er schon vor Jahren väterliche Gefühle für sie entwickelt.
"Schickst du dem Donnermann eine Nachricht?"
Die Witwe nickte und wandte sich zum gehen.
"Und Nat?"
Tony lächelte schief.
"Dieses Gespräch hat nie stattgefunden."
Sie rollte mit den Augen und verließ endgültig den Raum, so gut gelaunt wie lange nicht mehr.

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