Ausmaße

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"Becca."
Sie seufzte wohlig und drehte sich um, die warme Abendsonne nun noch mehr auf ihrer Haut spürend.
In ihren Ohren klang das sanfte rauschen der Wellen, irgendwo in der Ferne kreischten ein paar Möwen-
"Becks."
Jemand strich ihr durch die Haare, was sie dazu zwang die Augen zu öffnen.
Keine warme Abendsonne am Strand, nur Steves Körper neben ihr, den ihr Unterbewusstsein immer noch als ungewohnt empfand.
"Was ist?"
War eigentlich was sie fragen wollte, heraus kam aber ein nicht ganz so gut verständliches Gemurmel à la 'Wssiss?'.
Steve, der nun aufrecht im Bett saß, zuckte etwas verlegen mit den Schultern und deutete auf das Babyphon.
Mit einem frustrierten Knurren vergrub Rebecca ihren Kopf im Kissen und überlegte einen Moment lang sich einfach totzustellen.
Das erschien ihr dann wohl doch als zu dramatisch, weshalb sie (natürlich nicht ohne weiterhin Laute des Missmutes von sich zu geben) ihr so herrlich weiches Bett verließ und in Dianas Zimmer schlurfte, wo die kleine ihrer Mutter schon entgegenblickte.
Becca legte ihre Müdigkeit für den Moment beiseite und hob das Kleinkind aus seinem Gitterbett.
"Was ist denn mein Schatz, hm? Hast du wieder Zahnschmerzen?"
Nach ein paar weiteren beruhigenden Worten und ein wenig hin- und her-Gewiege schlief Diana glücklicherweise wieder ein, mit einem Seufzen legte Rebecca sie zurück in ihr Bett.
Ihre Müdigkeit war zurück, heftiger denn je, und sie wollte einfach nur noch schlafen.
Steve, der im Türrahmen des Kinderzimmers gelehnt hatte, warf ihr einen besorgten Blick zu, den seine Frau nur mit einem gemurrten 'Sie hat deinen Dickschädel geerbt' erwiderte.
Dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn zurück ins Schlafzimmer.
Tony hatte der kleinen Familie ein gesamtes Stockwerk im Avengers Tower überlassen, das nun zu ihrem endgültigen Zuhause geworden waren.
Irgendwie gehörte Steve, und auch Rebecca nicht mehr zurück nach Brooklyn, aber auch nicht direkt in die neue Zentrale.
Trotzdem waren sie Avengers.
Und das würde sich niemals ändern.
Das Team traf sich fast wöchentlich, mit dem simplen Grund dass allen mittlerweile klar geworden war dass sie sich gegenseitig brauchen.
Nichts mehr würde diese Ansammlung von Verrückten so schnell dazu bringen sich wieder zu zerstreiten.
Was als nervige Verpflichtung begonnen hatte war Familie geworden.

"Ich glaube ich werde wieder anfangen zu trainieren."
Meinte Rebecca am nächsten Morgen während sie Diana fütterte.
Steve, der ihr gegenüber saß, verschluckte sich an seinem Kaffee.
"Wieso?"
Hustete er hervor.
Becca kniff die Augen zusammen.
"Was meinst du mit 'wieso'? Ich vermisse es einfach und denke dass es langsam wieder Zeit wird, oder?"
"Was ist mit Ana?"
Sie schob ihren Kiefer etwas herausfordernd vor.
"Ein wenig Zeit mit dir wird ihr guttun. Sie kennt dich immer noch nicht richtig."
Ein etwas hilfloser Ausdruck trat auf das Gesicht des Captains und Rebecca wusste sofort dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.
In Sachen Kind war Steve immer noch eine Art hoffnungsloser Fall.
Ständig hatte er Angst etwas falsch zu machen und traute sich deshalb kaum noch irgendetwas zu tun.
"Ich dachte wir hätten das hinter uns gelassen."
Murmelte er, womit er seine Frau dazu veranlasste eine Augenbraue zu heben.
Er spürte genau dass er gerade etwas gewaltig falsches gesagt hatte.
"Stopp, bevor du auch nur ein einziges weiteres Wort sagst. Wir hatten unsere Chance auf ein normales Leben, und du hast dich dazu entschieden dass dieses Leben nichts für dich ist indem du Nachts losgezogen bist und einen auf Klischee-Superhelden gemacht hast. Sämtliche deiner Taten haben mir ziemlich klar gemacht dass wir den Agentenstempel nie wieder loswerden werden. Also tut mir leid, dass ich nun irgendwie eine Balance zwischen Beruf und Familie bekommen will, okay?"
"Aber solche Entscheidungen kannst du doch nicht einfach alleine treffen? Nicht mehr!" Rebecca, die zwischendurch aufgestanden und in der luxuriösen Küche herumgelaufen war kehrte zurück zum Tisch und beugte sich zu Steve, ihm dabei direkt in die Augen blickend.
Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen und einmal mehr wurde sich Steve bewusst was für ein gefährlicher Gegner seine Frau sein konnte.
"Hör mir gut zu, Steven."
Ihre Stimme war bedrohlich ruhig.
"Du hast das, was du so gerne als 'uns' bezeichnest in dem Moment aufgegeben, in dem du mir verboten hast dir in diesem Gericht das Leben zu retten."
Sie hob Diana aus ihrem Kinderstuhl, verschwand einen Moment lang um dann ohne sie zurückzukehren.
Was sie jetzt sagen würde war nicht für die zarten Ohren ihrer Tochter geeignet.
Steve lehnte schon am Küchentresen, als würde er sich auf das Folgende vorbereiten wollen.
Er wollte gerade etwas sagen, doch Rebecca fuhr ihm über den Mund.
"Ich hatte dein Blut an meinen Händen, ich musste zusehen wie du stirbst! Bucky musste mich von deinem leblosen Körper wegzerren weil ich dich nicht verlassen wollte. Ich musste zusehen wie sie deinen Sarg ins Grab herabgelassen haben, ich musste damit Leben dich nicht gerettet zu haben! Weißt du wie scheisse es sich anfühlt, die ganze Zeit Beileidsbekundungen anhören zu müssen? Ich musste das Kind meines toten Mannes auf die Welt bringen!"
Die letzten Worte hatte sie laut herausgeschrien, endlich die ganzen Emotionen rauslassend die sich schon seit Steves Tod aufgestaut hatten.
"Ich konnte unserer Tochter nicht in die Augen sehen weil sie dir zu verdammt ähnlich sah. Anscheinend kann ich ohne dich nicht Leben, weshalb ich fast die Welt in Schutt und Asche gelegt hätte um dich zurückzubekommen. Also würde ich das nächste mal, bevor ich etwas über die Abläufe in dieser Familie sagen will, sehr gut nachdenken bevor ich den Mund aufmache.
Und nun entschuldige mich wenn ich einmal in meinem Leben eine Entscheidung für mich selbst treffe und wieder trainieren gehe."
Sie griff nach den Autoschlüsseln, die auf der Küchenplatte gelegen hatte und drehte sich erst im Türrahmen wieder zu Steve um, der mit gesenktem Kopf immer noch al Tresen lehnte.
"Windeln sind in der ersten Schublade oben links unterm Wickeltisch und Diana mag den blauen Plüschvogel am liebsten. Ich bin gegen Abend wieder zurück."
Mit diesen Worten verschwand sie und ließ einen komplett niedergeschlagenen Steve zurück.
Er hatte gewusst dass sein Tod nicht spurlos an Rebecca vorbeigegangen war, aber über die Ausmaße seines Ablebens hatte ihn bis jetzt noch niemand aufgeklärt.
War er tatsächlich so unsensibel?

Während dem Schreiben dieses Kapitels habe ich zuerst Teams von Lorde und dann Polarize von Tøp gehört.
Irgendwie ironisch.
Ich hoffe es gefällt euch,
Vic.

Wide AwakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt