Kapitel 12: Schmerzhafte Erinnerungen

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Hoffnungsvoll blickte sie aus dem Fenster und suchte die Strassen ab. Schon drei Tage waren vorüber und er war einfach wie verschwunden. Zoey versuchte sie abzulenken, doch es gab nichts, worüber man sprechen konnte. Dazu hörte sie ihr sowieso nicht zu. Zu sehr sorgte sie sich um Jacky. Nicht nur dass der Regen draussen perfekt zu ihrer Stimmung passte, sondern Jacky könnte immer noch an der gleichen Stelle stehen und das Wetter würde nicht seine Stimmung heben. Kurz wischte sie mit dem Ärmel über das Fenster, da es durch ihren Atem beschlug und betrachtete, wie die Tropfen hinunter rannen. Diese langsamen Bewegungen zogen sie so sehr in ihren Bann, dass sie nicht einmal merkte, wie lange Zoey ihr schon an die Schultern tippte. Langsam drehte sie den Kopf zu ihrer Freundin, die eine Decke über den Schultern trug. Die Gebäude waren nicht so gut isoliert, weshalb die Kälte leicht ins Zimmer eindringen konnte. An sich fand es Scarlet es nicht so kalt, aber es war genug für Zoey. Geduldig blieb sie still und wartete darauf, dass ihre Freundin endlich sagte, was ihr durch den Kopf ging.

"Wow, du sagst mir nicht einmal, dass ich endlich sprechen soll.", fing Zoey besorgt an und lag gar nicht einmal so falsch mit ihrer Sorge. Sie selber kannte sich auch nicht als die stille und zurückhaltende Person. "Na ja... Es ist einfach..." "Wegen Jack, nicht wahr?", beendete Zoey den Satz für sie und sie nickte nur stumm. "Ich habe ihn noch nie so erlebt. Ich wusste nicht einmal, dass es für ihn möglich ist, Trauer zu empfinden. Aber der Verlust eines Freundes kann wohl sogar die fröhlichste Seele brechen... Und ich kann das komplett verstehen. Damals, bevor die gesamte Schule zum Mittelpunkt der Organisation geworden ist, war Jacky in meinem Parallelteam.", erzählte Scarlet ihr, "Und ich dachte, er wäre nur eine Nervensäge. Zu einem Teil war er das auch, er hatte einfach zu viel Energie und war so anhänglich!", versuchte sie sich zu rechtfertigen, "Und Jay war halt jemand, der wirklich freiwillig viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Sie waren so gute Freunde und dann herauszufinden, dass er... dass er einfach..." Scarlet konnte es kaum aussprechen und sah Zoey leicht verzweifelt an. "Ich weiss schon.", entgegnete diese, "Er darf auch deswegen trauern. Aber er wird auch nicht wieder so schnell der Alte sein. Oder überhaupt so, wie er früher war." "Ich weiss... Aber so kann ich ihn doch auch nicht lassen!" "Und du hast ihm auch gezeigt, dass du dich um ihn sorgst.", erinnerte Zoey sie, "Es ist ja nicht deine Schuld und du hast ihn schon einmal gerettet. An das erinnert er sich bestimmt. Also gib ihm etwas Zeit." "Du klingst ja schon wie Dennis...", murrte Scarlet. "Na ja, es braucht halt zwei intelligente Personen, um dich in Schach halten zu können.", entgegnete ihre Freundin mit einem Grinsen, was bei ihr einen wütenden Gesichtsausdruck hinterliess. "Ach komm, ich weiss, dass du nicht dumm bist, aber sonderlich schlau bist du auch nicht, das musst du zugeben!", verteidigte Zoey sich. "Ich war wenigstens nicht diejenige, die auf die ganze Hochbegabte-Schule-Lüge hereingefallen ist!", konterte Scarlet. "Ich hatte schon meine Zweifel...", murmelte sie darauf. "Aber anscheinend nicht genug." "Hey, ich wollte zu Besuch kommen, um mit eigenen Augen zu sehen, was das für eine Schule ist, aber meine Eltern haben mich nicht-"

Zoey brach abrupt ab und hatte plötzlich einen traurigen Ausdruck im Gesicht. Zuerst war Scarlet nur verwirrt, doch dann war ihr klar, was los war. Mit Tränen in den Augen hatte Zoey sich auf den Boden gesetzt und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sofort liess Scarlet vom Fenster ab und setzte sich zu ihrer Freundin. Jacky war nicht der Einzige, der jemand Wichtiges verloren hat. Zoey gehört zum Glück zu den Menschen, denen das Gift nichts anhaben konnte, aber ihre Eltern... Ihre Familie war weg, weil eine Gruppe von Wandlern das Gefühl hatte, dass sie Fehler waren. Fehler, die das Leben nicht verdient hatten. Die ganze Zeit hatte Zoey das mit sich herumtragen müssen. Der Schmerz war bestimmt unerträglich. Und trotzdem hatte sie es jeden Tag irgendwie überspielen können. Zaghaft legte Scarlet einen Arm um sie und hoffte, dass eine Umarmung irgendetwas brachte. "Es tut mir so Leid... Für alles, was dir passiert ist...", stammelte Scarlet und wusste nicht, ob Zoey sie überhaupt durch ihre Schluchzer hören konnte. Sie hätte nicht wütend werden und das auslösen sollen. Zoey hatte ihr nur helfen wollen. So wie sie Jacky helfen wollte.

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