Kapitel 9: Die Farben des Sonnenaufgangs

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Scarlet hatte aus lauter Sorge kaum schlafen können. Sie hätte Jacky einfach nicht alleine lassen sollen. Was war sie nur für eine Freundin? Er hatte sie auch wieder aufmuntern können, aber wenn er einmal ihre Hilfe brauchte, liess sie ihn einfach alleine. Selbst wenn Dennis Recht hatte, dass Jacky etwas Zeit für sich brauchte, fühlte sie sich trotzdem schlecht. Er hatte gerade einen Freund verloren und brauchte jetzt jemanden an seiner Seite. Vorsichtig hob sie die Decke hoch, um keinen ihrer Mitbewohner zu wecken und wollte gerade hinaus tappen, als sie wieder gebremst wurde. "Wo willst du hin?", wurde sie gefragt und liess sie kurz murren. "Hast du mich die ganze Zeit beobachtet?", fragte sie Dennis, der sich in seinem Bett aufgerichtet hatte, doch beantwortete ihre Frage nicht. "Wo willst du hin?", wiederholte er stattdessen. "Zur Sonntagsmesse. Na wo wohl? Ich will Jacky beistehen!" Mit dieser Antwort wollte sie wieder weiter, doch Dennis liess sie nicht gehen. "Lass ihn doch in Ruhe. Er braucht etwas Zeit. So schnell wird er nicht wieder der Alte." "Das ist mir klar. Aber ich will trotzdem bei ihm sein! Selbst wenn er mich nicht mehr mag, will ich zeigen, dass ich mich um ihn sorge. Das braucht er doch jetzt.", entgegnete sie, "Du kannst gerne hier bleiben, ich werde aber meinem Freund helfen!" Dennis warf ihr einen missmutigen Blick zu, doch machte keine Anstalten, sich aus dem Bett zu bewegen. Dann konnte er gerne hier zurückbleiben. Ohne weiter zu warten, liess sie ihn also zurück, um zu Jacky zu eilen.

Draussen gab es noch nicht einmal Anzeichen für den Sonnenaufgang, während sie durch die Strassen lief. Und doch gab es schon Wandler, die umher eilten. Wegen des Grossen Einsatzes musste viel natürlich noch geplant werden und es konnten nicht alle gleich viel Schlaf bekommen. Aber trotz der paar Leute kam ein unwohles Gefühl in ihr hoch. Wahrscheinlich weil einem immer hinterher gesagt wurde, wie gefährlich es doch war, wenn man alleine in der Nacht auf dunkle Strassen lief. Sie versuchte durch Kopfschütteln auf andere Gedanken zu kommen und eilte schnell weiter zur Zentrale. Eigentlich wusste sie nicht, wieso sie davon ausging, dass Jacky noch dort war. Er hätte sich längstens irgendwo in eine dunkle Ecke verkriechen können. Hätte sie selber auch getan. So sanken ihre Erwartungen, bevor sie überhaupt angekommen war, nur um dann überrascht stehen zu bleiben. Dort stand er immer noch, genauso trübselig wie gestern. Nun wurde sie doch etwas unsicher und fragte sich, ob sie Dennis' Rat folgen sollte. Schnell verwarf sie aber den Gedanken wieder und näherte sich Jacky vorsichtig. Dieser schien sie entweder nicht zu bemerken oder er versuchte sie zu ignorieren, wobei sich herausstellte, dass es Letzteres war, als sie direkt neben ihm stand. Den Blick leicht zu Boden gerichtet, reagierte er überhaupt nicht auf ihre Präsenz.

Gerade als sie etwas zu ihm sagen wollte, hörte sie einen leisen Pfiff und sah zurück. Dort sah sie Zoey stehen, die sie zu sich winkte. Einen letzten Blick warf sie noch auf Jacky, ehe sie zu ihr eilte. "Ist etwas passiert?", fragte Scarlet besorgt. "Nein, Dennis wollte nur, dass ich dich aufhalte, weil er es nicht geschafft hat. Und das habe ich auch.", lächelte sie stolz, ehe sie mit einem ernsteren Gesichtsausdruck zu Jacky sah, "Der sieht überhaupt nicht gut aus. Hat er die Nacht draussen verbracht?" "Ja. Deswegen wollte ich auch bei ihm sein." "Ist auch richtig so.", stimmte Zoey mit verschränkten Armen zu und bekam einen verwirrten Blick. "Was ist? Ich hab dich ja aufgehalten. Aber er hat nichts darüber gesagt, was ich tun soll, wenn du es wieder versuchst. Da brauchst du eher von einem gewissen Jemand Unterstützung." Mit beiden Daumen zeigte Zoey auf sich, worauf Scarlet schmunzeln musste. "Dann darfst du mir gerne helfen, einen traurigen Clown wieder zum Lachen zu bringen." Mit einem festen Nicken erklärte sie sich bereit und sie eilten gemeinsam zu Jacky zurück.

Dieser hatte sich nicht gerührt, schien aber weniger erfreut zu sein. "Guten Morgen.", sprach Scarlet ihn deswegen einfach an. "Noch kann man nicht wirklich von Morgen reden.", kommentierte Zoey und wandte den Kopf zum dunklen Himmel hinauf. Sie wollte sie zurecht weisen, dass es jetzt Wichtigeres gab, aber dann fiel ihr ein, dass Zoey das vielleicht als Witz gemeint hatte, um ihn aufzuheitern. Etwas bewirkt, hatte es leider nicht, aber es war ein netter Versuch gewesen. Jacky stand immer noch gleich da wie vorhin. "Ist es nicht ziemlich kalt, die ganze Nacht draussen zu bleiben?", versuchte sie ihn weiter zum Reden zu bringen. "Du hast nicht einmal eine Decke oder wenigstens eine Jacke.", fügte Zoey hinzu. Wieder blieb es still, doch dann sprach er endlich ein paar Worte. "Brauche ich nicht.", murmelte er knapp und abweisend, aber es war ein Anfang. "Wie wäre es mit Essen?", schlug Scarlet als Nächstes vor, "Du hast bestimmt Hunger." "Nein.", kam es kühl von ihm. "Nicht einmal ein klein wenig? Wir könnten dir etwas holen und du wärest uns für eine Weile los." Dieses Angebot schien er nun tatsächlich zu überdenken und willigte schliesslich mit einem kurzen Nicken ein. Erleichert atmete sie aus und sah zu Zoey, die mit dem Kopf zur Strasse deutete. Scarlet wandte sich kurz wieder Jacky zu und hatte das Bedürfnis, ihm einen aufmunternden Stupser zu geben, aber wahrscheinlich würde das eher schaden und sie liess es bleiben. Nachher würde sich vielleicht eine bessere Gelegenheit bieten. So liess sie ihn wieder zurück und eilte gemeinsam mit Zoey los, um etwas für ihn zu finden.

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