Kapitel 5

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Endlich war die Nacht vorbei. Noch nie im meinem Leben hatte ich mich so elend gefühlt. Doch ich war sicher, dass das nicht das letzte Mal gewesen war. Bereits bevor die Sonne aufgegangen war kehrte ich zum Bau zurück. Jasper war bereits auf den Beinen und warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Es wusste, dass ich nach unserem Gespräch nicht nach Hause zurückgekehrt war. „Ah sieh mal einer an, wie vorbildlich." Mein Vater trat aus dem Bau. „Du hast dir meinen Rat wirklich zu Herzen genommen." „Dad. Ich würde heute gerne Lailas Schicht übernehmen. Sie hat ein bisschen Urlaub verdient", meinte Jasper und warf mir einen liebevollen Blick zu. Gott war er so süß. Ich formte mit meinen Lippen ein ‚Ich liebe dich' und wartete gespannt auf die Antwort. „Na gut. Von mir aus. Viel Spaß", antwortete mein Vater. Dankbar nickte ich und drehte mich um. Einerseits freute ich mich über die freie Zeit, andererseits hätte mich die Arbeit vielleicht abgelenkt. Seufzend trottete ich durch den Wald. Ich achtete gar nicht auf den Weg, sondern hing meinen Gedanken nach.

„Seht mal, da ist ein Wolf", schrie jemand. Erschrocken blickte ich mich um. Wo war ich? Um mich herum standen einige Menschen und musterten mich verängstigt. Ich war doch tatsächlich an die Stelle zurückgekehrt, an der ich das Mädchen abgelegt hatte. Wie hatte ich es geschafft, einfach so über die Straße zu laufen? „Nicht bewegen, dann tut er uns nichts", sagte eine alte Frau. Ich kann euch hören! Was sollte ich jetzt tun? Zurück über die Straße konnte ich nicht und in dieser Gestalt würde ich bestimmt nicht lange überleben. Mir blieb nur eine Möglichkeit. Es war riskant, doch es war die einzige Lösung. Laut knurrend stürzte ich in die Menge. Schreiend strömten die Menschen in alle Richtungen. Ich nutzte die Aufregung aus und verschwand in einem kleinen Waldstück. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, verwandelte ich mich. Als Mensch trat ich wieder an die Straße. Was ich hier tat war sehr gefährlich. Eine falsche Entscheidung und ich wäre enttarnt. Vorsichtig setzte ich mich in Bewegung und folgte dem Weg zu einem kleinen Dorf. Mein innerer Wolf riet mir, mich so schnell wie möglich auf den Weg zu machen, doch ich konnte ihn nicht mehr hören, denn genau in dem Moment sah ich sie. Das Mädchen trat gerade aus einem Haus und kam auf mich zu. Wie erstarrt blieb ich stehen und starrte sie an. Verwundert über meinen Gesichtsausdruck musterte sie mich und ging an mir vorbei. Eine Wolke ihres Duftes traf mich und meine Knie wurden weich. „Ähm hallo." Ohne nachzudenken fing ich an zu reden. Das Mädchen drehte sich um und musterte mich erneut. „Redest du mit mir?" Ihre Stimme ließ mich beinahe ins Koma fallen. Ich musste echt ziemlich bescheuert aussehen. „Ähm ja äh nein. Vergiss es." Ich brauchte nur ihre Stimme zu hören und schon schaltete sich mein Gehirn aus. Sie zog nur die Augenbrauen hoch. „Ok. Dann bis dann." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand. Mein Herz raste. Ich sah alles verschwommen. Um mich herum verstummten alle Geräusche. Das einzige, was ich wahrnahm war das Rauschen meines Pulses.

Mehrere Minuten vergingen, bis ich mich endlich wieder bewegen konnte. Ich wollte ihr hinterherrennen und sie suchen, doch Zuhause machte man sich bestimmt schon Sorgen. „Morgen finde ich dich", flüsterte ich. „Alles ok bei dir?" Ein älterer Mann stand neben mir und sah mich besorgt an. Wahrscheinlich dachte er, ich hätte gerade einen Herzinfarkt oder so. Obwohl, so unwahrscheinlich war das angesichts der Tatsachen gar nicht. „Nein. Es ist alles in Ordnung. Entschuldigen Sie mich bitte." Schnell drehte ich mich um und rannte los. Ich war so hoffnungslos verliebt.

Im Sprung verwandelte ich mich in einen Wolf zurück und sprintete nach Hause. Immer wieder tauchte vor mir das Gesicht des Mädchens auf. Ich machte riesige Sprünge, um zu ihr zu gelangen, auch wenn es nur ein Trugbild war. Ich wollte sie so sehr. Erneut tauchte die Frage auf: Warum? Was war an ihr so besonders? Ihre Augen? Ihr Aussehen? Ihre Stimme? Ihr Duft? Warum liebte ich sie so sehr, obwohl ich sie kaum kannte? Warum?

Liebe kann so schmerzhaft sein...

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