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Der Sonntag war ein grauer Tag. Die Sonne schien nicht vernünftig und das Wetter lud nicht dazu ein, nach draußen zu gehen. Aber Finn wusste, dass er keine Wahl hatte. Er sah aus dem Fenster, während er sich die Schuhe anzog. Er trat auf die Straße und stemmte sich gegen den eiskalten Wind. 

Als er die Straße hinabging, folgte er dem Schulweg, den er vor fünf Tagen genommen hatte. An dem Tag war er zu einer anderen Bushaltestelle gegangen, weil er den Bus bei der anderen nicht gekriegt hatte. Die letzten Tage war er daher nicht beim "Refugium" vorbeigekommen. Aber es war an der Zeit diesem alten Herrn ein paar wichtige Fragen zu stellen. Finn überquerte die Straße und ging um zwei Ecken, bis er endlich auf das Geschäft zuging.

Nur, dass der merkwürdige Laden weg war. Das graue Häuschen war noch da, aber soweit er es beurteilen konnte, wohnte dort niemand. Als er näher herantrat, konnte er einen Zettel mit einer handgeschriebenen Telefonnummer erkennen. "Bei Interesse an der Immobilie, bitte kontaktieren!", stand dort. Das Refugium musste wohl umgezogen sein. Verdammt!, dachte er. Wie sollte er diesen Laden denn jemals wiederfinden? 

Er hatte ja schon befürchtet, dass das Geschäft hier nicht Fuß fassen konnte, aber das hatte er wirklich nicht erwartet. So ein Umzug kostete doch auch Geld und war ziemlich aufwendig. Aber er musste den Laden einfach wiederfinden, sonst würde er noch völlig verrückt werden. Vielleicht hatte der alte Herr ja eine ganz einfache Erklärung für die merkwürdigen Vorkommnisse. Bis er nicht wusste, was mit diesem Kalender los war, würde er kein einziges Türchen aufmachen. 

Eine kurze Zeit lang überlegte er, was er tun sollte. Er hatte den ganzen Tag Zeit und seine Mutter war bis zum Nachmittag zuhause. Er hatte also Zeit, nach dem Refugium zu suchen. Er entschloss sich, den Bus in die Innenstadt zu gehen und da zu suchen, vielleicht hatte er dabei ja bessere Chancen als hier.

Der Bus war fast komplett leer und er genoss es nach draußen zu sehen und die vorbeifliegenden Häuser verwischten nacheinander. Er überprüfte jedes doppelt und suchte nach dem Schild. Bitte, bitte lass es hier auftauchen, bitte bitte! Er malte sich das Schild nochmal genau aus und suchte fieberhaft. Und tatsächlich, er hatte Glück. Der Laden mit dem altertümlichen Schild "Refugium" flog an ihm vorbei und er drückte auf den Stop-Knopf. Der Bus hielt wenige Meter später bei einer Haltestelle, die ihm noch nie aufgefallen war. Sie hieß Mirakulusplatz und er war der Einzige, der ausstieg. 

Der Platz war klein und hatte ein kleines Gärtchen in der Mitte, in dem trotz des Winters bunte Blumen blühten. Die Geschäfte sahen ungewöhnlich alt aus und hatten merkwürdige Objekte in den Schaufenstern. Aber Finn hatte jetzt keine Geduld dazu und lief zum Refugium. Drinnen wurde er mit dem Geräusch der bimmelnden Glocke begrüßt und der alte Herr saß genau wie letztes Mal am Tisch und rauchte eine Pfeife. 

"Hallo!", sagte Finn und ging zögerlich zu ihm. Noch immer schenkte der Herr ihm fast keine Beachtung. "Irgendetwas stimmt mit dem Adventskalender nicht, den sie mir gegeben haben."

Ohne aufzusehen, fragte der Herr ruhig: "Was genau meinen Sie, junger Herr?"

"Naja ich... ich glaube ich werde verrückt."

Erst jetzt sah der Herr ihn an und hob eine Augenbraue. "Und warum glaubst du das?"

"Seit ich versuche seinen Anweisungen zu folgen habe ich... seltsame Dinge gesehen. Und gestern habe ich sogar Stimmen gehört und ein Gartenzwerg hat mit mir gesprochen! Dieser Adventskalender ist nichts für mich. Ich habe keine Zeit für Probleme und ich kann meine Familie nicht im Stich lassen."

Der Herr sah ihn wieder prüfend an. "Der Adventskalender ist tatsächlich nicht normal. Hat er dir zufällig gezeigt, wie man mit Tieren spricht?"

"Naja... so etwas stand gestern im Türchen. Aber das ist doch völlig unmöglich! Dieses Meerschweinchen kann unmöglich mit mir gesprochen haben! Es ist doch nur ein Tier."

"Du musst noch viel lernen, mein Junge." Der alte Herr lachte. "Nur ein Tier! Du hast gestern etwas getan, was eigentlich allen Menschen möglich wäre, aber dafür muss man an Magie glauben. Glaubst du an Magie, Finn?"

Finn sah ihn verdutzt an. Es war ihm gestern schon so vorgekommen, als hätte das Meerschweinchen mit ihm gesprochen. Das war auf jeden Fall besser, als verrückt zu werden. Und was für Möglichkeiten das bot! Wenn die Fabelwesen, die er gesehen hatte echt waren, waren dann auch alle anderen echt? Vielleicht konnte er, wenn er sich Mühe gab sogar Einhörner und Wichtel sehen, Feen und Hexen und Zauberer. Seine Augen wurden groß als er darüber nachdachte.

"Wenn du die Türchen weiter öffnest, wirst du viele Erfahrungen machen, die deine Sicht der Welt verändern. Aber sei vorsichtig: Nicht alle vertragen dies so gut und werden wahnsinnig, können nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden. Erzähle niemandem von dem Kalender! Nur die Kleinsten können akzeptieren, dass die Welt voller Magie ist. " Der alte Herr lehnte sich vor zu ihm und fügte leise hinzu. "Hast du heute schon das Türchen geöffnet?"

"Ähm..." Finn wurde rot. "Nein, ich dachte..."

"Vergiss niemals ein Türchen zu öffnen!", rief der Herr plötzlich und stand auf. Finn merkte zum ersten Mal, dass der alte Herr sehr groß war, und überhaupt nicht so gebrechlich, wie er gedacht hatte. "Es geschehen schreckliche Dinge, wenn man die Chronologie unterbricht. Der Kalender ist jetzt mit deiner Lebenszeit verbunden und wenn du nicht alle Türchen in der richtigen Reihenfolge öffnest, könnte alles durcheinander geraten."

Erschrocken machte Finn einen Schritt zurück und nickte verstört. Das alles erschien ihm immer noch unglaublich. Aber er war dabei zu akzeptieren, dass das, was er erlebt hatte, echt war. Er hatte Angst, dass ihm diese neuen Einblicke durch Zweifel genommen wurden. Er musste die Anweisungen des alten Herren ernst nehmen, wer weiß, was sonst geschah. 

Schnell machte sich Finn auf den Weg nach Hause und setzte sich alleine ins Schlafzimmer. Damit niemand hereinkam, schloss er sogar die Tür ab. Den Schlüssel besaß nur er alleine, daher fühlte er sich vollkommen sicher. Vorsichtig öffnete er das vierte Türchen.

"Der Platz der Wunder zeigt sich nur, wenn dir magisches wiederfuhr."

Ein Zauberhafter AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt