9/Ende

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Als ich am nächsten Morgen in die Küche schlenderte um mir eine Aspirin zu holen, saßen alle anderen bereits um den Esstisch versammelt und begrüßten mich für meinen Geschmack viel zu gut gelaunt.

„Die Party war der Hammer.", war das erste, was Isaac sagte. „Danke, dass du den Unfall hattest und ich hierher kommen konnte um auf diese Wahnsinns-Party zu gehen, dass werde ich dir nie vergessen."

Ich hatte Angst, dass er mich gleich abknutschen würde, also setzte ich mich neben Nathan. Auch die anderen erzählten nur noch, wie toll die Party war und Lee gab alles, Katherine zu überreden, dass sie nach New York zogen. Doch Kate blieb hart.

Ich schaute Danny an und er lächelte. Ich atmete erleichtert aus. Er war nicht sauer. Und Cole anscheinend auch nicht mehr, denn er klaute sich das Marmeladenbrötchen von meinem Teller und sah mich mit lachenden Augen und vollem Mund an, während ich ihn verfluchte.

„Sammy hat übrigens auf die Mailbox gesprochen.", sagte Danny irgendwann. „Ungefähr zwanzig Mal."

Meine Augen wurden groß. An Sammy hatte ich gar nicht gedacht. Sie musste mich jetzt hassen. Sofort sprang ich auf und rannte zum Telefon.

Es klingelte einige Male, dann hörte ich jemanden abnehmen.

„Na du jungsauspannendes Flittchen.", begrüßte Sammy mich. Sie klang wie mein Kopf sich anfühlte.

„Sammy, es tut mir so unendlich leid, so bin ich nicht, wirklich..."

„Ach, lass stecken.", Sammy gähnte und räusperte sich dann. „Du warst sternhagelvoll und Danny hat mir erzählt, dass du direkt aufgehört hast, als sich eure Lippen nur berührt hatten. Ich weiß, dass du dich mies fühlst, du weist, dass es falsch war."

„Also bist du nicht sauer?", fragte ich verblüfft. „Doch, und wie!", sie gähnte wieder. „Aber ich komm drüber weg, gib mir drei Tage."

„Ich habe dich so vermisst.", flüsterte ich und mir kamen wieder die Tränen.

„Kannst du bitte die weinerliche Stimme weglassen, davon krieg ich Kopfschmerzen."

Wir redeten noch eine Weile, dann ging ich zurück zum Tisch. Katherine plante einen Ausflug mit der Staten Island Ferry und ich beschloss mich wieder im Bett zu verkriechen. Sie würden auch ohne mich zu Recht kommen.

Die nächsten Wochen setzte ich meinen Plan, mich selber zu finden, endlich in die Tat um. Danny und Cole waren so gut wie nie da und die anderen Walters waren nach vier Tagen wieder nach Colorado gefahren.

Ich hingegen fing an, alte Dinge zu sortieren. Ich brachte es übers Herz die Wohnung von allem zu befreien, was mich an meine Familie erinnerte. Bis auf ein Paar Fotos und Lucys Notizbücher packte ich alles in Kartons und brachte diese in einem kleinen Lagerraum am nördlichsten Ende der Stadt unter, den meine Eltern irgendwann einmal gekauft hatten.

Dann ging ich zusammen mit Sammy colorado-taugliche Anziehsachen shoppen. Sprich Jeans, wenn auch von Designern, ein paar weniger schicke T-Shirts und eine hübsche weinrote Jacke mit Innenfutter aus Fleece. Sie schaffte es sogar, mich dazu zu überreden mit ihr einen Yogakurs zu machen.

Oft setzte ich mich auf die Stufen auf dem Times Square und beobachtete die Menschen, so wie Lucy es immer gemacht hatte. Sie hatte dann die Emotionen, die sie in deren Gesichtern gesehen hatte, in ihr Notizbuch geschrieben. Ich beschloss, das fortzuführen. Und ich war erstaunt, wie viel ich dabei über Menschen lernte.

Sammy und Danny kamen sich wieder näher und ich gönnte es ihnen von ganzem Herzen. Und auch Cole und ich verstanden uns immer besser. Vielleicht lag das daran, dass wir nicht andauernd aufeinander hockten, vielleicht meinte es das Universum auch nur zur Abwechslung mal gut mit uns, wer weis?

Drei Tage vor Abflug war Dannys Auftritt. Sammy, Cole und Ich hatten uns Karten auf den besten Plätzen gesichert und ich konnte es kaum abwarten. Danny hatte eine der Hauptrollen, so viel wusste ich.

Etwa eine halbe Stunde vor Beginn, fragte Cole mich, ob ich noch kurz mit an die frische Luft wolle. Ich nickte und folgte ihm nach draußen.

Es dauerte eine Weile bis ich mich erinnerte, dass ich schon mal hier gewesen bin.

„Komm mit.", sagte ich zu Cole, als mir ein Gedanke durch den Kopf schoss. Ich zog in an der Hand zur Feuerleiter des Gebäudes und bedeutete ihm hochzuklettern. „Bis aufs Dach.", flüsterte ich.

Oben angekommen stellte ich mich ans Geländer und sah mich suchend auf den Nachbarsdächern um, die etwas tiefer gelegen waren.

Ich erinnerte mich, wie Lucy mich vor etwa anderthalb Jahren mitten in der Nacht geweckt hatte und mich, mit einer roten Spraydose und einem ihrer Notizbücher bewaffnet, hierher geschleppt hatte. Sie hatte mir gesagt ich solle vor dem Theater warten. Als sie zurückgekommen war, waren wir auf dieses Dach geklettert und sie hatte mich an dieses Geländer geführt.

Und da sah ich es.

Quer über das Dach eines Supermarktes war etwas geschrieben worden.

„Willkommen in New York, der Stadt, die deine dunkelsten Seiten zum Vorschein bringt und dich deine guten Seiten vergessen lässt.", las Cole murmelnd vor.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Lucy war so schlau gewesen. Sie hatte gesehen, was keiner sonst an sich bemerkt hatte. Sie hatte es immer gewusst. Sie kannte die Wahrheit.

Und jeder, der einen Hubschrauberrundflug über New York machte, war gezwungen, dass zu lesen.

„Warst du das etwa?", fragte Cole skeptisch. Ich schüttelte den Kopf.

„Lucy.", flüsterte ich.

„Stimmt es denn?", fragte er irgendwann. „Der Spruch, meine ich."

„Siehst du doch.", ich lachte und deutete anklagend auf mich selber.

Cole nickte. „Du willst nicht mehr hier sein, oder?", fragte er.

„Es war schön in New York. Und ich liebe diese Stadt trotzdem. Aber ich hatte vorgehabt mich selber zu finden, und der Mensch, zu dem New York mich macht, der will ich nicht sein. Das weis ich jetzt. Ich gehöre nach Colorado, da bin ich ein besserer Mensch."

Ich hatte mich doch tatsächlich auf einer Farm mitten in der Pampa, wo ich zwölf Brüder hatte und eine staatliche High School besuchte, gefunden. Hätte mir das jemand vor einem halben Jahr gesagt, hätte ich ihn ausgelacht. Doch jetzt musste ich lernen mich so zu akzeptieren. Ich musste anfangen zu leben.

Cole schaute mir in die Augen, legte seine Hände auf meine Wangen und dann küsste er mich. Ganz sanft und voller Liebe. Mein Bauch verwandelte sich in Schmetterlinge. Eine klitzekleine Träne rollte über meine Wange und tropfte auf die raue Dachpappe. Die letzte, die ich für meine Vergangenheit vergießen würde. Ab jetzt würde ich nur noch wegen gemeinen Streichen der Jungs oder wegen verstauchten Knöcheln weinen.

Doch vorerst würde ich mir ein wunderbares Theaterstück anschauen, mit Sammy und Cole an meiner Seite. Und mit der Vorfreude darauf wieder nach Hause zu kommen.

Nach Colorado zu meinen Walter-Boys. 

Ich und die Walter Boys - Status quo: NYC #altending #justwriteit #wattpad10Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt