15. Glück ist Liebe, auch im Unglück

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Müde vegetiere ich beim Frühstück vor mich hin. Aus dem geplanten Treffen mit Nathaniel wurde selbstverständlich nichts mehr. Auf meine Nachrichten, die ich ihm nachdem er weggegangen ist geschrieben habe, hat er auch nicht reagiert. Der Abend konnte nicht beschissener enden. Ich habe Castiel einfach stehen gelassen und bin auch nicht mehr zurück zu den Anderen, auf Armins und Alexys Zimmer, gegangen. Ich habe mich nur noch in mein Bett gelegt und Tränen vergossen. Ich war so wütend aber ich wusste nicht mal genau auf was. Weder auf Nathaniel, noch auf Castiel hatte ich diesen Zorn. Ich sehe von meinem halben Marmeladenbrötchen, das vor mir steht, auf und treffe auf Violas besorgten Blick. "Ist alles in Ordnung, Lisa? Hast du nicht gut geschlafen?"
Ich reibe mir die Augen, damit ich unseren Blickkontakt für einen Moment unterbrechen kann. "Nein, überhaupt nicht gut. Viel zu kurz außerdem", nuschle ich als Antwort zurück.
"Oh je, vielleicht solltest du dann heute besser nicht mit uns Skifahren ..."
"Das ist lieb gemeint von dir", bekenne ich und höre auf mir die Augen zu reiben, "aber doch, ich werde mitmachen. Ich bin schließlich nicht krank, nur müde."
"Das ist genau der richtige Gedanke", lobt mich Kim.
Ich lächle sie dankend dafür an. Plötzlich vibriert mein Handy, das neben meinem Teller auf dem Tisch liegt, und ich hebe es in Windeseile auf, um auf das aufleuchtende Display zu schauen. Natürlich. Es ist keine Nachricht von Nathaniel. Dieses Schweigen macht mich noch ganz kirre und es dauert noch nicht mal 24 Stunden an. Wehmütig öffne ich die Mitteilung.
Alexy: Bist du schon beim Frühstück?
Ich bin früher als sonst hier, da ich ja sowieso nicht schlafen konnte. Normalerweise würde ich erst eine halbe Stunde später hier sitzen.
Ich: Ja und auch sofort fertig.
Ich greife nach meinem Teller mit der freien Hand und in der anderen halte ich weiterhin mein Handy.
"Hast du keinen Hunger mehr?", fragt Kim irritiert.
Ich schüttle mit dem Kopf. "Bis später."
Ich entferne mich von ihnen, werfe mit schlechtem Gewissen die Reste meines Frühstücks weg und mache mich anschließend auf den Weg, zurück auf mein Zimmer. Da schreibt mir Alexy erneut.
Alexy: Was ist mit dir los? Du hast gestern Abend auf keine meiner Nachrichten reagiert!
Ich habe mit ihm das abgezogen, was Nathaniel mit mir gemacht hat. Stolz bin ich darauf nicht aber ich wollte mit keinem Anderen mehr reden, als mit meinem Freund.
Ich: Ich weiß, tut mir leid ...
Alexy: Lass mich raten: Es gab Ärger zwischen Nathaniel und Castiel?
Ich: Du bist gut im raten ... :)
Alexy: Mein Gott, dass ich da gestern nicht schon drauf gekommen bin!
Alexy: Habt ihr zwei Süßen denn wenigstens darüber gesprochen?
Ich: Nein.
Alexy: Na, das erklärt so einiges. Dann los, Lisa, regle das! Auf der Stelle! Ich kann deinen deprimierten Gesichtsausdruck nämlich nicht ertragen, wie du weißt! Er lässt dich grässlich aussehen :P
Ich muss leise schmunzeln. Alexy weiß eben immer die richtigen Worte. Ich blicke auf die Uhrzeit. Viertel vor Neun. Es dauert noch über drei Stunden, bis wir uns alle treffen. Hm. Wie soll ich jetzt nur an Nathaniel rankommen? Er antwortet mir ja sowieso nicht, wenn ich ihm schrei ... Mein Handy vibriert wieder. Was?!
Nathaniel 💘: Lisa. Hast du schon gefrühstückt?
Kein guten Morgen. Bloß mein Name. Naja, wenigstens schreibt er mir endlich. Als wäre mein Flehen erhört worden!
Ich: Ja ... Warum?
Nathaniel 💘: Gut. Komm auf die Dachterrasse, ich warte dort auf dich.
Ich sehe keinen Sinn mehr darin erneut zu antworten, stattdessen laufe ich los, zum Treppenhaus und klappere die Stufen ab. Anfangs sprinte ich noch wie ein Marathonläufer, doch das hört schnell wieder auf. Japsend komme ich oben an, doch bevor ich die Tür, die mich noch von Nathaniel trennt, öffne, stütze ich mich mit den Händen auf meinen Oberschenkeln ab. Wie lange ist es her, dass ich so gerannt bin? Viel zu lange, eindeutig. Ich sollte anfangen joggen zu gehen. Ich richte mich wieder auf, hole tief Luft und nehme eine gerade Haltung ein. Langsam drücke ich gegen die dicke Metalltür, um sie zu öffnen. Folglich bekomme ich es direkt mit Nathaniels Rückenprofil zutun. Mit behutsamen Schritten gehe ich auf ihn zu. Es ist wirklich kalt hier oben, der Wind ist verdammt kühl und außerdem schneit es ein wenig. Als mich nur noch ungefähr drei Schritte von meinem Freund trennen, weiß ich nicht recht, was ich machen soll. Ihn bloß begrüßen? Ihn küssen? Ihm sagen, wie sehr mir das gestrige Ende leid tut? Oder offen gestehen, dass ich eigentlich keine wirkliche Ahnung habe, was ich falsch gemacht habe und ich es nicht länger ertrage, wenn er mich weiterhin in dieser Ungewissheit baumeln lässt? Letzten Endes entscheide ich mich für keine der spontan aufgepoppten Optionen, die mir in Gedanken herumwuseln. Ich lehne mich mi dem Oberkörper an seinen Rücken, lege meine Arme um seine Mitte und drücke ihn feste an mich. Schweigend. Zunächst reagiert er nicht und Zweifel steigen in mir auf, bis ich auf einmal seine warmen Hände auf meinen spüre. Wir verweilen in dieser Position. Ich schließe meine Augen. Es fühlt sich schon gar nicht mehr so kalt hier oben an. Seine Körperwärme dringt langsam zu mir vor und ich bin dankbar dafür. Ich würde gerne das Gespräch mit ihm anfangen, doch ich will nichts überstürzen. Bis dahin genieße ich einfach, dass wir alleine sind. Denn das ist wirklich wertvolle Zeit, auf dieser Skifahrt. "Lisa", spricht er sanft aus.
"Ja. Ich bin hier."
Er lässt die Finger seiner rechten Hand mit denen meiner verschränken. "Zum Glück." Er löst sich aus unserer Umarmung und dreht sich um, um mir ins Gesicht schauen zu können. Meine Hand lässt er dabei jedoch nicht los. Ich erkenne leichte Augenringe und kann nicht anders, als besorgt dreinzusehen. Er lächelt mich aufmunternd an. Gott, sein Lächeln. Manch einer würde meine Reaktion bestimmt übertrieben finden aber ich freue mich, dass er mir wieder dieses Lächeln schenkt. Ich gebe ihm ein sanftes zurück. Zaghaft drückt er meine Hand. "Tut mir leid", kommt es leise aus ihm hervor. "Ich hatte mich gestern nicht mehr unter Kontrolle ..." Sein Adamsapfel macht eine heftige Bewegung, hervorgerufen durch sein ebenso starkes Schlucken.
"Hättest du mir das nicht wenigstens schreiben können?" Ich versuche so wenig vorwurfsvoll wie möglich zu klingen. Es soll schließlich auch nicht als ein Vorwurf gemeint sein. Er sieht betreten zur Seite. "Natürlich, aber ich konnte es irgendwie nicht", gesteht er. Er legt eine kleine Pause ein, ehe er kund gibt: "Ich hatte Angst."
"Aber ... Aber wovor?"
"Dass ich diese unkontrollierten Gefühle an dir rauslasse." Er richtet seinen Blick auf den Boden aus. "Und damit kein Stück besser wäre, als mein Vater."
Meine Augen weiten sich. Ich greife nach seinem Gesicht und lenke es zu mir, damit er mir in die Augen sieht und nicht mehr auf diesen hässlich dunkelgrauem Boden, unter unseren Füßen. Seine sonst so strahlenden honiggelben Augen haben wieder dieses trübe Glitzen. "Nath", fange ich achtsam an, "du bist in keinem Fall wie dein Vater!"
"Selbstverständlich würde ich dir niemals körperlich weh tun, ich hoffe du weißt das auch", beginnt er zu argumentieren, "aber solche Gefühlsausbrüche habe ich eindeutig von ihm geerbt ... Und das will ich nicht gutheißen. Ich kann es auch nicht."
"Hör auf", bitte ich ihn mit schüttelndem Kopf. "Du darfst dich niemals mit ihm vergleichen!"
Erst nach einem weiteren Augenblick des Schweigens nickt er zögernd. Er legt seine Hände an meine Taille, um mich näher an sich ranzuziehen. "Es fällt mir so verdammt schwer nicht offiziell mit dir zusammen sein zu können ...", flüstert er, obwohl niemand in Reichweite ist. Mich überfährt eine leichte Gänsehaut bei seinen Worten.
"Mir doch auch aber wir schaffen das. Wir haben es bis jetzt gut gemeistert", antworte ich lächelnd.
"Ich gebe dir nicht ganz Unrecht aber ... Weißt du ..." Er sieht zum Himmel, als würde er dort nach weiteren Worten suchen. Ich folge seinem Blick. Er schimmert in seinen grauweißen Farbtönen und die einzelnen Schneeflocken rieseln auf uns herab. "Ich hätte Castiel gestern wirklich gerne eine reingeschlagen. Wirklich, wirklich gerne. Ich meine, er hat dich geküsst! Er hat dich tatsächlich geküsst ... Und da gibt es auch kein nur. Es war dein Hals." Nun wandert er mit seinen Händen zu meinem Gesicht rauf und lenkt damit meine Augen wieder auf sich. Ich lege meine Hände in seinen Nacken. "Aber ich durfte es einfach nicht, obwohl es eigentlich nur gerecht gewesen wäre. Du bist immerhin meine Freundin und nur ich sollte deinen Körper mit meinen Lippen berühren dürfen ... Ich darf nicht daran zurückdenken. Es lässt mich nur wieder wahnsinnig machen." Er kneift kurz die Augen zusammen, als würde er mitten in einer anstrengenden Aufgabe stecken. "Als hätte das aber nicht schon gereicht, hat er mir auch noch die Wahrheit vor Augen geführt. Ich war es, der sich von dir getrennt hat." Sichtlich verzweifelt lässt er seine Stirn auf meine treffen, wodurch mir ein paar seiner blonden Strähnen vor die Augen fallen. Er lässt seine Lider ein weiteres Mal sinken und fährt fort: "Das war einfach das allerdümmste, was ich je getan habe. Ich hatte eigentlich damit abgeschlossen, weil ich dich jetzt wieder habe und das das Einzige ist, was zählt, aber durch diese Bemerkung von diesem Idioten ... Es ist einfach alles wieder hochgekommen, Lisa. Diese Wut auf mich selbst. Diese Wut auf jeden Grund, der uns nicht problemlos zusammen sein läs-"
Ich kann mir das nicht länger anhören. Bei aller Liebe, ich kann es nicht. Ich ziehe seinen Kopf zu mir herunter, um meine Lippen auf seine treffen und sie letztlich in einem Kuss verweilen zu lassen. Einem sehr sinnlichen, wie wir ihn schon lange nicht mehr hatten. Er lässt sich darauf ein und beginnt seine Lippen vorsichtig zu bewegen. Ich komme ihm entgegen und spüre dadurch förmlich heraus, wie fertig er durch seine Gedankengänge und die damit im Zusammenhang stehenden Emotionen ist. Ich löse mich kurz aber nicht weit von ihm. "Such die Gründe nicht immer bei dir", hauche ich ihm entgegen, "es tut mir auch leid, dass es gestern Abend überhaupt so weit gekommen ist."
"Ich habe gesehen, dass du ihn wegstoßen wolltest", beteuert er mit sanfter Stimme, doch dann hören wir auch schon wieder auf zu reden und widmen uns stattdessen uns gegenseitig, indem wir erneut in zärtliche Küsse verfallen. Immer wieder drücke ich ihn so nahe es geht an mich. Ich wünschte die Zeit um uns herum würde stillstehen und wir können noch ganz lange ungestört hier sein, nur wir Zwei. Er drückt mir einen letzten festen Kuss auf den Mund, bevor er mich mit einem Strahlen im Gesicht und geröteten Wangen anschaut. "Danke", äußert er. Ich streichle ihm über seine linke Wange. Sie glüht richtig. "Auf Dauer rational zu denken kann wirklich schwierig sein."
"Ssscht!" Ich platziere meinen linken Zeigefinger auf seinen Lippen. "Kein Wort mehr darüber, okay? Ich wäre dir aber sehr dankbar, wenn du in Zukunft deine Gedanken früher mit mir teilst."
Einverstanden nickt er. "Abgemacht." Er besiegelt seine Antwort mit einem Kuss auf meine Stirn.
"Ist das hier eigentlich der Ort, den du mir zeigen wolltest?"
"Nein", offenbart er und lacht leicht auf. "Heute Abend entführe ich dich aber dorthin!"
"Gut. Sonst hätte ich auch schon angefangen die Zuverlässigkeit unseres Schülersprechers in Frage zu stellen!" Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
"Pff", lacht er, "du solltest die Letzte sein, die das in Frage stellt!" Er packt meinen Oberkörper, indem er ihn mit seinen muskulösen Armen umschlingt, und hebt mich hoch, sodass meine Füße wahrscheinlich mindestens zwanzig Zentimeter  über den Boden schweben. Wie von selbst quietsche ich erschrocken darüber auf und muss daraufhin hemmungslos loslachen. "Naaath, lass mich runter", flehe ich, doch er nimmt mich durch mein Gelächter kein Stück ernst. Er ergötzt sich geradezu an meinem Anblick. "Es ist toll, dass du so klein bist, habe ich dir das schonmal gesagt?"
Und wie er so lacht, wird mir immer wieder aufs Neue klar, wie sehr ich eigentlich in ihn verliebt bin. Ich drücke ihm mehrere Küsse auf die Wange, in kleinen Abständen, und bin einfach nur dankbar dafür, dass Gott, oder wer oder was auch immer, mir ihn geschenkt hat.
Hand in Hand gehen wir durch das Treppenhaus, nachdem wir noch einige Zeit dort oben zusammen verbracht haben. "Fährst du nachher wieder Snowboard?", erkundigt er sich.
"Auf jeden Fall! Schließlich hat das viel besser funktioniert, als mein Gehampel auf den Skiern!" Ich kichere und erinnere mich dabei an vorgestern zurück. Es ist bereits der dritte Tag heute. Die Zeit fliegt!
"Ich stimme dir zu", klinkt er sich in mein Lachen ein. Allerdings verstummt es kurz danach wieder. "Ähm, mal eben was anderes ..."
"Ja?", hake ich verwundert nach.
"Du hast gestern aber nicht noch weiter Zeit mit Castiel verbracht, nachdem ich gegangen bin, oder?" In seiner Mimik lässt sich erkennen, dass es ihm unangenehm ist, diese Frage zu stellen.
"Nein", reagiere ich fast schockiert, "aber natürlich nicht! Mein Fokus lag auf dich und ich bin danach auf mein Zimmer verschwunden. Ich habe keine Minute länger bei ihm bleiben können. Erst recht nicht nachdem ..." Ich breche ab. Eine Wiederholung des Szenarios ist nun wirklich nicht angebracht. Keiner von uns beiden braucht das.
"Okay", antwortet er. "Entschuldige, dass ich wieder damit angefangen habe aber die Frage schwirrte noch in meinem Kopf herum."
"Bsss bsss bsss." Ich fange an Bienengeräusche zu imitieren und obwohl ich mir dabei sehr kindisch vorkomme, schmunzelt Nathaniel über mein Verhalten. "Wie alt bist du nochmal?", fragt er lachend.
"Biologisch betrachtet bin ich Achtzehn."
"Biologisch", betont er.
"Neck mich ruhig weiter!" Mahnend schwinge ich den Zeigefinger. "Aber das wird noch Rache geben, das sage ich dir!"
Er gibt mir grinsend einen Kuss auf die Schläfe. "Ich bin gespannt, wie die aussieht!"

So zu tun, als ob | Sweet Amoris - Nathaniel FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt