Falling Chestnut - Die Bowlingkugel auf 4 Hufen - Kapitel 7

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Chestnut erhebt sich


Die Wochen nach Wind Charges frühzeitiger Pensionierung waren harte für Will und seine Familie. Richard Sanders hatte sehr viel Geld für den jungen Hengst bezahlt und hatte sich sehr große Hoffnungen auf Siege mit ihm gemacht, denn obwohl man es dem Hof nicht ansah, die Familie Sanders war schon einmal besser bei Kasse gewesen. Blieben also die Siege von Wind Charge und Black Unity aus, dann standen ihnen gewaltige Probleme bevor. Wenigstens konnten sie Wind Charge nun noch zur Zucht einsetzen. Das war schon einmal besser, als gar nichts. Doch wer wollte nur ein Fohlen von einem Hengst kaufen, der bei seinem ersten Rennen schon eine derartige Verletzung erlitten hat? Vor allem nach so einem Start, wie den, den Bartholomew hingelegt hatte. Black Unitys Siege hatten zar gereicht, um die Kosten des Stalles zu decken, doch wenn sie nun wieder ein paar Monate aussetzte, dann konnte das nichts gutes bedeuten. Sie war das einzige, nicht pensionierte Rennpferd im Stall.
Die Zeit bis zum Ende der Rennsaison verging wie im Fluge. Black Unity war bisher noch immer bis auf ein Rennen ungeschlagen, musste aber die Rennsaison mal wieder früher abbrechen, da Wills Vater nichts Besseres im Sinn gehabt hatte, als sie von Wind Charge decken zu lassen, um ein neues Pferd für seinen Stall zu bekommen. Mittlerweile war Chestnuts Training im vollen Gange. Täglich longierte Will ihn auf der Weide und ließ ihn neben seiner Mutter über die Rennbahn laufen. Auch an Sattel und Trense war er sehr schnell gewöhnt. Natürlich war keiner von ihnen besonders begeistert davon, einen Jährling zuzureiten, doch im Rennsport war das leider ein Muss, wenn man ein erfolgreiches Pferd haben wollte.
Dann war der Tag gekommen, an dem er das erste Mal gesattelt und getrenst in eine Startbox geführt werden sollte, doch Chestnut hatte da etwas vollkommen anderes im Sinne. Mit allen Vieren sträubte er sich dagegen, in die Box zu gehen. Wills Vater öffnete die Klappen vorne, sowie hinten, sodass da nur ein Tunnel war, durch den Chestnut gehen musste. Das ließ sich der eineinhalb jährige Hengst problemlos gefallen. Mehrere Male führte Will sein Pferd hindurch. Schließlich blieb er vorne in der Box stehen und schloss langsam die Klappen vorne. Chestnut riss nervös den Kopf nach oben, blieb aber dennoch relativ ruhig. Will streichelte seinem Hengst den Hals und gab ihm eine Karotte. Zusehends entspannte sich Chestnut und leckte sich neben Will unterwürfig die Lippen und ließ die Ohren baumeln. Dann wurde auch die hintere Klappe verschlossen. Chestnut tänzelte nervös auf der Stelle. Richard Sanders gab Will das Zeichen, auf Chestnuts Rücken zu steigen, um ihn einzureiten. Der schlanke Junge kletterte an der Bande empor und streichelte seinem Pferd den Hals, bevor er sich in den Rennsattel nieder ließ.
„Ganz ruhig, mein Junge", flüsterte er und griff sich ein paar Strähnen aus Chestnuts Mähne, um nicht den Halt zu verlieren. Gleich ging es also los. Der erste Ritt auf Chestnut, der erste Ritt auf seinem eigenen Fohlen, das er trainiert und ausgebildet hatte. Will atmete tief durch und sah die Strecke vor sich.
„Lauf, mein großer, lauf einfach, renn wie der Wind, wie die ungezähmte Natur. Lauf einfach los und hab nur das Ziel im Blick!", sagte er und kauerte sich über Chestnuts Hals. Richard Sanders ging zu den Tribünen, hielt seine Stoppuhr in der Hand und drückte mit der anderen den Startknopf. Die Türen sprangen auf und durch das laute, knallende Geräusch erschreckt, raste Chestnut los. Wie vom Hafer gestochen, galoppierte er den Beschleunigungsstreifen entlang, obwohl Will ihn sehr stark zurück hielt. Er konnte sich einen aufgeregten Aufschrei nicht verkneifen. Er flog. Chestnut und er flogen! Er spornte den feurigen Fuchs an, zu laufen und das tat Chestnut auch. Und wie er es tat. Die Mähne peitschte Will ins Gesicht, doch das machte ihm nichts aus. Er lenkte Chestnut um die Kurve der Rennbahn auf die Zielgeraden, dort ließ er ihm dann die Zügel frei. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Chestnut noch viel schneller laufen würde, doch da hatte er sich getäuscht. Chestnut beschleunigte weiter, seine Hinterhand arbeitete immer schneller, wie eine Dampfmaschine, die immer mehr Geschwindigkeit bekam. Unaufhaltsam und voller Kraft. Die Welt um ihn herum verschwamm zu einem grün-weiß-braunen Matsch und die Zeit lief für einige Augenblicke langsamer, als die Ziellinie näher kam.
Mit jedem Galoppsprung, den Chestnut tat, hüpfte Wills Herz vor Freude. Das war ein Rennpferd, wie es im Buche stand. Das war der Champion, auf den die Welt gewartet hatte. Der hatte das Feuer, das selbst dem feurigsten Rennpferd fehlte. Sein Chestnut, sein großer Champion.
Nach der Ziellinie hielt Will Chestnut zurück. Seine Schwester Emma stand da auch schon mit Black Unity, damit ihr Sohn endlich mit dem Rennen aufhörte. Es klappte. Chestnut ließ sich beruhigen und anhalten. Sein Fell war nass, doch er schnaufte zufrieden und rieb den Kopf an der Flanke seiner Mutter.
„Wow", keuchte Emma, „Ist das wirklich unser Pferd? Ist das wirklich Falling Chestnut?"
„Das ist er!", lachte Will und klopfte seinem Pferd stolz den Hals. Chestnut schüttelte die Mähne und schnaubte. Will drehte den Kopf, als sein Vater angerannt kam.
„Will! Will, um Gottes Willen, um Gottes...um Gottes Willen!", rief er und wedelte aufgebracht mit seiner Stoppuhr in der Luft herum und hatte dabei das wohl freudigste Lachen im Gesicht, das Will bei ihm je gesehen hatte.
„Eine Furchenlänge, ein Furlong, um Gottes Willen, Will!!", schrie er und konnte seinen Blick nicht von der Uhr abwenden.
„Wie schnell?!", rief Will aufgebracht, sprang von Chestnuts Rücken und führte ihn hinter sich her zu seinem Vater.
„Fünfunddreißig."
„Fünfunddreißig Sekunden?!"
Richard Sander nickte und zeigte die Stoppuhr, doch Will konnte das nicht glauben, er wollte es, aber er konnte nicht.
„Das Ding ist alt, vielleicht hängt es oder du hast zu spät gedrückt!", lachte er ungläubig, doch sein Vater drückte ihm die Uhr in die Hand und nahm ihm Chestnut ab.
„Diese Uhr hat schon deinem Großvater gehört und sie hat auch ihm jahrelang treu gedient, ohne je eine Millisekunde zu fehlen. Das wird auch heute nicht der Fall sein. Und selbst wenn ich etwas zu spät gedrückt habe, dann ist dein Chestnut noch immer ein schnelleres Pferd, als alle anderen, die ich bisher jemals auf einer Rennbahn in Amerika je habe laufen sehen!"
Er klopfte Chestnut lobend den Hals und half Emma, Chestnut einzudecken.
„Chestnut ist schneller, als seine Mutter...", murmelte Will leise. Sei Vater drehte den Kopf und schickte ihm einen beißenden Blick herüber.
„Junger Mann, das bedeutet nicht, dass Black Unity nun nutzlos ist! Sie wird noch immer auf Rennen gehen, genau wie zuvor auch! Nur, dass wir nun eben einen neuen Favoriten im Stall haben. Und das ist dein Falling Chestnut. Ich bin mal gespannt, was der alte Buck Gableton zu ich, sagt. Der Mistkerl wird sich noch die letzten grauen Haare vom Kopf wundern, wenn er ihn sieht. Soll er mir doch mit seinen Schmiergeldern kommen! Ich verkaufe den Hof nicht!"
Buck Gableton war einer der richtig Großen. Ein Rennstallbesitzer, der zu dieser Zeit richtig in Blüte stand. Seine Pferde gewannen fast jedes Rennen. Reviewer gehörte zu seinem Stall. Dieses Pferd hatte zusammen mit einer berühmten Rennstute namens Shenanigans ein schwarzes Stutfohlen zur Welt gebracht, die so mancher wohl noch in guter Erinnerung behalten wird. Ruffian. Die Wunderstute, die sich mit drei Jahren in einem Match Race gegen Foolish Pleasure das Bein brach und deshalb eingeschläfert wurde.
Buck war ein kaltherziger, schnöseliger, reicher Pinkel, der keine Skrupel kannte. Er kaufte Rennpferde von Gestüten, die der Pleite nahe standen und wurde mit ihnen meist erfolgreich. Der ursprüngliche Besitzer durfte sich dann grün und blau ärgern, weil diese Siege eigentlich ihm zugestanden hätten. Man ging jedoch davon aus, dass Gableton nicht immer mit fairen Mitteln handelte. Punkto Doping und Co. Natürlich wurden alle Pferde auf derartige Mittel untersucht, doch wer die Kohle hatte, der schaffte es auch irgendwie, diese Kontrolle zu umgehen.
Natürlich war Gableton zu Ohren gekommen, dass Wills Vater zur Zeit in keiner besonders guten, finanziellen Lage war und hatte ihm ein Kaufangebot für das gesamte Gestüt, samt Pferden und Haus gemacht, doch Richard Sanders hatte abgelehnt. Völlig zurecht, denn bevor Gableton auch nur einen Fuß auf dieses Gelände gesetzt hätte, hätte er die Abrissbirne geholt und alles platt gemacht, um seine eigenen Stallungen darauf zu bauen. Will schwor sich, auch seinem nervigen, kleinen Bohnenstangensohn niemals klein bei zu geben. Er war ehrgeizig und das hier war sein Hof. Niemand anders sollte ihn jemals bekommen!
„Ich bringe Chestnut in den Stall, demnächst sollte auch Unitys Fohlen kommen. Nächste Woche oder?"
Richard nickte. „Trainiere du deinen Chestnut. Um die trächtige Stute kümmere ich mich so lange."
Will brachte sein Pferd in den Stall und machte ihm einen Haferbrei als Stärkung, den Chestnut gierig auffutterte. Will strich während er fraß immer wieder die weiße Blesse seines Pferdes entlang, als könne er nicht glauben, dass das hier die echte Welt war. Er war Besitzer eines Rennpferdes, eines richtig, echten, pfeilschnellen Rennpferdes und er hatte ihn selbst großgezogen.
„Das ist der Geist", murmelte Will. Das hatte sein Großvater immer gesagt. Er hatte den Geist des Rennens gemeint. Den Siegesgeist, den Ehrgeiz, die Ehre. Was war sein Großvater nur für ein weiser Mann gewesen. Will hätte alles gegeben, um nur noch einmal mit ihm reden zu können. Jetzt, wo er ihn hätte verstehen können.
Chestnut beendete seine Mahlzeit mit einem zufriedenen Grunzen und flehmte, als er Wind Charge roch.
„Ruhig, Brauner", lachte Will und kuschelte sich ins Stroh, „Leg' dich!"
Chestnut, der dieses Spiel bereits kannte ging in die Knie und ließ sich auf die Seite fallen. Will legte seinen Kopf auf Chestnuts Hals und strich über dessen Schulter. So blieben die beiden eine ganze Weile liegen, bis es draußen so kalt wurde, dass Will sich nach seinem warmen Bett sehnte. Er verabschiedete sich von seinen Pferden und joggte hinüber zum Wohnhaus, wo er sich nicht einmal umzog, bevor er sich ins Bett fallen ließ.
„Wir werden die Triple Crown gewinnen, wie Secretariat. Wir werden schneller sein, als Man'o'war und flinker, als Ruffian. Wir werden die Menge zum Schweigen bringen, wie Eclipse es einst getan hat und wir werden den Leuten zeigen, was wir können, genau, wie Seabisquit!", flüsterte er und kuschelte sich in seine Decke, bevor er eischlief.
In der nächsten Woche trainierten Will und Chestnut täglich und die Startversuche besserten sich von Mal zu Mal. Chestnut wurde immer geübter, hatte bessere Balance und rollte unaufhaltsam ins Ziel. Man brauchte weder Peitsche noch Sporen, damit er lief, denn wenn er lief, dann packte in der Ehrgeiz und man musste ihn eher zurückhalten, als antreiben, damit er nicht schon in der ersten Kurve seine gesamte Energie verrannte.
Mason Fuchs hatte zur Abwechslung auch mal wieder vorbeigeschaut, während Will und sein Vater sich gerade zu einem Rennen zwischen der sechsjährigen Bellatrix und Chestnut bereit machten. Richard Sanders wollte Chestnut auf die Probe stellen, wie er sich im Rennen mit anderen Pferden anstellte, doch ihn gegen Bellatrix, ein pensioniertes Rennpferd laufen zu lassen, war nicht von besonders großem Nutzen.
Nach wenigen Yards führte der junge Hengst bereits, obwohl Bellatrix ein wesentlich größeres, erfahreneres Pferd und nicht wirklich langsames Pferd war. Chestnut preschte voraus, in der ersten Kurve führte er mit fünf Längen, bis es auf die Zielgerade ging. Will gab ihm die Zügel hin und Chestnut zündete seine Rakete. Gemeinsam fegten sie über den Seitenstreifen, nahe an der Bande und schossen weit über die Ziellinie hinaus.
Mason Fuchs war ebenso begeistert, wie Wills Vater zuvor. Mit seinem Stift in der Hand, notierte er die Zeit, machte mit seiner Kamera ein Bild von Will und seinem Pferd und fing dann an, seinen Artikel zu schreiben:
Die Saison kann beginnen. Große Champions werden selten geboren, doch wenn sie es tun, dann erkennt man sie sofort. Ich bin gestern einem solchen Champion begegnet. Sein Name ist seit dem Herbst vorletzten Jahres in den Zuchtbüchern eingetragen. Ein gewaltiger Koloss von einem Jährling, ein junger Feuerball von einer Stute, die letztes Jahr schon für viel Achtung bei Presse und Publikum gesorgt hat. Geritten von William Sanders, wird dieses Pferd in diesem Jahr das erste Mal auf die Rennbahn treten. Er mag zwar noch unerfahren sein, doch keiner, der sich sein erstes Rennen ansehen wird, wird es bereuen.
Noch steht sein Erfolg in den Sternen, doch ich bin mir sicher. Es wird einen großen Champion geben, denn der Newcomer, Falling Chestnut, hat sich erhoben!



Dies ist das Ende der Story, dieich damals geschrieben habe. Ich habe leider nicht weiter geschrieben, da meinedamalige "Walter Farley"-Phase leider irgendwann abgeklungen ist undich mich schlichtweg nicht mehr in den Trubel der Pferderennen hineinversetzenkonnte. Da ich in meinen Geschichten so viele richtigen Informationen wiemöglich herüberbringen möchte, liegt es also auch daran, dass ich einfach nochtgenug know-how rund um Pferderennen besitze, um eine solche Story komplettdurchzuziehen. Deshalb werde cih wohl leider in nächster Zeit davon absehenmüssen, die Geschichte zu Ende zu schreiben.

Die Unvollendeten Geschichten der Sammy BraveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt