Ferien im Rosental - Leyla in Gefahr - Kapitel 2

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Kirschen und Wasser vertragen sich nicht

Der nächste Tag verging nur schleppend. Jasmin wachte auf, ging mit Timmy spazieren, der ungeduldig an ihrer Tür gekratzt hatte, putzte sich erst danach die Zähne und ließ sich dann matt an den gedeckten Frühstückstisch plumpsen. Ihr Vater las mal wieder Zeitung. Manchmal fragte Sich Jasmin, wie ihr Vater eigentlich nochmal aussah, weil sie morgens immer nur das Titelblatt der Zeitung von ihm zu sehen bekam.

„Hab dein Zeugnis gesehen! Gut geworden!", sagte er knapp und eine Hand kam hinter der Zeitung hervor. Sie tastete sich zu einer Kaffeetasse und zog sie hinter den Fetzen Papier. Daraufhin war ein leises Schlürfen zu hören.
„Danke", schmatzte Jasmin. Ihre Mutter briet gerade Eier und es duftete herrlich.
„Brauchst du nachher Hilfe beim Koffer packen?", fragte ihre Mutter. Jasmin schüttelte vehement den Kopf.
„Dazu bin ich alt genug!", rief sie entrüstet und schmierte sich ein Marmeladenbrot.
„Schon gut, musst ja nicht gleich hysterisch werden", sagte ihre Mutter, Jasmin lachte.
„Ich und hysterisch? Ich bin doch nicht hysterisch!", rief sie gespielt aufgebracht und trank einen Schluck von ihrer Schokomilch. Ihr Vater lachte hinter seiner Zeitung hervor.
„Bernhard, leg die verdammte Zeitung endlich weg!", schimpfte Jasmins Mutter. Ihr Vater brummte und faltete die Zeitung raschelnd zusammen.
„Gibt eh keine richtigen Verkäufe", seufzte er. Jasmin legte den düstersten Blick auf, den sie drauf hatte.
„Woh, woh, das war nur ein Scherz!", sagte ihr Vater schnell, dann wechselte er geschickt das Thema. „Schon was vor, heute?"
„Vielleicht geh ich mit Lisa was machen. Mal gucken."
„Aber vorher bringst du diese Kuchen bei Frau Baumann vorbei. Wir wollen ja nicht, dass sie auch noch eine Lebensmittelvergiftung bekommt", sagte Jasmins Mutter und stellte einen mit Alufolie umwickelten Teller auf den Tisch. Als Jasmin drunterspähen wollte, fing sie sich einen Klaps auf die Hand ein.
„Du kannst später noch was haben. Bring das jetzt erst mal zu Frau Baumann. Die arme wird noch Krebs kriegen von dem vielen verbrannten Kuchen, den sie isst..."
Schnell schlang Jasmin ihr Brot hinunter und schnappte sich den Teller. Draußen war es bereits so warm, dass man im T-Shirt herumlaufen konnte. In dem Moment, als Jasmin in Begleitung von Timmy zur Tür heraus kam, wurde Lisas Haustür auch aufgerissen und ihre Freundin stürzte heraus.
„So ein Zufall aber auch!", lachte Jasmin. Ihre Freundin kam zu ihr herüber und streichelte Timmy.
„Mann, ich hätte auch so gerne einen Hund...", seufzte sie. „Aber meine Eltern meinen, ich würde mich nicht um ihn kümmern. Dabei kann ich mich um die Frodo auch schon ganz gut kümmern."
Frodo war der fette Kater von Frau Baumann. Er bewegte sich nicht sonderlich viel, fraß den ganzen Tag und kratzte, wenn man ihm zu nahe kam. Er war Lisas Oma zugelaufen, als sie gerade in einer „Herr der Ringe" Phase war, daher sein Name.
„Aber eine Katze ist ja nicht dasselbe wie ein Hund. Ein richtiger Hund ist schon um einiges cooler...", Timmy lief Achter um Lisas Beine, wie er es immer machte, wenn er sich freute.
„Kann er das auch rückwärts?", fragte sie. Jasmin grinste und zauberte ein Leckerli aus ihrer Tasche.
„Zurück!", rief sie und Timmy machte zwischen Lisas Beinen kehrt. Er sauste nun rückwärts Achter durch ihre Beine.
„Abgefahren...echt abgefahren...ich bin neidisch", seufzte Lisa und streichelte Jasmins Hund. Manchmal tat sie Jasmin wirklich leid. Ihre Eltern erlaubten ihr so gut wie gar nichts. Sie durfte weder eigene Haustiere besitzen, noch durfte sie alleine etwas unternehmen, ohne dass ihre Eltern genauestens Bescheid wussten. Außerdem musste sie überall ihr Handy mitnehmen, damit ihre Mutter sie, wo sie auch war, mit SMS traktieren konnte.
„Naja, wo willst du eigentlich hin?"
„Ich soll deiner Oma Kuchen bringen...", sagte Jasmin schlapp.
„Hoffen wir mal, dass sie uns nicht wieder zum Kuchenessen einlädt...", jammerte Lisa.
„Zur Not haben wir immer noch Timmy. Der frisst alles, der wartet da nicht lange...", die beiden Mädchen kicherten, als sie zur Bushaltestelle liefen.
„In Deckung!", rief Lisa und zerrte Jasmin hinter einen Stromversorgungskasten. Die beiden Mädchen spähten dahinter hervor und sahen Maximilian und Torben an der Bushaltestelle stehen.
„Schlangenbrut!", zischte Lisa und duckte sich etwas tiefer, doch die Jungs hatten Timmy entdeckt und so kamen sie in ihre Richtung geschlendert. Mit obercooler Miene grinste Torben Lisa an.
„Na, suchst du was da unten?"
„Ja, deinen Intelligenzquotienten...", antwortete sie barsch. Torben blieb kurz die Spucke weg, dann fing er sich wieder.
„Na, schon was gefunden?"
„Wenn du einen hättest, hätt ich ihn schon längst gefunden, aber für deinen bräuchte ich glaube ich eher ein Mikroskop."
Maximilian sah Jasmin, die mit Timmy hinter Lisa stand und nicht wusste, was sie tun sollte. „Ah, da ist ja, das Hundemädchen. Immer noch ein schlechtes Gewissen, weil du deinen Gaul umgebracht hast?"
„Das geht jetzt aber zu weit!", rief Lisa und holte aus. Sie traf Max direkt ins Gesicht, der kippte nach hinten um und hielt sich die Nase. Sie blutete nicht, er stand wieder auf und warf sich auf Lisa, die gerade in eine Rangelei mit Torben verwickelt war. Kaum hatte sie sich freigeschlägert, nahm sie Anlauf und sprang auf Max zurück, der mit dem Rücken auf eine Rasenfläche knallte. Timmy bellte verwirrt und zwickte Torben in die Fersen. Das alles sah eher aus, wie eine schlecht inszenierte Schlägerei aus einer billigen Fernsehserie, mit dem Unterschied, dass das echt war.
„Hey, hast du 'nen Vollschuss? Wenn ich das meiner Mutter sage..."
„Rennst du immer gleich zu Mami, wenn du zur Abwechslung mal eins drüber kriegst? Was meinst du? Wird sie mir eher glauben, oder dir, wenn ich sage, dass du angefangen hast?"
„Du hast keine Beweise!", rief Torben mit einem neckischen Grinsen.
„Ihr aber auch nicht!", grinste Lisa unverwandt zurück.
„Der Schlag gibt bestimmt ein blaues Auge und das T-Shirt hat bestimmt auch Grasflecken!", maulte Max und stand wieder auf.
„Denkst du nicht, das könnte auch vom Fußball kommen?", fragte Lisa.
„Blöde Kuh!", ächzte Max und eilte mit Torben davon.
„Schlangenbrut!", giftete Jasmins Freundin zurück. „Nur Austeilen, aber nicht einstecken können!", sie sah sich um und entdeckte Jasmin, die an dem Stromkasten saß, den Teller neben sich gestellt hatte und weinte. Timmy saß da und schnupperte an ihrem Gesicht. Tröstend setzte sich Lisa neben sie und legte ihr den Arm über die Schulter.
„Es ist alles meine Schuld!", drang Jasmins weinerliche Stimme durch die Hände hindurch. „Winnie wäre nicht gestorben, wenn ich ihn nicht gefüttert hätte. Der Tierarzt hat schon Wochen vorher gesagt, dass wir ihn keine Leckereien füttern dürfen, weil er anfällig auf Koliken ist, aber das war mir in diesem Moment nicht klar..."
„Es war nicht deine Schuld. Der kleine Apfelschnitz hat ihm nicht geschadet. War an dem Tag nicht die Stallführung für die kleinen Kinder? Kann doch sein, dass sie ihm frisches Heu gefüttert haben..."
„Ja, kann schon sein, aber..."
„Aber was? Aber du denkst lieber, dass du schuld warst und lässt dir von einem Idioten, der dich in dieser Annahme bestätigt, den Spaß am Reiten verderben? Also Jasmin..."
Jasmin lächelte ihre Freundin an. Sie wischte sich mit dem Arm einmal übers Gesicht und stand dann auf, den Kuchen wieder in der Hand und einen entschlossenen Blick im Gesicht.
„Das ist mein Mädchen!", lachte Lisa und sprang zur Bushaltestelle. Genau in diesem Moment, als hätte es das Schicksal nicht anders gewollt, kam der Bus an und brachte die beiden zu Lisas Oma. Die freute sich gewaltig über den unerwarteten Besuch.
„Hey Oma!", rief Lisa und drückte ihre Großmutter fest. Die kriegte dabei fast einen Hustanfall.
„Nu mal langsam, Mädchen! Du wirst ja immer stärker! Und ich werde auch nicht jünger!"
„Wir haben Kuchen mitgebracht!", sagte Jasmin und zeigte den Teller. Jasmins Oma lächelte gütig und bedeutete den beiden, einzutreten.
„Es ist noch was von meinem Kirschkuchen übrig, wollt ihr ein Stück, oder wollt ihr lieber frische Kirschen essen?"
Was für eine Frage! In weniger als einer Sekunde saßen die beiden am Tisch vor zwei prallgefüllten Schälchen mit wunderbar, tiefrot glänzenden Kirschen.
„Wer hat seine zuerst aufgegessen?", forderte Lisa Jasmin heraus und nahm einen großen Schluck Wasser aus ihrem Diddl-Glas
„Wasser und Kirschen vertragen sich nicht...!", warnte Frau Baumann, aber darauf hörten die Mädels nicht. Sie futterten sich durch fünf verschiedene Süß- und Sauerkirschsorten und hockten dann mit prallgefüllten Bäuchen am Tisch, wo Lisas Oma eines ihrer Kuchenstücke verdrückte.
„Soll ich schon mal einen Eimer holen?", fragte sie neckisch, ohne von ihrem Kreuzworträtsel aufzusehen. Plötzlich sprang Lisa auf.
„Frodo!", rief sie. Sie rannte zum Fenster, riss es auf und griff sich eine fauchende, Schildpattfarben-getigerte Katze mit weißen Pfoten und drückte sie. Frodo kratzte die ganze Zeit wild um sich, doch das interessierte Lisa nicht.
„Er mag mich sehr, glaube ich!", rief Lisa und setzte den fetten Kater wieder auf den Boden. Zuerst sah er sich vorsichtig nach ihr um und dann machte er einen Satz und huschte unter den Esstisch. Ein Knurren, ein Fauchen, ein Bellen und zwei Fellkugeln schossen durch den Raum. Frodo, obwohl er schon fett genug war, hatte seinen Schwanz aufgestellt und sein Fell gesträubt, als Timmy ihn in eine Ecke gedrängt hatte. Man hätte ihn glatt mit einem überdimensionalen Wollknäuel verwechseln können.
„Lass ihn raus!", sagte Lisas Oma und Lisa riss die Tür auf. Mit einem wütenden Kreischen warf sich Frodo in den Garten und verschwand wie ein geölter Blitz im Unkrautbeet.
Am Abend lagen Jasmin und Lisa im Bett. Ihnen war beiden speiübel.
„Ich glaube, wir hätten auf Oma hören sollen...", jammerte Lisa, als sie sich am Fenster gute Nacht sagen wollten.
„Wem sagst du das...", ächzte Jasmin und rieb sich den Bauch. Papa hat mit Magentee gekocht... das Zeug schmeckt wie flüssige Baumrinde!", sagte Lisa und kippte eine Tasse mit einer braunen Brühe aus ihrem Fenster.
„Woher weißt du, wie Baumrinde schmeckt?", fragte Jasmin.
„Auf diese Frage möchte ich nicht antworten...", antwortete ihre Freundin. Jasmin musste schmunzeln, verzog das Gesicht dann aber wieder zu einer schmerzhaften Grimasse.
„Autsch. Hast du noch was von dem Zeug? Ich glaube, ich bräuchte das jetzt auch...Ich glaub, ich würd jetzt alles trinken, wenn ich wüsste, dass es mir hilft."
Wieder kam das Körbchen zum Einsatz und brachte Jasmin eine Thermoskanne mit der ekligen Brühe.
„Riecht, wie Rosenkohl-Blattspinat-Auflauf...", sagte sie und nahm einen Schluck. Sie verzog angeekelt das Gesicht und ließ die Thermoskanne wieder zurückgleiten.
„Wer zum Teufel trinkt so etwas nur?"
„Tja, der Typ, der es erfunden hat, wird sich schon was dabei gedacht haben..."
„Naja, ich geh dann mal wieder...gute Besserung!", verabschiedete sich Jasmin.
„Dir auch. Ich hoffe, ich lieg nicht die ganze Nacht wach..."
Beide schlossen das Fenster und ließen sich in ihre Betten plumpsen. Lisa verabschiedete sich noch von allen ihren Chatfreunden (was im Nachhinein ziemlich lange gedauert haben musste, weil sie 235 Freunde besaß) und Jasmin kuschelte sich neben Timmy und las in ihrem Buch. Sie dachte daran, wie es wohl sein würde, wenn sie nächste Woche mit den anderen zusammen war. Konnte sie überhaupt noch reiten? Konnte sie überhaupt noch ein Pferd sehen, ohne gleich in Tränen auszubrechen? Timmy spürte ihre Anspannung und kuschelte sich an sie. Hunde waren wirklich die besten Freunde des Menschen, dachte sie, als sie ihr Buch zuklappte und sich die Decke bis zu den Schultern hochzog. Sie knipste ihr Leselicht aus und versuchte zu schlafen, doch ihr Magen schmerzte noch immer, sodass sie sich in Krämpfen wand.
„Na toll!", knurrte sie und versuchte sich etwas zu beruhigen. Timmy an ihrer Seite wirkte, wie eine Wärmflasche und half ihr, sich etwas zu beruhigen, doch wenn sie nicht die ganze Nacht wachbleiben wollte, musste sie jetzt irgendetwas tun. Sie strich Timmy einmal über den Kopf, als sie aufstand und barfuß nach unten watschelte. Ihr Vater lächelte nur wissend.
„Kirschen und Wasser vertragen sich nicht...", gab er lächelnd seinen Senf dazu und schob Jasmin ein Glas mit einer pulvrigen Lösung hin. „Das sollte helfen."
Jasmin trank das Glas in einem Schluck aus. Das Zeug darin schmeckte salzig und sie musste ständig aufstoßen. Ihr Vater blätterte wieder in seiner Zeitung. Was für ein Wunder!
„Kannst jetzt wieder ins Bett gehen. Es ist schon spät!"
Kommentarlos ging Jasmin nach oben. Auf dem Weg dorthin, kam sie am Wohnzimmer vorbei und sah, dass ihre Mutter strickte und dabei fernsah. Leise schlich sie sich nach oben und schaute noch einmal durchs Fenster, ob Lisa noch wach war, doch bei der war das Licht ausgeknipst.
Müde ließ sie sich ins Bett fallen und als es ihr etwas besser ging, schloss sie schläfrig ihre Augen. Hatte sie nicht etwas vergessen? Egal, darum würde sie sich morgen kümmern. Sanft glitt sie in die Traumwelt und merkte erst viel zu spät, dass es der Wecker gewesen war, den sie zu stellen vergessen hatte...

Die Unvollendeten Geschichten der Sammy BraveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt