Prolog

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Der Wind rauschte unheilsvoll durch die Bäume. Allein. Sie war allein. Warum war sie auch mitgegangen? Warum hatte sie nicht auf ihre Mutter gehört. "Für eine junge Dame gehört es sich nicht mit Händlern zu reisen, außerdem ist es viel zu gefährlich." Wie recht sie doch hatte, dachte Katherina. Sie kannte die Geschichten. Die Legenden über Seelenfresser. Pechschwarze, in Fetzen gewandte Kreaturen, die einem die Seele aussaugen. Sie hatte diese Erzählungen immer als Ammenmärchen abgetan, die man erzählte um Kinder zu erschrecken. Doch jetzt, zwischen den schwarzen Büschen und alten Bäumen, waren sie lebendig. Sie sah Schatten, hörte Schritte. Warum war sie nur mitgegangen, fragte sie sich verzweifelt. Weggerannt vor diesen schweinischen Männern war sie aus gutem Grund, aber warum hatte sie dieses Abenteuer erleben wollen? Sie hasste sich selbst für ihre kindliche Naivität. Jetzt stand sie hier ganz allein, allein im Wald. Allein, ohne Hilfe. Sie suchte Menschen, oder auch einfach nur einen Weg. Irgendetwas, an dem sie sich orientieren konnte.

Ein Knacken ließ sie herumwirbeln. Das war kein Vogel. Wieder ein Knacken diesmal näher. Genau vor ihr. Nur ein Gebüsch trennte sie von der Quelle. Sie konnte nicht sehen, was dahinter lag. Wieder ein Schritt, sie war sich jetzt sicher, das jemand oder etwas auf sie zu kam. Gelämt vor Angst stand sie da und starrte auf das Gebüsch. Dann erschien Sie. Eine in schwarze Kleider gewandte Frau kam auf sie zu. Ihr Gesicht war verhüllt, nur die Augen waren zu sehen. Sie kam näher. Katherina wollte wegrennen. Die Gefahr in diesen Augen war zu deutlich. Doch ihre Füße gehorchten nicht. Dann hörte sie die liebliche Stimme, die ihr Verderben bedeuten sollte: "Hab keine Angst. Ich werde dir nicht wehtun. Ich werde dich retten, weg von diesem gefährlichen Ort." Katherina wusste, das dies nicht die Wahrheit war. Endlich erlang sie wieder die Herrschaft über ihre Füße. Sie drehte sich um und rannte los. Doch die schwarze Gestalt nahm die Verfolgung auf und holte sie ein. Katherina wurde zu Boden geworfen. Die Frau drückte mit den Händen auf ihre Schultern. Es war als würde das Schwarz der Kleidung alles einnehmen. Den Himmel, die Bäume und schließlich auch die funkelden Augen der Frau.

Kälte legte sich um ihr Herz. Sie spürte, wie sie sich ausbreitete, wie sie durch ihre Adern kroch, ihre Arme erreichte und die Fingerspitzen kitzelte. Sie wollte sich bewegen, die Kälte verscheuchen. Doch sie war wie gelämt. Die Kälte saß tief in ihr und sie glaubte ihren Körper an sie zu verlieren. Dann kamen die Schmerzen. Sie trafen sie wie ein Messer im Rücken.  Sie schnitten ihr mit zarten Klingen durchs Gesicht. Tausende von Nadeln fingen an sie am ganzen Köper zu stechen. Sie wand sich unter den Qualen. Ihre Schreie waren stumm. Keinen Laut brachte sie über die Lippen. Dann löste sich etwas in ihr. Erst war es kaum merklich, vernebelt von dem stumpfen Schmerz. Doch das Gefühl des Verlustes wurde stärker. Dieses Verlangen es festzuhalten war befremdlich. Sie hatte soetwas noch nie verspürt. Mit einen Stich in ihrem Herz löste es sich und verschwand.

Katherina öffnete die Augen. Sie lag auf einem bequemen Bett. Sie spürte, dass ihr etwas fehlte, doch sie empfand keine Trauer, keine Sehnsucht, sie vermisste es nicht. Allein saß sie in einem kargen Raum, doch sie verspürte keine Einsamkeit, keine Angst. Sie verspürte nichts, nichts außer diese unergründliche Kälte.

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