Zur goldenen Henne

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Zur goldenen Henne

Wir ritten weiter in die Stadt hinein. Vor einem Haus, aus dem lautes Stimmengewirr dröhnte, hielten wir. Ich sah auf das alte bronzene Schild über der Tür. „Zur goldenen Henne“ stand in geschwungener Schrift darauf. Atrix stieg ab und machte eine einladende Handbewegung: „Das Zentrums des Lebens der Stadt. Unser Wirtshaus zur goldenen Henne.“ Mit einem breiten Grinsen sah er mich an, dann half er mir vom Pferd. Ich war unsicher, ob es eine kluge Idee war einen solchen Ort zu besuchen. Aber Atrix schien so begeistert von seinem Vorhaben, dass ich ihn nicht ausbremsen wollte. Ich zog meinen Mantel eng um mich, damit niemand den schönen Stoff meines Kleides sah und ließ mich von meinem Begleiter in das Wirtshaus führen. Er erzählte von seiner Kindheit in der Stadt, das er hier immer mit seinem Vater war, doch als er die Tür öffnete, verstummten seine Worte in meinen Ohren. All meine Sinne wurden von der Luft erdrückt, die mir entgegen schwang. Bitterer Bierdunst vermischt mit saurem Schweiß. Die Lautstärke erhöhte sich so sehr, dass man kaum noch sein eigenes Wort verstand. Menschen unterhielten sich laut, Musik ertönte von einem Klavier an der Ecke, bei dem eine Sängerin stand. Ich wurde zurückgerissen, in meine Erinnerungen vor der Entführung. Mir kam alles so bekannt vor. Die Kartenrunden zwielichtiger Männer, die in auffällige Kleider gehüllten Dirnen, das hektische Treiben am Tresen. Ich umklammerte Atrix Arm fester. Damals als junges Mädchen, war ich nur knapp einem betrunkenen Mann entkommen. Diese Flamme der Angst züngelte wieder in mir auf. Atrix sah mich an und bemerkte meine Angst: „Du brauchst dich vor den Menschen hier nicht zu fürchten, und ich pass ja auf dich auf.“ Diese freundschaftliche Art wie er es gesagt hatte und sein zuversichtliches Lächeln, waren es schließlich, die mich beruhigten. Wir setzten uns an einen leeren kleinen Tisch nahe des Tresens. „Wirt, zwei Bier“, rief Atrix. Als er meinen Blick sah, sagte er leise zu mir: „Ein wenig berauscht sein, das darf auch eine Prinzessin.“ Ich war nicht begeistert von diesem Gedanken. Oft genug hatte ich mit ansehen müssen, wie Männer im Rausch ihre Frauen schlugen, wie sie unkontrolliert herumliefen, in Gruben fielen, sich prügelten. Die Kontrolle über mich verlieren, dieser Gedanke bereitete mir Bauchschmerzen. Der Wirt, ein kleiner rundlicher Mann mit einem dichten braunen Bart und einem im Vergleich dazu kahlem Kopf, kam mit zwei Gläsern voller gelbbrauner Flüssigkeit auf uns zu. „Vier Kreuzer“, sagte er und stellte dabei die Getränke auf den Tisch. Atrix zog aus seiner Tasche einen kleinen Beutel, aus dem er den Wirt bezahlte. Dieser stampfte dann zufrieden zurück an seinen Tresen. „Lasst es euch schmecken“, sagte Atrix und hob sein Glas mir entgegen. Ich tat es ihm gleich und probierte, immer noch ein wenig skeptisch, das Gebräu. Es lag bitter auf der Zunge, hinterließ jedoch einen süßen Geschmack im Mund. Ein wohliges warmes Gefühl breitete sich in mir aus. „Warum machst du das?“, fragte ich meinen Begleiter. Atrix hob den Blick und sah mich verständnislos an: „Warum mach ich was?“ „Warum riskierst du deine Arbeit im Palast um mich in die Stadt zu begleiten?“ Dieses Lächeln schlich sich wieder in sein Gesicht, dieses Lächeln, das einen dazu brachte ihn einfach mögen zu müssen, dieses Lächeln, das Vertrauen schaffte, das mir Sicherheit gab. „Ich mag euch, Eyrin“, war seine Antwort, „Ich mag es, in eurer Nähe zu sein, mit euch eine Unterhaltung zu führen.“ Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, mein Kopf wurde heiß. Da war wieder dieses komische Gefühl in meinem Bauch. War es durch das Bier verursacht, oder durch die leisen Worte meines Gegenübers? Er legte seine Hand auf meine. Mein Herz schlug stärker und schneller. „Ich musste euch die Stadt zeigen. Alle hier hoffen auf bessere Zeiten und ich bin mir sicher mit euch werden sie kommen.“ Und da waren sie wieder, die Bilder des sterbenden Mannes, das Elend der Stadt. Ich sollte dagegen etwas tun? Ich war keine Königin, keine Anführerin. Ich würde diesen Anspruch, diese Aufgabe niemals erfüllen können. Das wollte ich Atrix auch zur Antwort geben. Die Menschen mussten erfahren, dass ich nicht ihre Heilsbringerin war. Ich sah Atrix in die Augen, da fiel ein Mann von hinten gegen mich. Mein Brustkorb wurde gegen den hölzernen Tisch gestoßen und die Kante des Brettes schlug auf meine Knochen. Schmerz durchzuckte meinen Körper. Ein Stimmengewirr erklang über meinem Kopf. Ich richtete mich wieder auf, da rutschte mein Mantel zur Seite und der kostbare Stoff glänzte in dem trüben Gastraum. Ein erneuter Stoß schleuderte mich wieder gegen den Tisch. Ich war benommen, sah nur noch verschwommene Schemen. Dann spürte ich, dass mich jemand hoch nahm und nach draußen trug. Ich wurde an eine Wand gestellt. Mit zitternden Knien hielt ich mich auf den Beinen und öffnete die Augen. Doch mein Retter war nicht Atrix.

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