Die Offenbarung

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Die Offenbarung

Ich stand vor meinem Spiegel und kämmte mir ein letztes mal prüfend die Haare. Das weiße Kleid, das ich trug, war mit goldenen Bändern verziehrt. Es war schön, schon fast zu schön, dachte ich. Es klopfte an der Tür und Milena trat ein. "Eyrin, Penelope ist soeben in den Speisesaal gegangen." "Danke Milena. Ich mach mich auf den Weg." gab ich ihr als kurze Antwort. Ich trat auf den Gang und machte mich auf den Weg in den Speisesaal. Ich war nervös, und das wunderte mich. Denn wenn wir miteinander speisten, hatte Penelope zwar immer einen Tadel für mich, aber danach plauderten wir immer nett miteinander. Doch heute hatte ich eine komische Vorahnung. Heute Abend war wichtig, das hatte ich im Gefühl. Meine Schritte hallten in den Gängen und dieses Geräusch machte mich nur noch nervöser. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich endlich zum Saal. Ich ging durch den Torbogen. "Eyrin, du siehst wunderschön aus in diesem Kleid." begrüßte mich Penelope. Sie saß auf der einen Seite einer kleinen Tafel. Für mich war ein Platz auf der gegenüberliegenden Seite bereitet. Penelope sah menschlicher aus als heute Morgen und ihr Gesicht war weicher. Einladend deutete sie auf den Stuhl ihr gegenüber. Nach einer leichten Verbeugung setzte ich mich und die Anspannung stieg. "Eyrin, lass uns zuerst speisen, dann erzähle ich dir, warum ich dich geladen habe." Das war die falsche Reihenfolge, bemerkte ich erschrocken. Die Nervosität wurde gröser und ließ die Gabel in meiner Hand zittern. Das Essen war köstlich, doch die Soße war trocken in meinem Mund und alles schmeckte nach Sand. Ich hatte keinen Appetit, doch Zwang mich zum essen. Endlich legte meine Tante ihr Besteck aus der Hand. Sie ließ die Teller abtragen. Dann stand sie auf. "Eyrin, lass uns ein Stück zusammen gehen." Verwundert stand ich auf und verließ nach Penelope den Saal durch eine Nebentür. Wir gingen durch einen Säulengang. Sie sprach kein Wort auf diesem Weg. Auf ihrer Stirn zeichneten sich tiefe Furchen ab. Sie schien über etwas Nachzudenken. Wir traten nach draußen, die Sonne stand schon tief am Himmel. Der Wind drang durch meine Kleider aber es war nicht kalt für diese Jahreszeit. Wir gingen nach Osten auf den Waldrand zu. Auf halber Strecke fing Penelope an zu sprechen: "Eyrin, du bist jetzt 16, alt genung um mehr zu lernen als die menschlichen Künste. Ich sehe viel Wissensdurst in dir. Du erinnerst mich sehr an deine Mutter. Du hast ihre wachen Augen. Weißt du noch wie du zu mir kamst? Reefold hat dich als Gefangene genommen und wir haben sie überfallen als sie unser Land durchquerten. In diesem Wald wohnen meine Kämpferinnen, hinter dem Wald liegt ein Gebirge, dieses bildet die Reichsgrenze. Dein Heimatland liegt in der anderen Richtung. Das Gebirge verläuft von der Küste im Süden über den Osten bis in den Norden hinein." Sie zeigte bei diesem Satz einen Bogen mit dem Arm. Von der Stadt über den Wald bis zur Kante des Palastes. "Unser Glück liegt darin, dass das Gebirge größtenteils unüberwindbar ist. Es gibt nur einen Pass im Norden. Dort steht der Krieg kurz vor der Eskalation. Der König von Reefold und Herold von Felden wollen beide über den Pass gebieten. Er ist ein wichtiger Handelspunkt, denn im Norden gibt es weitere Völker die ihre Waren zum Handel nach Süden bringen, aber die Grenzen zu übertreten ist, wie du sicher weißt, sehr gefährlich. Unser Heimatdorf liegt nahe am Pass, es wurde zerstört um die Macht Reefolds zu stärken. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird Herold von Felden zurückschlagen. In den letzten vier Jahren gab es immer wieder Kämpfe, unf sie werden immer häftiger, verlangen immer mehr Opfer. Wenn der Krieg ausbricht, wird es ein Kampf bis zum letzten Mann." Penelope sah mich eindringlich an und sagte mit Nachdruck: "Und das dürfen wir nicht zulassen. Wenn einer der zwei gewinnt, kann er uns umzingeln, alle Handelswege abschneiden. Einen solchen  Angriff würden wir nicht überstehen." Ich sah sie an. Warum erzählte sie mir das? Was ging mich das an? Ich war keine Königin und auch keine Kriegerin. Ich wollte zu einer Frage ansetzen, aber ich wusste nicht wo ich anfangen sollte. Da ergriff Penelope wieder das Wort: "Weißt du wie unser Land früher war?" Ich schüttelte den Kopf. "Einst waren die drei Reiche eines, ein reiches Volk. Es wurde von Königinnen regiert, weise gerechte Frauen. Es wurde nicht an die Kinder vererbt. Die Königin suchte, wenn die rechte Zeit gekommen war, eine Nachfolgerin aus, die ihrer Meinung nach dem Amt würdig war. Doch natürlich hatten die Königinnen auch Familie. Sie lebten in Luxus und wollten diesen nach dem Tod ihrer Mutter nicht aufgeben. Viele versuchten die Macht an sich zu reißen und vor zwei Generationen schaften es drei Brüder die Krone zu übernehmen. Sie teilten sich das Reich auf, doch es entstand Zwietracht, Neid. Einer der drei Brüder gründete in seinem Teil, in Reefold, eine Allianz. Fünf Vertraute zog er in seine Entscheidungen mit ein und sie herrschten zu sechst. Das ist noch heute so. Der zweite, dessen Teil dein altes Zuhause war, herrschte alleine. Nur der dritte, der mein Reich bekam, handelte klug. Er ließ sich von der eigentlichen Königin  beraten und als er starb vermachte er ihr seinen Teil und sie führte es so weiter wie es ursprünglich war. Die Königinen, unsere Vorgängerinnen, waren nicht ohne Grund in diesem Amt. Sie hatten alle eine Gemeinsamkeit. Eyrin, wir haben Fähigkeiten. Wir können Dinge, die uns zu etwas besonderem machen. Dinge, die uns diese Bürde auferlegen. Wir sind die wahren Nachfahren der alten Königinnen."

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