14. Das Erstgespräch

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Nachdem ich den Raum genau inspiziert hatte, forderte Oliva, dass ich mich setzte. Es war kein aufdringliches Fordern, sondern ein freundliches. Ich setzte mich auf den ledernen Sessel, der etwas knautschte, als ich meinen Hintern darauf platzierte. Die dunkelbraunen Holzfüße des Sessels quietschten etwas, als ich mit ihm vorrückte. Olivia schlug ein Bein über das andere und schaute auf ihr Klemmbrett. Sie zog die Augenbrauen etwas zusammen, als sie sich den geschmierten Text auf dem weißen Blatt konzentriert durchlas.

Es dauerte nicht lange, bis sie ihren Blick anhob und sich an mich wandte. Das Klemmbrett lag auf ihrem Bein und sie kaute auf einem Kugelschreiber herum. Sie fixierte mich mit ihren Augen und es sah so aus, als würde sie stark darüber nachdenken, was sie nun sagen könnte. Ihre olivgrünen Augen sahen tief in meine. Es kam mir vor, als würde sie versuchen, in meine Seele zu blicken. Ich musterte sie in dieser Zeit und mein Blick wanderte über ihr Gesicht. Grüne Augen, Sommersprossen, zarte Lippen und blonde Locken. Sie trug einen langen, dunkelblauen Cardigan und darunter ein schlichtes, weißes T-Shirt. Wenn man in einer Familie ohne weitere Männer aufwächst, dann kennt man solche Sachen halt. Sie trug eine schlichte Jeans an den Beinen und knöchelhohe Lederstiefeletten. Völlig unerwartet ergriff sie plötzlich das Wort. »Es tut mir leid. Ich bin mit den Gedanken abgeschweift.« Dieser Satz wurde mit einem peinlichen Lachen begleitet und ich lachte einfach mit. Es war zwar eine seltsame Situation, aber trotzdem fühlte ich mich geborgen bei Olivia. »Nun... sollen wir dann mit dem Erstgespräch anfangen?« Ich nickte und atmete tief durch.

Sie nahm erneut ihr kleines Klemmbrett zur Hand und überflog noch einmal die Informationen, die darauf standen. »Was für Schwierigkeiten haben Sie?« Ich presste meine Lippen aufeinander, da ich solche Fragen nicht mochte. Ich meine, es ist doch offensichtlich, dass ich viele verschiedene Probleme habe. Olivia wartete nicht lange, bis sie anfing, den Kopf zu schütteln. »Entschuldige. Mein Fehler. Du bist hier ja gar nicht freiwillig hergekommen. Ich erkläre dir nun den Grund für diese Therapie.« Ich seufzte erleichtert und nickte erneut. Ich hoffte, dass sie nicht immer so planlos war. Das könnte mit der Zeit echt anstrengend werden.

»Nun, Ethan. Ich denke, der offensichtlichste Punkt liegt klar auf der Hand. Der Mord an Caitlynn White.« Schmerz und Trauer stieg in meinen Blick und ich senkte direkt den Kopf. Ich wusste selber nicht, was ich mit meinen Emotionen anfangen sollte. Zwischendurch waren mir meine Taten vollkommen egal und mir fiel es nicht schwer, die schlimmen Bilder des Mordes wieder in meine Gedanken zu rufen, ohne in ein Loch aus Emotionen zu versinken. Andererseits hatte ich manchmal Schübe, bei denen mich die schlimmsten Gefühle quälen. »Du bist aus Sicherheitsgründen hierher gekommen und um deine Taten besser verarbeiten zu können.« Dies war nichts neues für mich. Ich konnte mir bereits denken, dass das die Gründe waren. »Nur wirst du von den weiteren Aspekten noch nicht gehört haben – schätze ich.« Weitere Aspekte? Was sollte denn sonst noch sein? »Ich habe hier die Laborergebnisse. Ich denke, dass ich dir das alles mal genauer erklären muss, was hier steht.« Anscheinend hatte mein Gehirn das schon vollkommen verdrängt. Anstatt darauf hinzufiebern, endlich eine Antwort auf meine ganzen Fragen zu bekommen, vergaß ich das Ganze halt einfach. Gut gemacht. »Es war viel Arbeit, dir die richtigen Informationen zu liefern, da diese Krankheit niemanden von uns bekannt ist. Ehrlich gesagt hat keiner es für möglich gehalten, dass das wirklich wahr sein könnte.« Langsam wurde mir unwohl. Sie tat so, als sei ich ein Wesen von einem anderen Planeten.

»Bitte höre mir erst zu, bevor du dir ein Urteil machst. Ich weiß nicht, wie sehr du dich mit diesem Gedanken schon auseinander gesetzt hast.« Ihre dünnen Finger waren verkrampft um das Klemmbrett gelegt. »Deine Blutwerte haben im Labor ergeben, dass du unter der Krankheit ›Lykanthropie‹ leidest. Wenn dir dieser Begriff nichts sagt, dann wirst du sicherlich mehr unter ›Werwölfen‹ verstehen.« Ich fühlte mich wie im falschen Film. Natürlich kannte ich die Legenden von Menschen, die sich in Bestien verwandelten, allerdings kannte ich dies nur aus Büchern und Filmen. Das ich selbst einer sein könnte – beziehungsweise einer bin, hätte ich nie für möglich gehalten. Der Fakt, dass ich mich in eine Bestie verwandle war mir zwar klar, aber ich hatte diesen Gedanken nie weitergeführt. Vor allem, weil ich vorher, während und nach der Verwandlung sowieso nicht klar denken kann.

»Du machst diese Therapie, um es besser kontrollieren zu können und um weitere Vorfälle zu vermeiden. Du wirst es allerdings nie komplett kontrollieren können, da in dir eine Bestie schlummert, die, so oft es geht, genährt werden will.«

»Wir müssen noch herausfinden, wie, wodurch und warum du dich verwandelst, aber dies werden wir durch diese Therapie höchstwahrscheinlich herausfinden.« Ich fuhr mir mit der Hand durch die schwarzen Haare und hob den Blick. »Wärst du bereit, diese Therapie mit mir durchzuführen?« »Ja, Mrs Benetts.« Ich hatte während des Gespräches kaum geredet, da meine Gedanken für mich sprachen. Ich wusste sowieso nicht, was ich zu so einer Nachricht sagen sollte. Sollte ich jubeln? Sollte ich weinen? Sollte ich mit Stühlen um mich schmeißen? Eine dieser Emotionen wäre bestimmt realistisch gewesen, allerdings nicht für mich. Ich verarbeitete solche Sachen im Stillen. Ich war immerhin mein bester Zuhörer.

»Es wird ein ›zweites Erstgespräch‹ geben, um mit den eigentlichen Fragen anzufangen. Heute haben wir die Zeit ja bloß mit dem Übermitteln der Nachricht verbracht. Für heute bist du fertig, wenn du keine weiteren Fragen mehr hast. Du kommst dann morgen für das ›richtige Gespräch‹ wieder. Dann werden wir alles weitere besprechen.« Ich krempelte den Ärmel meines Pullovers hoch, um einen freien Blick auf mein Handgelenk zu bekommen. Die Uhr, die daran befestigt war, zeigte mir an, das wir schon eine Dreiviertelstunde mit diesem Gespräch verbracht hatten. Olivia schob den Sessel nach hinten, um aufzustehen und verabschiedete sich von mir.

Ich ging zurück auf mein Zimmer, um vor dem Abendessen etwas zu entspannen, allerdings kam es nicht dazu. Avery und Josh saßen auf meinem Bett. »Da bist du ja! Wir haben auf dich gewartet!« Josh rollte mit den Augen. »SIE hat auf dich gewartet. Ich wurde gewaltsam hierher befördert, um dies auch zu tun.« Ich gab Josh schmunzelnd einen Luftkuss, den er gespielt einfing und eine Kralle mit seiner Hand nachahmte. Dieser Junge war so verrückt.

Avery sprang vom Bett auf und lief zu mir. »Was hat sie gesagt? Irgendetwas neues?« Ich fühlte mich nicht in der Lage dazu, ihr nun die Wahrheit zu erzählen. Für mich war das Ganze noch so unreal, dass ich noch kein Wort darüber verlieren konnte.

Meine Augen schweiften durch den Raum und hielten beim Gesicht des 18jährigen an. Die dunklen Augen von ihm waren starr auf das Hinterteil von Avery gerichtet. Er starrte wie versteinert darauf und seine Hand hob sich langsam. Avery bekam dies höchstwahrscheinlich mit, da sie ihn unbemerkt mit ihren Augen fixierte und den Kopf leicht nach hinten drehte. Er bekam unsere Blicke nicht mit, da er nur auf den Hintern von Avery starrte, der nicht weit von seinem Gesicht entfernt war. Seine Hand hob sich noch mehr und es war aus der Situation zu deuten, dass er mit seiner Handfläche auf ihren Arsch zielte. Bevor er ausholen konnte, um seinen Plan durchzuführen, bekam er eine lautknallende Backpfeife von der Blondhaarigen verpasst. Er erschrak, da er wohl nicht damit gerechnet hatte, dass alle hier in diesem Raum wussten, was er vorhatte. Er zischte kurz auf und kramte dann sein Handy aus seiner Hosentasche, als wäre nichts gewesen. Peinlichkeit kannte dieser Junge nicht.

Ich freue mich über Rückmeldungen.

Es tut mir leid, dass so lange nichts gekommen ist. Ich hoffe, dass ich es jetzt wieder regelmäßiger schaffe.

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