Nun war er hinter dem nächtlichen Nebel verschwunden und seine schwarzen Locken wurden nicht mehr in die bunte Farbe der Straßenlichter getaucht. Er rannte einfach weg, weg vor seiner Vergangenheit und stürzte sich kopfüber in ein neues Leben ohne die Psychiatrie. Auf unseren Kuss entgegnete er nichts, auch wenn man das bei ihm gar nicht glauben mag. Normalerweise gab er zu fast jeder Situation einen spöttischen oder sarkastischen Kommentar ab und es war komisch, ihn nun so still zu sehen. Vielleicht fehlten ihm auch einfach die richtigen Worte.
Doch ich konnte mir nicht länger den Kopf über diesen Jungen zerbrechen, da die Zeit immer knapper wurde. Ich musste mich umgehend auf den Weg zu Noah machen, welcher gerade vor hatte, sich das Leben zu nehmen, indem er sich von dem hauseigenen Balkon stürzte. Jede andere Person würde ich springen lassen, aber Noah sollte bleiben. Auch wenn ich so etwas wie Mitleid nicht empfand, hatte ich es im Gefühl, dass es besser wäre, wenn ich mich zu ihm begeben würde. Ich glaubte nicht daran, dass mir die Stimmen das befohlen hatten, denn normalerweise sind sie nicht so gutgläubig. Sie amüsieren sich an Leid. Egal, ob es das Leid einer anderen Person oder mein eigenes ist.
Es war erstaunlich, dass noch keiner das Feuer bemerkt hatte. Vielleicht sind die meisten ja auch einfach im Schlaf von dem Rauch erstickt worden und bemerkten es somit nicht. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und rannte etwas schneller durch die Gänge. Vielleicht lohnt sich meine Mühe ja gar nicht. Vielleicht finde ich einen leeren Balkon und einen toten Jungen auf dem Boden des Innenhofes vor. Vielleicht würde ich mich dann zu ihm in die Tiefe stürzen, damit unsere Seelen gemeinsam in den Nachthimmel aufsteigen können.
Doch nachdem ich an etlichen Zimmern vorbei gerannt war, ohne Rücksicht auf meine Lautstärke zu nehmen, fand ich die mannshohe Glastür, welche sperrangelweit offen stand. Doch der Balkon war nicht leer. Auf dem verwetterten Holzboden des kleines Balkons sah ich den dunkelblauen Schuh von Noah. Er trug diese Schuhe rund um die Uhr, daher musste ich auch nicht zu ihm hochschauen, um zu wissen, dass das Noah war. Doch es befand sich nur ein Fuß auf den Boden des Balkons. Der andere Fuß balancierte auf dem rostigen Geländer. Er nahm eine weitere Hand dazu, um sein Gleichgewicht besser halten zu können, bevor er den zweiten Fuß auf dem rostigen Geländer platzierte.
»Noah«, flüsterte ich kaum hörbar, doch der gebrochene Junge schien es trotzdem vernommen zu haben. Er senkte den Kopf und setzte den rechten Fuß wieder auf den Boden. »Was willst du?«, fragte er, ohne den Kopf zu heben.
»Alles, aber nicht, dass du dir das Leben nimmst.« Ich wisperte immer noch in der gleichen, heiseren Tonlage, da ich Angst hatte, ihn zu erschrecken. Wie automatisch legte ich eine Hand auf seine Schulter und stellte mich neben ihn.
Ich erwartete, dass er hemmungslos anfing zu weinen, doch das geschah nicht. Er drehte seinen Kopf ganz langsam zu mir und ich bekam einen Blick auf seine hellblauen Augen. Normalerweise hatte ich sie immer als strahlend oder glänzend beschrieben, aber nun waren sie komplett verblasst. Sie waren leer, genauso wie das Herz des Jungen, dem sie gehörten. Zu oft wurde er verletzt und dem wollte er einfach ein Ende setzen.
»Und warum sollte ich bleiben? Warum sollte ich dieses wertlose Leben weiterführen? Die Menschen, die ich liebe oder geliebt habe, lieben mich nicht. Und der, der mir die Liebe geschenkt hat, die ich brauchte um weiterzumachen, ist von uns gegangen. Ich möchte zu ihm und das für immer.«
Seine Worte schmerzten, wie eine Scherbe, die sich langsam in eine dünne Haut drückte. Und die Narben, die sie erzeugt, wiederspiegeln nur den Schmerz, den man einst gefühlt hat. Nun ist man gefühlslos, leer und nur noch eine unbrauchbare Hülle, die sich selbst belügt.
»Liebst du mich noch?«, fragte ich und meine Stimme bekam etwas mehr Festigkeit.
Noah nickte daraufhin bloß vorsichtig, als hätte er ein Messer im Rücken, das ihm bei jeder falschen Bewegung in die Haut schneiden würde.
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Psychopath
WerewolfWenn sich das Leben in wenigen Minuten von Grund auf ändert, dann fällt es einem schwer, das Ganze zu verarbeiten. Ethan Hodge beging im Alter von 17 Jahren seinen ersten Mord an einer jungen Schülerin, da er sich in einem unkontrollierbaren Zustand...