29. Teenie Drama

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Das entwendete Feuerzeug von Josh verstaute ich in meinem Bettkasten. Zwar wusste ich, dass sie die Zimmer sowieso nicht durchsuchen würden, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen.

Am nächsten Morgen erwachte ich aufgrund eines ziemlich lauten Räuspern. Ich blinzelte langsam mit meinen Augen und richtete meinen Kopf in die Richtung der Geräuschquelle. Mit überschlagenen Beinen saß Mr. Harper auf dem Stuhl, der sehr nah an der Wand stand. Ich hatte dieses Gesicht schon lange nicht mehr gesehen und nicht damit gerechnet, dass er mich irgendwann besuchen würde, auch wenn er es damals versprochen hatte, nachdem er mich hier ablieferte. »Guten Morgen, Ethan.« Er hatte ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen, wie immer. »Ich freue mich, dass du wohlauf bist. Zudem habe ich gehört, dass du enorme Fortschritte gemacht hast und vielleicht bald wieder nach Hause kannst.« Ich reagierte nicht auf diese Botschaft. Andere Patienten würden jubelnd durch den Raum springen, doch mir war es egal. Mir war einfach egal, was mit mir geschah. Mr. Harper wirkte etwas enttäuscht, da er wahrscheinlich mit mehr Enthusiasmus gerechnet hatte, doch den fand er bei mir nicht. Worüber sollte ich mich denn bitte freuen? Dass ich in die offenen Arme meiner Mutter laufen könnte, welche diese Position am liebsten ausnutzen würde, um mich zu würgen. Sie hasste mich und ich hasste sie, fertig.

»Ich wollte dich einfach mal besuchen kommen und fragen, wie du dich hier eingelebt hast. Hast du schon viele Freunde gefunden?« Die üblichen Fragen. Man gibt den Fragenden einfach die Antworten, die er gerne hätte. Dann stellt er sich zufrieden und fragt nicht mehr weiter. »Ja, klar. Ich verstehe mich gut mit allen.« Ein breites Lächeln überkam das Gesicht des Mannes. »Schön, schön.« Es trat ein Moment voll Stille ein und er hatte den Blick auf den Boden fixiert, während ich mich wieder in mein Bett fallen ließ. »Ich lasse dich dann mal alleine. Später sehen wir uns dann nochmal, wenn ich mich von dir verabschiede.« Ich fing langsam an zu nicken, da es mir eigentlich recht egal war, was er tat. Vorsichtig ließ er die Tür ins Schloss fallen, als er den Raum verließ.

Ich schaute einfach an die Decke und konnte meine Gedanken mal wieder nicht richtig ordnen. Ich hätte enorme Fortschritte gemacht? Interessant. Das einzige, was bei mir während des Aufenthaltes in diesem Ort fortgeschritten ist, ist mein Hass auf dieses Haus. Ich hatte es noch nie so gehasst wie jetzt. Mit jedem Morgen, an dem ich meine Augen aufschlage und erstmal dieses klinisch saubere Zimmer sehe, steigt die Wut in mir nur noch mehr. Diese tristen, weißen Tapeten treiben mich noch zur Weißglut.

Ich schlug die Decke von meinen Beinen und stand auf. Ich zog mir irgendeinen verschwitzten Pullover an, es war mir egal, was andere von mir dachten. Ich hatte vorher nie so gedacht. Mein Aussehen und wie ich rüberkomme war mir wichtig. Doch so langsam wusste ich, dass ich für immer der »komische Junge von nebenan« bleiben werde. Und daran konnte ein sauberer Pullover auch nichts ändern.

Ich machte mich auf den Weg zum Speiseraum, wo die anderen mit Sicherheit schon auf mich warteten. Eine nette Geste, doch würde ich sie auch warten lassen, wie bereits erwähnt: es war mir mittlerweile egal, was andere von mir halten.

Ich ließ mich sorglos auf die Bank fallen und atmete tief durch, während ich meinen Kopf auf meiner Hand abstützte. Ich sah zu Noah, welcher bloß wieder in seinem Essen herumstocherte. Ich fühlte mich, als wären wir alle wieder am Anfang dieser Reise. Vielleicht ging es uns sogar noch schlechter als zuvor, da wir nun alle wussten, dass uns nur vorgemacht wurde, dass uns geholfen werden konnte. Wir waren so, wie wir hierher kamen.

Noah ließ die Gabel aus seiner Hand fallen und starrte einfach vor sich hin. Er riss seine Augen auf und es kam mir so vor, als könnte ich die Emotionen in seinem Gesicht in Zeitlupe sehen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, er kniff die Augen zu und öffnete seinen Mund, als ob er schreien wollte. Doch es kam bloß ein leises Schluchzen, während er sich die Hände vor die Augen hielt. Es klang so verletzt und seine Stimme klang heiser, da er mit Sicherheit die ganze Nacht geweint hatte. Madison legte einen Arm um ihn und versuchte ihn zu beruhigen, was ihr jedoch nicht gelang.

Averys sanfter Blick lag auf mir und sie fasste nach meiner Hand. Ihr Daumen fuhr langsam über meine Haut und sie wollte mir scheinbar seelischen Beistand leisten, obwohl ich diesen überhaupt nicht brauchte. Auf Joshs Lippen tat sich ein schelmisches Lächeln und er wackelte mit den Augenbrauen. Direkt zog ich meine Hand weg und steckte sie in die Bauchtasche von meinem Pullover. Avery schaute mich verwirrt an. »Was ist eigentlich los mit dir?«, fragte sie und wandte den Blick nicht ab.

»Avery, komme bloß nicht auf die Idee, dass ich jetzt dein Freund wäre. Du warst ein Zeitvertreib für mich, eine Eroberung und nichts weiter. Ich empfinde nichts für Andere und auch nicht für dich. Ich...«, ich machte eine kurze Pause und betrachtete alle, die an dem kleinen Tisch saßen, »...bin asexuell.«

Avery wirkte noch verwirrter als zuvor und nutzte meine kurze Unaufmerksamkeit, indem sie ausholte und mir einen kräftigen Schlag auf die Wange verpasste, nachdem sie aus dem Raum rannte. Noah schaute zu mir auf, wischte sich eine Träne weg und hielt sich dann wieder die Hände vor die Augen. Selbst Josh schien mir zugehört zu haben und runzelte verwirrt die Stirn. »Ernsthaft jetzt? Also das könnte ich nicht.«

Ich rollte mit den Augen und schob den Tisch etwas nach vorne, um aufstehen zu können. Ich begab mich sofort auf mein Zimmer und schmiss die Tür hinter mir zu. Ich wusste nicht wieso, aber ich verspürte eine enorme Wut in mir. Auf alles und jeden und auf dieses Irrenhaus. Sie verhielten sich alle wie pubertierende Highschool-Schüler und das ging mir gewaltig auf die Nerven. Ich wollte dem Ganzen hier einfach ein Ende setzen.

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