Fight for it! - Der Kampf meines Lebens

Kapitel 49 - Coming Out

Macklemore & Ryan Lewis feat. Mary Lambert ~ Same Love

Es fiel mir noch nie leicht, mit den Gefühlen anderer Menschen umzugehen. Ich war nicht wirklich der einfühlsamste Mensch dieser Welt. Wenn jemand in Tränen ausbrach, war es mir am liebsten, ihm eine Packung Taschentücher zuzuwerfen und schnell wegzurennen.

Bei Taylor war das alles ähnlich. Ich war mehr als froh, dass er mir endlich seine ganze Geschichte erzählt hatte und ich wusste das auch sehr zu schätzen, schließlich wusste außer mir nur sein bester Freund Ryan von seiner Vergangenheit. Wir trafen uns immer noch auf unseren Zimmern im Hotel, doch auf irgendeine Art und Weise war die ganze Situation etwas befremdlich und angespannt. Taylor war vollkommen normal, wie immer, doch jetzt, da ich sein Geheimnis kannte, wusste ich einfach nicht mehr wie ich mit ihm umgehen sollte. Immer wenn ich ihn sah, wenn er mich an seine starke Brust in seine Arme zog, dann fiel es mir wieder ein. Ich hatte diese Bilder im Kopf, wie sein Vater mit dem Messer auf Taylors Oberschenkel einsticht, wie seine Mutter sich weinend aber schützend vor ihn stellt, wie sein Bruder reglos und in einem See aus Blut auf dem Boden liegt und zu guter letzt wie Taylor mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinen eigenen Vater einsticht.

Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich hier in den Armen eines Mörders lag, aber durch diese Bilder vor meinem inneren Auge wusste ich einfach nicht, was ich tun sollte, was ich sagen sollte. Ich hatte einfach das Gefühl, dass alles, was ich sagen würde falsch wäre.

Cassie konnte ich dieses Mal nicht nach ihrer Hilfe fragen, dann müsste ich ihr schließlich von Taylors Geschichte erzählen und das wollte ich nicht, er hatte es schließlich nicht ohne Grund der ganzen Schule verschwiegen.

Ich nahm mir vor, nach der heutigen Abschlussfeier oder dem anschließenden Heimflug mit ihm zu reden und das Problem aufzulösen.

***

Die letzten Tage hatte ich, wenn nicht bei irgendwelchen historischen Stadtführungen oder Museumsbesichtigungen mit der Klasse, hauptsächlich mit Cassie beim Training verbracht. Wir joggten von Tag zu Tag weitere Strecken und ich sprang öfters die Treppen des Hotels hoch und herunter, was den Portier nahezu in den Wahnsinn trieb. Ich hatte begonnen, meine Ernährung umzustellen. Weniger Kohlenhydrate, mehr Proteine und keine fettigen oder zu süßen Sachen. So ein Training war hart, keine Frage. Aber wenn ich wieder lebendig aus diesem Ring in Philadelphia kommen wollte, oder sogar gewinnen wollte, obwohl ein Sieg wohl eher in weiter Ferne lag, wenn man es realistisch betrachtete, aber jedenfalls musste ich mir dieses strenge Training dann wohl antun.

Cassie und ich lagen gerade auf unserem Bett und hatten beide unsere Handys in den Händen. Zuvor hatten wir lange gemeinsam trainiert, weshalb wir beide nun wirklich fertig waren und nur hier in unserem Hotelzimmer vor uns hin gammelten.

"Du Liz?," fragte Cassie nach einiger Zeit und drehte sich von ihrem Rücken auf die Seite, um sich mit ihrem Ellenbogen auf dem Bett abzustützen und mich neckend anzugrinsen.

Ich legte mein Hand zur Seite und drehte mich ebenfalls zur Seite, um meine beste Freundin fragend anzusehen.

"Hast du noch Angst vor dem Kampf?," fragte sie und das Lächeln in ihrem Gesicht wurde deutlich ernster. "Also ich meine, weil naja, du hattest ja Angst, deshalb wolltest du ja, dass Danny den Kampf absagt."

Ich drehte mich zurück auf den Rücken und ließ meinen Kopf erschöpft auf das Kissen fallen. Ich starrte an die hölzerne Decke und die alte, bunt verglaste Lampe, die in der Mitte des Raumes hing. Hatte ich noch Angst? Ich hatte nicht mehr darüber nachgedacht, ob ich Angst hatte oder nicht seit der OP.

"Ich denke nicht," schüttelte ich also den Kopf und starrte noch immer nach oben.

"Das ist gut," murmelte Cassie und fuhr fort: "Angst kann man beim Boxen nun wirklich nicht gebrauchen. Sie stört uns nur und beeinträchtigt uns, weil wir immer Angst haben, etwas falsch zu machen, und den nächsten festen Schlag einzustecken."