Anmerkung: Dies ist eine etwas ältere Kurzgeschichte von mir, die ich vor einigen Jahren geschrieben habe. Auch wenn ich damals noch nicht Lovecraft gelesen habe, so bemerkte ich im Nachhinein, dass da doch irgendwie unterbewusst ein Einfluss gewesen sein muss.
Aus dem Schoße der Mutter hinein in die weit reichenden Fluten des kalten Atlantiks. Dieser Lebensweg war so tragisch wie auch unumgänglich.
Tiefer.
Der britische Matrose sank immer weiter der Schwärze unter sich entgegen. Blut quoll aus dem Stumpf seines rechten Beines. Eine Kanonenkugel hatte es von seinem Leib gerissen. Doch Schmerz fühlte er nicht. Er fühlte kaum etwas. Seine Arme waren ausgebreitet und seine Gedanken so träge wie sein langsamer Sturz, während seine Erinnerungen ihn umgaben wie das endlose Meer. Oben an der wabernden Oberfläche glitten derweil die gewaltigen Silhouetten der Kriegsschiffe dahin, warfen flächige Schatten und verfinsterten den Ozean nur noch weiter.
Tiefer.
Ein Schwarm fetter Fische schwamm gemächlich an ihm vorbei und vor seinen sterbenden Augen hielt er sie für den endlosen Strom der Passanten, die täglich auf den schmutzigen Straßen Londons umhergegangen waren, dort wo er aufgewachsen war. Die ständig wutverzerrten Gesichtszüge seiner Mutter, von denen er eigentlich geglaubt hatte sie vollkommen vergessen zu haben, erkannte er schwach in eines der leeren Glubschaugen. In der glasigen, verstandlosen Leere des nächsten Fisches war sein Vater zu sehen. Betrunken und mit zu Fäusten geballten Händen. Dann seine Schwester, weinend und in der Ecke kauernd.
Tiefer.
Seine Schwester. Sie hatte es nicht verdient. Ein jeder Mensch gönnte er dieses Schicksal, doch nicht ihr. Wieso sie? Es war unfair. So schrecklich unfair. Der Matrose hatte dem entkommen wollen. War nun hier und sank hinab in die Dunkelheit, die ihn sanft umschließen und alles vergessen machen wollte.
Tiefer.
Doch sollte es so enden? Sollte er wirklich so einfach vergehen? Seine Mutter. Sein Vater. Seine Schwester. Sollte die Schuld seiner Familie etwa nie mehr getilgt werden? All der Schmerz. All die Trauer. All die Wut. Diese schreckliche Wut. Sie brannte nun plötzlich in ihm auf. Seine sterbenden Lebensgeister wurden erneut entfacht. Er durfte es nicht so enden lassen. Er musste weiterleben.
Immer tiefer.
Seine Flucht auf die Schlachtfelder der Meere hatte ihn weit genug getragen. Nun war es an der Zeit zurückzukehren. Die Sache musste beendet werden. Im Namen seiner Schwester konnte er hier nicht den Tod finden.
Immer tiefer.
Sein Geist gewann an Klarheit und eine bestialische Entschlossenheit durchdrang ihn. Er machte Bemühungen seine Arme zu bewegen um wieder nach oben gelangen. Auch versuchte er neue Stärke in seinem verbliebenes Bein zu finden. Doch es war sinnlos. Zu viel Blut hatte er verloren und seine Muskeln waren durch die Kälte des Meeres klamm. So viel Willen er auch besaß, sein Körper war gebrochen und verweigerte sich den Bemühungen zur Sonne zurückzukehren.
Immer tiefer.
In Verzweiflung blickte der Matrose hinab, sah unbekanntes Meeresgetier dahingleiten. War dies ein endloser Abgrund? Wie tief würde er sinken? Wie tief? Tief. Der Matrose bemerkte es nun. Etwas war nicht so wie es sein sollte.
Immer tiefer.
Kein Druck. Er war schon mindestens vierzig Meter tief und dennoch war um ihn herum keinerlei Wasserdruck. In diesem Augenblick zerging über ihm eines der Schiffe in eine Explosion die sich auseinander faltete wie eine Blume bei Morgen. Die Pulverkammer! Die Pulverkammer war detoniert. Wie konnte wohl nur Gott sagen. Wichtig für den Matrosen nun war nur das Licht dieser Flammenkugel. Dieses Licht schnitt nun durch den Ozean, erhellte die Tiefe, überholte den britischen Matrosen und verjagte die Schwärze bis die Strahlen dann von glatten, scharfkantigen und farblosen Kanten reflektiert wurden. Ein riesiges Konstrukt schälte sich unter ihm aus der Dunkelheit und er sank direkt darauf zu.
Weiter. Tiefer.
Eine Pyramide.
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Erzählungen aus dem Nirgendwo - Tropfen der Unendlichkeit
FantasyHier werde ich diverse meiner Kurzgeschichten nach und nach veröffentlichen. Sie haben verschiedene Genres und behandeln verschiedene Themen, aber man kann die meisten gut unter Fantasy einfassen. Ich freue mich darauf, wenn ihr einige davon liest...