Ich konnte nicht sagen ob der Morgen sich bereits nährte, als ich aus der Kneipe trat. Über mir waren die endlos hohen, grauen Gebäudewände meiner Heimatstadt, gespickt mit weiten Fenstern, umrahmt von Marmor. Sonnenlicht erreichte schon seit langer Zeit nicht mehr den Kopfstein der Straßen. Seit meiner Geburt kannte ich nur das blaue Leuchten der Gaslaternen, um die die Motten schwirrten.
Rauch bildete sich vor meinem Mund und ich umgriff meinen Gehstock fester. Leichter Schnee begann zu fallen.
Hinter mir war noch das Lachen und Grölen der anderen zu hören. Es waren viele und sie alle waren mit solch einer Fröhlichkeit durchdrungen, dass ich es am Ende nicht mehr ausgehalten habe. Vermutlich hat keiner bemerkt, wie ich mich raus geschlichen hab.
Ohne zurückzublicken begann ich meinen Weg zurück zu meiner Wohnung. Ich hörte einige Pferde von Kutschen wiehern, doch auf dieser Straße war ich alleine. Genauso wie bei der nächsten und bei der übernächsten.
Fenster waren zu meinen Seiten erleuchtet, doch ich konnte keine Schatten dahinter erkennen, genauso wenig wie Musik von Grammophonen vernehmen.
Wo musste ich noch einmal abbiegen? Kenne ich diese Kreuzung schon? Diese Statue dort habe ich noch nie gesehen.
Verwirrt hielt ich inne. Wo lag noch einmal meine Wohnung? Bei welcher Kneipe war ich eben? Wohin muss ich nun gehen?
Etwas Schnee von meinen Zylinder klopfend wanderte ich weiter, nun ahnungslos und ohne wirkliche Richtung.
Ich kam zu einem weiten Platz. Verdorrte Büsche wuchsen an den Seiten und in Garagen waren einige Automobile geparkt. Schilder von Läden, die ich nicht kannte, hingen an den Mauern herab.
»Du siehst verloren aus«, sagte plötzlich eine Stimme, »willst du dich vielleicht zu mir setzen?«
Ein Haufen Lumpen, den er zuerst kaum bemerkt hatte, bewegte sich und ein faltiges, mit Narben zerfurchtes Gesicht, durchzogen mit Schmutz und mit einzelnen, öligen Strähnen grauen Haares bedeckt, zeigte sich. Mehrere leere Blechdosen und Flaschen lagen um diesen Mann verstreut und er saß zwischen zwei Mülltonnen auf einem mit Stroh gefüllten Sack. Er lächelte und einige Goldzähne blitzen auf. Er klopfte auf eine freie Stelle neben sich.
»Wieso sollte ich?«, fragte ich. »Ich werde schon einen Ort finden. Keine Sorge. Brauchst du vielleicht ein paar Münzen?«
Der Obdachlose schüttelte den Kopf. »Geh nur. Ich bleibe hier und warte.«
»Warten auf was?«
»Auf dich junger Herr.«
Ich verließ eilig den Platz. Selbst wenn ich meine Wohnung nicht fand, so gab es doch sicher andere Orte in dieser Stadt, zu denen ich gehen konnte.
Zu der Kneipe wollte ich nicht zurück und vermutlich hätte ich sie sowieso nicht wiedergefunden. So lief ich umher. Es vergingen vermutlich Stunden, bis ich ein Café fand, das offen war.
Einige Fackeln brannten davor und luden ein mit ihrer Wärme. Nur wenige Menschen waren anwesend, die meisten tief versunken in Büchern. Ich setzte mich an einen Tisch in der weitesten Ecke und bestellte einen Wein, sowie ein Baguette, da ich hungrig war. Danach blieb ich wo ich war und genoss fürs erste die Ruhe an diesem Ort.
Nach einer Weile überkam mich dann aber doch die Lust an einer Konversation und ich ging zum nächsten Tisch und bemerkte, dass die Seiten des Buches, was der ältere Herr vor sich hielt, leer waren. Dennoch las er mit großer Konzentration. Ich freute mich bereits auf ein intelligentes Gespräch über Literatur und fragte höflich, ob ich mich zu ihm gesellen dürfte.
Er nickte und ich wollte freudig Platz nehmen, als plötzlich der Kellner meine Schulter umgriff und sagte, das Café schließe nun. Er begleitete mich nach draußen, wo die Fackeln bereits gelöscht waren. Die anderen Gäste blieben wo sie waren. Keiner sonst ging hinaus. Die Tür wurde hinter mir zugeschlossen.
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Erzählungen aus dem Nirgendwo - Tropfen der Unendlichkeit
FantasyHier werde ich diverse meiner Kurzgeschichten nach und nach veröffentlichen. Sie haben verschiedene Genres und behandeln verschiedene Themen, aber man kann die meisten gut unter Fantasy einfassen. Ich freue mich darauf, wenn ihr einige davon liest...