Der letzte Veteran

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Kolonnen von Schwebepanzern glitten im Hintergrund vorbei.
Mechanisches Stampfen hallte durch die Basis und kündigte weiter von dem blutigen Uhrwerk, das man hier immer weiter ticken ließ. Nun sollte dieses hassenswerte Geräusch die Glockenschläge für den Abschied werden.
Der Soldat hatte zuvor noch nie an einer Beerdigung teilgenommen. Der Tod war in der fernen Heimat etwas mit dem man dank moderner Med-Kammern und Nanobot-Impfungen kaum noch konfrontiert wurde. Krankheit und Alter waren etwas, was man kaum noch zu fürchten brauchte und meistens nur in den Geschichten der Großeltern vorkamen.
Hier in der Wüste zerfiel dieser bisheriger lebenslange Schutzschirm vor der Sterblichkeit und nun stand er vor dem Leichnam seines ältesten und treusten Kameraden, der nackt und ohne Sarg und Blumen vor ihm ausgebreitet lag. Er war der einzige, der hier stand und trauerte.
»Er hatte einen Killcount von 134, was nicht übel ist für seinen Jahrgang«, meinte der rothaarige Adjutant des Generals, der neben ihm stand und bis eben die Abwicklung aller nötigen Formalitäten mit ihm durchgenommen hatte. »Er hat erstaunlich lange durchgehalten. Ihr habt ihn Baddy genannt, oder? Passender Spitzname, wie ich finde.«
»Er hat mir viermal das Leben gerettet«, sprach der Soldat leise, der sich noch immer weigerte zu glauben, dass dieses zerfledderte Etwas dort der Kamerad sein sollte, der ihm so viele Jahre zur Seite gestanden hatte, während unzählige andere gekommen und gegangen waren. Es war schlichtweg absurd, dass er jetzt einfach weg sein sollte. Für immer fort.
»Wie gesagt, er hat gute Arbeit geleistet«, erwiderte der Adjutant und nahm einen Zug aus seiner Cybrid-Zigarette, was zur Folge hatte, dass die Chamäleon-Implantate unter seiner Haut zu glühen begannen wie die Lavaströme auf den Schlachtfeldern der Südinseln.
Der Soldat fragte sich ob er wohl in der jetzigen Situation weinen würde, hätte er die Möglichkeit dazu. Vielleicht würde dies die ganze Sache einfacher machen? Dies waren allerdings nicht mehr als müßige, unerfüllbare Gedanken, da seine vom Militär gespendeten Synthesizer-Augen nicht in der Lage waren Tränen zu produzieren.
»Er ist mein Held«, wisperte er weiter. »Er ist mein Freund.«
Zu lange war er nun schon hier. Die Familie und Bekannten in den Städten aus Glas und weißem Metall waren inzwischen nicht mehr als zerbröckelnde Figuren aus dem Sand dieser Wüste, die er nun seit scheinbaren Ewigkeiten durchstreifte. Sein Kamerad dagegen war wie ein Monolith, der alles überragte und ihm einem Bezugspunkt gegeben hatte, nach dem er sich hatte richten können, wann immer er drohte sich in den Wirren des Krieges zu verlieren.
»Äh... nein ist er nicht«, widersprach der Adjutant verwirrt und pustete den Rauch aus, sodass seine angespitzten Chromezähne kurz zu sehen waren. »Keins von beiden. Junge, ich glaube du steigerst dich gerade etwas zu sehr in diese Sache hinein.«
Der Soldat hörte ihn bereits nicht mehr. Stattdessen fiel er vor dem Leichnam auf die Knie, da seine Beine ihn nicht mehr tragen konnten und griff nach seinem treusten Kameraden, um sich zu vergewissern, dass dies alles tatsächlich real war. Seine Finger streiften über die metallische Außenhaut, die verbrannt und zerschmolzen war – das aufgemalt Wort Baddy kaum noch zu sehen. Die Ketten waren gerissen und die vier Beine mit denen sein Freund Treppen und steile Graden hatte erklimmen können waren verbogen oder abgebrochen. Das anmontierte Maschinengewehr war zersplittert, die Sensoren verschwunden und der Granatwerfer am hinteren Ende ragte wie ein verfrühter Grabstein über den zerfledderten Toten auf.
»Mannoman, Junge, nimm es doch nicht so schwer«, sagte der Adjutant mit einem Seufzen und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. »Ist doch nur eine Landdrohne. Er wird ja schon bald ersetzt werden. Wir bekommen nämlich einen dieser neuen XN-147. Der krasseste Scheiß, das sag ich dir. Doppelt so dicke Panzerung, dreimal so schnell, Plasmagewehre und genug Giftgas in den Kanistern um einen ganzen Häuserblock einzuschläfern. Glaub mir, nach zwei Wochen mit dem Baby wirst du diesen Schrotthaufen hier längst vergessen haben.«
Die Worte prallten an dem Soldaten ab, ohne dass er sie wahrnahm. Er nahm seinen Helm ab und in einer letzten Geste des Respekts senkte er den Kopf vor seinem Kameraden, mit dem er so viel durchstanden hatte. Das dröhnende Stampfen der Anlage lag dabei weiter über allen, wie die anteilslosen Glocken einer Beerdigung.


Erzählungen aus dem Nirgendwo - Tropfen der UnendlichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt