Kapitel 5

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In den nächsten Tagen begegneten uns die Bären nicht mehr, weshalb wir vermuteten, dass wir sie genug abgeschreckt hatten, um sie zu vertreiben. Wir jagten und überprüften die Grenzen unseres Reviers. Während die anderen Wölfe das Kämpfen übten, zog ich los in die Stadt und ging wieder und wieder in die Bücherei, wo mehrere Bücher über Heilmethoden der Pflanzen vorhanden waren. Vier Mal bin ich bereits dort gewesen, heute startete mein fünfter Versuch, mehr über das Heilen in der Wildnis herauszufinden. Ich bemerkte, dass sich die Bibliothekare bei den Tagesschichten abwechselten. Dadurch hatte ich den Vorteil, dass sie nicht bemerkten, wie ich mich täglich nacheinander in das Gebäude stahl. Heute war eine junge, blonde Frau im Empfangsbereich tätig, die mich jedoch nicht weiter beachtete. Möglichst ruhig ging ich einen Gang entlang und versuchte nicht zu zeigen, wie unwohl ich mich nach all der Zeit zwischen Menschen fühlte.
Am Ende des Flurs eröffnete sich ein quadratischer Raum, in dem es nur so von Büchern wimmelte. Massenweise waren dünne und dicke, kleine und große in hölzernen Regalen aufgestellt und leuchteten nur so in den unterschiedlichsten Farben. Der Anblick verzauberte mich, doch ich riss mich los und wandte mich einem rechts stehenden Regal zu, in dessen oberen Hälfte die Bücher der Kräuter vorhanden waren. Ich nahm eines heraus und las die Überschrift: Kräuter der Natur. Den Buchdeckel umklappend blätterte ich weiter, bis zum Inhaltsverzeichnis. Dort suchte ich nach den Pflanzen, die ich kannte und es in der Nähe unserer Lichtung gab. Eine darunter war Baldrian.

Baldrian, Echter Valeriana officinalis
Vorkommen:
Feuchte Wiesen, Waldränder, an Ufern, in Gräben
Geerntet wird der Wurzelstock.
Erntezeit: Oktober
Wirkung:
Baldrianzubereitungen wirken beruhigend bei Angst- und Spannungszuständen und sind krampflösend.
Zubereitungen:
1 Teelöffel Baldrianwurzel übergießt man mit 1 Tasse kaltem Wasser und läßt es 12 Stunden stehen, mit gelegentlichem Umrühren. Diese Portion wird jeweils abends und morgens getrunken.

Ich blätterte einige Seiten weiter und betrachtete das Bild eines Baumes. Darunter standen die genauen Informationen:

Eiche Quercus
Vorkommen: Laub- und Mischwälder, in Flußauen
Gesammelt wird die Rinde (Zweigrinde).
Sammelzeit: April bis Mai.
Wirkung: Die Eichenrindenstoffe sind zur äußerlichen Behandlung bei Entzündungen der Haut, Schwellungen und Rötungen.
Zubereitungen: 3 Esslöffel Eichenrinde mit heißem Wasser übergießen. Verletzung eintauchen (eventuell den ganzen Körper) und 1/2 Stunden verweilen.

Ich versuchte mir die beiden neuen Heilmethoden zu merken, denn mehr als nötig wollte ich nicht immer von anderen Menschen stehlen, und sei es nur ein Buch. Ich las beide Seiten noch einmal genau durch und schloss das Buch, bevor ich es an seinen ursprünglichen Platz zurückstellte. Baldrian, wiederholte ich in meinem Kopf, wirkt beruhigend und krampflösend. Eichenrinde ist nützlich gegen Entzündungen. Diese Sätze prägte ich mir in meinen Kopf ein, während ich die Bücherei und die Stadt hinter mir ließ. Ich wiederholte auch die Pflanzen, die ich in den Tagen zuvor gelernt hatte. Wieder zurück im Wald, hielt ich sofort nach Eichenbäumen ausschau. Als ich eine Gruppe der jungen Bäume erkannte, machte ich mich daran, die Rinde der Äste abzutrennen und trug diese anschließend zur Lichtung. Am Eingang hatte sich Eros hingesetzt und hielt wache. Ich ging an ihm vorbei und legte die Rinde neben meinen Schlafplatz auf einen Flecken mit Moos. Ich brauche ein Gefäß, ging es mir durch den Kopf, um das Wasser transportieren zu können. Während ich überlegte, ob ich eines bauen konnte, holte ich den noch vorhandenen Apfel aus der Tasche meines anderen schwarzen Pullovers und biss hungrig hinein. Schnell hatte ich ihn verschlungen. Ich stand wieder auf und verließ nochmals die Lichtung, denn mir war eine Idee gekommen. Diesmal hielt ich im dichten Wald nach Birken ausschau, die nicht ganz so leicht zu finden waren. Doch als ich einen einzelnen Birkenbaum fand und erkannte, dass die Rinde bei diesen Bäumen gebogen und bröckelig war, machte ich zwei möglichst großen Stücke ab. Darin würde sich das Wasser, wenn ich welches benötigte, gut transportieren lassen. Wieder auf der Lichtung legte ich alles ordentlich nebeneinander. So auf meine Aufgabe konzentriert, bemerkte ich erst da, dass nur noch Aska und Roy und Tax dort waren. Die beiden silbernen Jung-Wölfe spielten und rauften munter miteinander, während ihre Mutter sich das Fell mit der Zunge wusch. Sie sah auf, als ich zu ihr ging.
,,Wo sind die anderen alle?"
Meine Stimme verklang in der ungewohnten Stille auf der Lichtung. Aska deutete in Richtung des Ostens.
,,Rasko hat eine Herde von Hirschen gesehen, als er im Fluss gefischt hat. Teon wollte sie mit den anderen auf dem großen Getreidefeld abfangen."
Obwohl das gesamte Rudel noch von dem Bärenfleisch gesättigt war, würde ein Hirsch trotz dessen als Beute sehr willkommen sein.
,,Bald können wir auch mit auf die Jagd gehen", piepste Tax und wandte sich aus dem festen Griff ihres Bruders. Dieser stürzte sich jedoch sofort wieder auf sie und in einem wirbelnen Knäul aus staubigen Fell rollten beide über den Boden. Roy gab Tax einen leichten Schlag aufs Ohr.
,,Du bist noch viel zu klein dafür ", maulte er. ,,Ich werde viel dringender bei der Jagd gebraucht."
Tax stetzte sich auf, ihre Augen funkelten entschlossen.
,,Ist mir doch egal, ob du größer bist als ich. Teon ist auch nicht so groß wie Force, und trotzdem ist er der Alpha, du Schlangenhirn!"
Wie, um ihre Kraft unter Beweis zu stellen, verbiss sie sich in das Ohr ihres Gegenübers, der jaulend versuchte sein Ohr zu befreien.
,,Selber Schlangenhirn!"
Mit diesen Worten stieß er mit seinem Kopf gegen ihre Hinterbeine, woraufhin Tax stürzte. Aska bedachte beide mit einem strengen Blick.
,,Wenn ihr nicht aufhört, euch zu streiten, werdet ihr nie mit auf die Jagd gehen können. Dafür werden schließlich nur anständige Wölfe gebraucht."
Sofort hörten die beiden auf und setzten sich hin.
Ich überließ es Aska, die beiden wieder zu beruhigen und machte mich schmunzelnd auf den Weg in den Wald, zusammen mit meinem Bogen. Diesmal ging ich in die entgegengesetzte Richtung der Stadt und befand mich schon bald in einem Lärchenwald wieder. Vorsichtig machte ich einen Schritt vor den anderen, denn die Tiere sollten meine Anwesenheit nicht bemerken. Ich entdeckte eine Elster, die versuchte einen Wurm unter einer Wurzel herauszuziehen. Geduckt schlich ich noch ein wenig näher und hob langsam meinen Bogen. Vorsichtig legte ich einen Pfeil an, visierte das schwarz-weiße Ziel an und spannte die Sehne. Ich ließ den Pfeil los, als genau in dem Moment ein rauchgrauer Wolf hinter einem Busch hervor sprang und sich mit einem Satz auf die Elster schmiss. Ich wollte ihn noch warnen, doch es war bereits zu spät; Der Pfeil ragte aus dem Oberkörper des Wolfes, dessen Augen sich erstaunt weiteten. Frisches Blut quoll aus der tiefen Wunde hervor und färbte den Waldboden dunkelrot. Mit einem Warnschrei schoss die aufgeschreckte Elster davon und landete auf einem Ast, von wo aus sie laut vor sich hin schrie. Ich stolperte langsam vorwärts und fiel neben dem Wolf auf die Knie. Ich nahm an, dass es einer des feindlichen Rudels war. Trotz der vielen Streitereien zwischen meinem Rudel und dem seinen würde ich niemals einen von ihnen töten, wenn er in diesem Moment keine Gefahr war. Der Atem des dunklen Wolfes ging stockend, es war kaum mehr als ein Röcheln mit dem er um sein viel zu kurzes Leben kämpfte.
,,Ich ... ich wollte das nicht", stotterte ich entsetzt vor mich hin. Zu etwas anderem war ich derzeit durch den Schock nicht fähig.
,,Ich wollte auf den Vogel schießen, aber dann warst du plötzlich da..."
Meine Stimme verstummte. Der Wolf öffnete sein Maul, um etwas zu sagen und zum Vorschein kamen zwei Reihen spitzer Zähne. Doch kein Laut drang aus ihm heraus und ich wusste nicht einmal, ob er die Sprache der Menschen verstand oder gar kannte. Ein neues Geräusch ließ mich aufhorchen und ich hob erleichtert den Kopf. Vielleicht war es Schyn oder ein anderer Wolf meines Rudels, wenn sie die Jagd schon hinter sich hatten. Ich suchte die schattige Umgebung ab und begegnete einem braunen Augenpaar.
,,Wir brauchen Hilfe, es ..."
Ich verstummte abrupt, als der Wolf ins Freie trat. Es war eine braune Wölfin mit heller Schnauze. Ich kannte sie. Es war eine der engsten Verbündeten von Fetz. Bevor einer von uns sich weiter regen konnte, ertönte das tiefe Jaulen eines weiteren Tieres, das ich nur zu gut kannte. Da trat er auch schon aus dem Dickicht und stellte sich neben die braune Wölfin. Der Alpha der Feinde höchstpersönlich.

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Hey ihr Lieben! Hier ist wie versprochen das neue Kapitel 😃

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~Sonnenfunke~

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt