Kapitel 7

97 15 11
                                    

Ein harter Stein drückte sich schmerzhaft in meinen Rücken. Ich öffnete die Augen zum wiederholten Mal und versuchte mich bequemer hinzulegen. Doch dies war auf dem harten Waldboden ohne das übliche Gras oder Moos gar nicht so leicht. Erschöpft ließ ich es sein und sah durch das Gewirr von schattenhaften Brombeerranken auf zu den Sternen. Still funkelten sie vor sich hin und strahlten eine eiserne Ruhe aus, die ich schon immer genossen hatte. Zum ersten Mal, seit gestern, hatte ich friedliche Gedanken, die jedoch durch immer lauter werdende Geräusche gestört wurden; Hier und da ein Knurren, begleitet von einem ständigen Rascheln. Eine feindliche Jagdgruppe trabte durch den kaum sichtbaren Eingang. Mir stockte der Atem, als ich sah, wie viele Wölfe es waren, denn ich hatte angenommen, dass momentan alle im Lager waren und schliefen. Zwei ganz vorne, dahinter sechs weitere. Die letzten drei Wölfe zogen mühsam einen leblosen Hirsch hinter sich her, den sie in die Mitte des Lagers schleppten. Dort legten sie ihn unvorsichtig ab und platzierten sich mit den anderen Wölfen um das tote Tier herum, all ihre Blicke waren auf Fetz gerichtet, der hocherhobenen Hauptes gemächlich auf sie zu trat. Ich beobachtete, wie die Wölfe sich ein kleines Stückchen zurückzogen, um ihrem Anführer Platz zu machen. Ihre Felle waren erwartungsvoll gesträubt, dennoch rührte sich niemand. Fetz wechselte einige Worte mit ihnen und riss sich ein großes Fleischstück aus dem Hirsch. Er trug es zu seinem Bau und verzerrte es in aller Ruhe. Erst als er sich niedergelassen hatte, begannen die anderen, die Beute untereinander aufzuteilen.
Fressen bei Nacht?! Meine Gedanken schwirrten. Na gut, es sind schließlich Wölfe. Und die sind tag- und nachtaktiv! Trotzdem kam es mir seltsam vor, wie die wilden Tiere unter dem ruhigen Sternenhimmel aßen. Die Wölfe meines Rudels aßen fast immer am Tag. Allerdings schlief ich nachts und würde es desshalb wohl kaum mitbekommen, selbst wenn sie es täten.
Eine Zeit lang beobachtete ich dieses Schauspiel, bis meine Augen immer schwerer wurden und ich einnickte.
Ich hatte erwartet, dass ich nur wenige Minuten schlafen könnte, doch als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, stand bereits die Sonne zwischen den grünen Kiefern und bannte sich einen Weg durch die dünne Wolkendecke. Blinzelnd rappelte ich mich auf und erstarrte augenblicklich. Fetz hockte auf seinen Hinterbeinen keine zwei Meter von mir entfernt und starrte mir unverwand in die Augen.
,,Gut geschlafen", knurrte er kalt.
Mein Mund wurde trocken und ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Also ließ ich es bleiben.
,,Ich war eben bei Gefährten von dir. Sie sollen mir ihr Revier überlassen, dann du kannst gehen. Wenn sie nicht, war es das mit deinem Leben." Er verzog belustigt seine Schnauze und zeigte mir die dreckigen Zähne, in denen sich ein einzelner Sonnenstrahl spiegelte. Mein Magen verkrampfte sich vor Angst. Ich hoffte innerlich, dass Fetz es mir nicht ansah. Bevor ich überhaupt etwas sagen könnte, drehte er mir den Rücken zu und spazierte davon. Sobald er weg war kamen auch schon Kratzer und Dunkel wieder, die scheinbar gerade etwas gefressen haben mussten, denn an ihren Schnauzen klebte dunkles Blut. Dunkel knurrte und stieß mich weiter in den Busch rein. Er setzte sich mit grimmigen Gesichtsausdruck neben mich, anscheinend gefiel ihm die Aufgabe als mein Leibwächter nicht besonders. Kratzer blickte undurchschaubar in die Ferne und beobachtete gelangweilt die aufgetürmten Gewitterwolken. Ab und zu sah sie zum Eingang, wobei ihre Ohren wieder und wieder erwartungsvoll zuckten. Ich fragte mich, was sie wohl erwartete zu sehen. Da ich ansonsten nichts zu tun hatte, grübelte ich den ganzen Vormittag darüber und kam schließlich am frühen Nachmittag zu den Schluss, dass sie jagen gehen wollte. Ab und zu lauschte ich den Gesprächen der anderen Tieren, doch die Wörter, die ich verstand, waren uninteressant und nutzlos für mich. Als die Sonne schließlich hinter hoch aufgetürmten Wolken verschwand und ansonsten nichts weiter passierte, als dass einige Wölfe im Lager aus und ein gingen, überlegte ich durchgehend, wie ich an etwas essen kommen könnte. Mein Magen brummte leise, doch ich ignorierte es so gut es ging. Würde ich die Wachen von mir fragen, fürchtete ich, dass sie mich augenblicklich in Stücke reißen würden. Der Nachteil für mich: Ich würde kein Essen bekommen und nicht mehr leben; Der Vorteil der Wölfe: Sie hätten ein zusätzliches Stück Futter.
Vielleicht sollte ich trotzdem einen Versuch wagen und Kratzer fragen. Doch so viel wie in meinem Leben auch passiert sein mag, den Mut für diese kleine, simple Frage hatte ich trotzdem nicht.
Am Abend begann es leicht zu regnen, und ich fing dankbar einige Tropfen mit meinem Mund auf. Als der Regen immer stärker wurde, verkroch ich mich weiter unter den Busch, wie auch die anderen Wölfe. Nur Kratzer und Dunkel blieben wo sie waren und ließen unwillig das kalte Nass über sich ergehen, was ich mit Genugtuung beobachtete. Mit der Zeit wurde es immer dunkler, nur weit entfernte Blitze erleuchteten ab und zu den abendlichen Himmel. Der starke Wind wehte die Gewitterwolken in unsere Richtung, das Donnern wurde stetig lauter und die Blitze immer greller.
Ein Funken Hoffnung keimte in mir auf. Vielleicht kann ich fliehen, solange sich alle Wölfe vor dem Regen versteckten! Doch Dunkel und Kratzer leisteten ganze Arbeit. Ich würde niemals ungesehen an den beiden vorbeikommen. Aber ich konnte auch nicht einfach hier bleiben und nichts machen, auch wenn mir scheinbar nichts anderes übrig blieb. Verzweifelt knirschte ich mit den Zähnen. Es gab immer einen Ausweg!
Mit meinen Augen verfolgte ich einen Blitz, der aus den Wolken geschossen kam. Keine fünf Sekunden später ertönte auch schon der Donner. Frustriert wartete ich auf den nächsten Blitz. Zehn Sekunden. Zwanzig Sekunden. Ungeduldig klopfte ich mit meinen Fingern auf den unebenen Boden. War das Gewitter etwa schon vorbei? Hatte sich meine bisher größte Flucht-Chance einfach in Luft aufgelöst? Die Antwort kam Millisekunden nachdem ich mir die Frage überhaupt stellen konnte. Der nächste Blitz blendete mich und ich musste meine Augen zusammenkneifen.
Und dann schlug das Licht mit einem gewaltigen Geräusch genau neben mir ein.
Unerwartet wurde ich in die Luft gehoben. Ich hörte jemandem entsetzt schreien und bemerkte erst danach, dass es meine Stimme war. Ich verlor die Orientierung und rollte mich noch im Flug wie ein Igel zusammen, bevor ich hart gegen einen Baum geschleudert wurde. Alle Luft wurde aus meinen Lungen gedrückt, schwarze Flecken erschienen vor meinen Augen.
Ich ächtzte vor Schmerz auf, als ich schwer wie ein Felsbrocken auf dem Boden aufschlug. Unbeholfen rappelte ich mich ein Stück auf und war erstaunt, dass meine Arme mein Gewicht tragen konnten, so sehr wie sie zitterten. Schwer atmend hob ich meinen Kopf und sah verschwommen einen hellen Lichtflecken, der sich als Feuersäule entpuppte. Einen Moment lang verharrte ich in dieser halb liegenden, halb knienden Position und schnappte nach Luft. Der Regen durchnässte meinen neuen Pullover, der sich dadurch noch viel schwerer anfühlte. Ein lautes Brummen ertönte in meinen Ohren, was von dem Einschlag kommen musste.
Ich wollte aufstehen und zuckte sofort zusammen, als ein rasender Schmerz durch meinen Oberkörper schoss. Mit zusammengekniffenen Zähnen schaffte ich es, mich zu erheben und versuchte den Schmerz möglichst gut zu ignorieren, was mich einiges an Zeit kostete. Ich fragte mich, was wohl mit den Wölfen passiert war, dass ich kein einziges Geräusch von ihnen hörte, schob es dann jedoch auf das Brummen in meinen Ohren. Mit meiner linken Hand musste ich mich an einem Ast festhalten, um überhaupt vorwärts zukommen. Benommen schwankte ich durch den Wald, fragte mich, wo ich überhaupt hinging. Weg vom Feuer, ich muss weg vom Feuer!, war mein einziger Gedanke. Wenn ich mich vom Feuer entfernte, ließ ich gleichzeitig das Lager von Fetz hinter mir und das konnte nur die richtige Entscheidung sein.
Der Regen wurde etwas schwächer, weshalb ich nun wieder mehr erkennen konnte, doch die Dunkelheit machte mir mit jeder Minute mehr zu schaffen. Während ich orientierungslos durch den unbekannten Wald stolperte, hörte langsam auch das Brummen in meinen Ohren auf, doch zu hören war noch immer nichts, was vielleicht aber auch durch das gleichmäßige Rauschen des Regens kommen konnte. Ich kam zu einem kleinen Bach. Verzweifelt versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen. Welchen Weg hatten wir auf dem Hinweg genommen? Ich konnte zwei schmale Pfade ausmachen. Einer führte gerade aus, der andere bog etwas nach links. Unentschlossen überquerte ich den Bach. Ich wählte den Weg, der geradeaus ging. Sicher, dass es der richtige Weg war, war ich mir keinesfalls.
________________________

Huhu, Leseratten^^
Da bin ich endlich wieder!
Tut mir echt leid, dass es so lange gedauert hat, ich musste mich fast zwingen, dieses Kapitel heute fertigzustellen, sonst hätte ich es wahrscheinlich nie geschafft :')
Aber tadaa, jetzt ist es fertig! 😃

Welcher Weg glaubt ihr, war der Richtige? Den, den Ellie genommen hat oder nicht?

Ich hoffe es hat euch gefallen, bis zum nächsten Kapitel!

~Sonnenfunke~

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt