Kapitel 12

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Schyns weiße Schwanzspitze hüpfte vor mir auf und ab. Einen kurzen Augenblick verlor ich sie aus den Augen, als der Trampelpfad eine Wendung nach links machte und leichte Panik stieg in mir auf. Niemals wieder wollte ich ohne die Wölfe leben müssen, nicht einmal einen Tag, geschweige denn noch länger.
Der weiße Wolf lief etwas langsamer, damit Tax und ich ihn wieder einholen konnten. Dass wir Schyn getroffen hatten und gleich wieder bei den anderen sein würden, gab uns neue Kraft, aber wir waren müde und ausgelaugt von dem langen Tag, zumal wir nur eine Mahlzeit gehabt hatten. Die Wölfe mussten es leichter gehabt haben mit ihren vier Beinen, statt wie bei mir nur zwei, und sie hatten auch deutlich längere als Tax.
Vor einer Wand aus Sträuchern und Büschen blieb Schyn stehen und ließ uns den Vortritt auf eine kleine, von hohen Eichen und Buchen umgebene Lichtung. Auf dem kurzen Gras hatten sich die Wölfe niedergelassen, die wir so lange gesucht hatten.
Tax stürmte an mir vorbei zu ihrer Familie. Aska sprang auf, als sie ihre Tochter erblickte und leckte ihr voller Erleichterung das Gesicht. Roy stieß einen Freudenschrei aus und schmiegte sich zitternd vor Glück an seine Schwester. Eros gesellte sich zu der wiedervereinten Familie.
Schyn stieß mich sanft an. Er bedeutete mir mit einem Schnippen seines Ohres, ihm zu einem leeren Flecken am Rande der Lichtung zu begleiten. Dankbar ließ ich mich auf dem weichen Gras nieder, zog die abgenutzten Schuhe aus und massierte die schmerzenden Füße.
,,Bevor das Feuer da war", setzte Schyn an, ,,warst du nicht mehr im Lager. Was ist passiert?"
Innerlich seufzte ich auf. Obwohl mir von Anfang an klar gewesen war, dass ich die Geschichte jemandem von meinen Freunden erzählen musste, war ich nicht sehr erpicht darauf, das Geschehene in meiner Erzählung noch einmal zu erleben. Trotzdem begann ich meine abenteuerliche Nacht zu erzählen und Schyn hörte gespannt zu. Es kam noch Teon hinzu und die beiden ließen mich erzählen, zwischendurch stellten sie Fragen und ich beantwortete sie wahrheitsgemäß.
In Teons Augen schimmerte Verständnis.
,,Also deswegen warst du nicht mehr da! Ich hatte kurz vor Mitternacht Schyn und Force geschickt, um dich suchen zu gehen, aber als sie dass Feuer gesehen haben, haben sie die Suche abgebrochen. Sicherheitshalber habe ich das Rudel aus dem Lager weggeführt, ich wollte nichts riskieren."
In meinem Kopf schwirrte es. Dann wussten die Wölfe nicht, wie weit das Feuer gekommen war.
,,Als ich das letzte Mal das Lager betreten habe, um nach euch zu suchen, war das Feuer schon sehr nahe. Ich glaube nicht, dass es das überstanden hat."
Schyn warf Teon einen Blick zu und sah betreten zu Boden.
,,Wenn das so ist müssen wir weiter und einen geeigneten Platz für ein neues Lager suchen." Er sah mich an. ,,Eigentlich wollten wir in einigen Tagen wieder zurück", erklärte er mir. ,,Das geht dann wohl nicht mehr."
Der Anführer legte tröstend seine Schnauze auf die seines Freundes. ,,Wir finden eine Lösung. Und wenn wir bis zum Ende des Waldes laufen müssen, um eine neue Heimat zu finden, dann tun wir das. Wir haben es bis hier hin geschafft, dann werden wir auch weiterhin vorankommen."
Eine Frage drängte sich in meine Gedanken.
,,Warum war Tax alleine? Ich habe sie weit von euch entfernt gefunden. Oder sagen wir besser, sie hat mich gefunden."
,,Beim Aufbruch aus dem Lager war alles ziemlich hektisch", gab Teon zu. ,,Sie muss von uns getrennt worden sein. Du weißt ja, wie die Kleinen sind. Sobald sie einmal das Lager verlassen haben, wollen sie an alles und jedem schnüffeln und die Welt auf eigenen Pfoten erkunden gehen. Dabei hat sie wahrscheinlich den Anschluss verloren. Ich bin nur froh, dass du sie zu uns geführt hast und es auch dir gut geht."
Ich öffnete meinen Mund, um zu antworten, aber in dem Moment trabte Force zu uns. Er neigte seinen Kopf vor mir. ,,Schön, dass du wieder hier bist."
Er wandte sich an Teon und fragte: ,,Möchtest du, dass ich jagen gehe? Unsere Vorräte sind alle aufgebraucht und wir haben noch immer hungrige Mäuler zu füllen."
Teon nickte dankbar. ,,Tu das. Ich selbst mache mich gleich auch noch einmal auf den Weg. Wir bleiben bis zum Morgen hier, du kannst dir also Zeit nehmen."
Als Force wieder weg war, verließen auch Schyn und Teon die Lichtung, um zu jagen. Ich döste in der Zeit ein wenig vor mich hin und versuchte all meine Gedanken zu ordnen. Es kam mir vor, als hätte jemand meinen Kopf genommen und ihn einmal kräftig geschüttelt. Jetzt musste ich zusehen, alles wieder an die richtigen Positionen zu bringen, was aber nicht sehr einfach war. Ich stellte mir vor, wie ich eine Schublade nach der anderen wieder ordentlich einsortierte und allmählich verschaffte ich mir einen Überblick, der mir half, alles zu verarbeiten. Bis ich wieder die Ellie von vor ein paar Tagen war, würde es noch etwas dauern. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht allzu lange dauerte, denn momentan war ich eine sehr verwirrte und besonders sehr aufgewühlte Person, die doch nur ein schönes Leben haben wollte. Aber seit dem Tod meiner Eltern hatte dies nicht sonderlich gut geklappt.
Egal, ermahnte ich mich, jetzt bin ich wieder bei meinen Freunden, meiner Familie. So lange wir zusammen bleiben, kann nichts Schlimmes passieren.

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~Sonnenfunke

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt