Kapitel 2

120 21 14
                                    

Ich erstarrte bei der anklagenden Stimme. Meine schnellen Überlegungen ergaben zwei Optionen: Ich konnte weglaufen und verschwinden oder mich umdrehen. Die erste Option gefiel mir besser, doch dann würde mich vielleicht die Polizei suchen und dies durfte ich zum Wohl des ganzen Rudels nicht riskieren. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich umzudrehen und möglichst freundlich auszusehen. Vor mir stand eine ältere Frau, um die siebzig Jahre alt, die mich feindselig anstarrte. Ich lächelte ihr gezwungen zu und versuchte überrascht zu wirken.
,,Meinen Sie mich?"
,,Wen soll ich denn sonst meinen?", keifte sie zurück.
,,Oh, dann müssen sie sich aber getäuscht haben, denn meine Mutter hat alles bezahlt."
Der Blick der Dame verdüsterte sich.
,,Die beiden Pullover hat sie nicht bezahlt."
Ich überlegte fieberhaft.
,,Nein natürlich nicht, ich wollte sie ihr ja auch nur zeigen, damit sie die kauft!" Nach meinen Worten herrschte einen Augenblick Stille. Dann drehte sich die Frau um und sagte vorher noch: ,,Damit wirst du nicht durchkommen Kind!"
Ich seufzte erleichtert, doch als ich sah wohin die Frau ging, wurde mir übel. In Richtung der Polizeistation. Schnell mischte ich mich unter eine vorbeikommende Gruppe, zog einen der Pullover an und lief zum Wald. Nach wenigen Minuten erreichte ich die Grenze unseres Reviers und betrat es. Meine Gedanken umschwirrten meinen Kopf und ich ging unbewusst weiter, während ich mir überlegte, wohin ich beim nächsten Mal klauen gehen sollte. Doch schon auf halber Strecke zur Lichtung ließ ein Jaulen mich aufhorchen. Das Jaulen eines fremden Wolfes. Ich rannte das letzte Stück und blieb vor dem Eingang stocksteif stehen. Der Rudelführer des benachbarten Rudels, die uns immer wieder unsere Beute stahlen und manchmal kleinere Jagdgruppen unsererseits angriffen, stand auf der Lichtung. Gegenüber von ihm hatten sich meine Rudelgefährten in einer Kampfreihe aufgestellt, allen voran Teon. Alle hatten ihre Felle gesträubt, wodurch sie gefährlicher denn je wirkten.
Soll ich zu ihnen gehen? Ich schüttelte langsam den Kopf. Dadurch würde mein Rudel schwächer aussehen und die anderen könnten glauben, sie würden sich nur mithilfe eines Menschen verteidigen können, auch wenn ich schon lange ein Mitglied des Rudels war. Leise schlich ich um den Eingang herum und schaute hinter einem Haselnussstrauch hervor, um nichts zu verpassen. Meine Muskeln blieben angespannt, jeden Moment bereit, einzugreifen. Zu meinem Glück hatte Schyn mir einige Tricks gezeigt, wie ich einen Wolf überwältigen könnte, würde es dazu kommen. Was hoffentlich nicht der Fall sein wird. Ich beobachtete wie der fremde Rudelanführer, ich erinnerte mich schwach, dass er Fetz hieß, zu Teon vortrat und etwas in der Sprache der Wölfe knurrte. Einige Wörter konnte ich verstehen, da die beiden Jungen unseres Rudels oft in dieser Sprache miteinander kommunizierten, auch wenn ihre Mutter sie anschließend immer ausschimpfte.
,,Rudel ... weg ... jetzt ... Zuhause ... warnt ... tot ..."
Daraufhin trat Teon einen Schritt nach vorne, seine Augen blitzten gefährlich auf. Sein Knurren klang ungewohnt laut, auch wenn er sich vollständig unter Kontrolle hatte. Auf Teons Worte hin schien der fremde Rudelanführer Fetz zu überlegen.
Was er wohl gesagt hat? Ich schob schweigend einen Ast zur Seite, um ein besseres Blickfeld auf die Wölfe zu haben. Damit mir nichts entging, versuchte ich ruhiger zu atmen und lauschte angestrengt. Doch die beiden Alpha-Wölfe redeten nun leiser, als würden sie nicht belauscht werden wollen. Fetz zeigte wütend seine Zähne. Binnen Sekunden danach drehte er sich um und gab seinen hinter sich versammelten Wölfen ein Zeichen, woraufhin diese es ihm nachtaten. Sekunden später erinnerten nur noch die schwankenden Äste des Ausgangs daran, dass dort eben noch ein Feind von uns gewesen war. Ich atmete aus und erhob mich möglichst unauffällig, falls die Fremden noch hier lauerten. Als ich durch den Eingang schlüpfte hob Schyn seinen Kopf. Doch als er mich erkannte, entspannte er sich wieder. Ich trat auf die Lichtung und gesellte mich zu meinem Freund.
,,Was wollten sie hier?", fragte ich.
,,Sie kamen, um uns den Krieg zu verkünden. Wir sollen innerhalb von zwölf Tagen von hier verschwinden. Ich weiß allerdings nicht, ob Teon ihnen unser Revier leichtfertig überlassen wird, schließlich ist es unsere Heimat. "
Ich nickte verständnisvoll. Wir dürfen nicht von hier weg! Wo sollen wir denn sonst hin? Meine Gedanken überschlugen sich buchstäblich. Ich wandte meinen Kopf, als Teon sich von der Stelle erhob, auf der er sich niedergelassen hatte. Die gesamte Aufmerksamkeit des Rudels war auf ihn gerichtet. In den Augen von Teon spiegelte sich die Angst meiner Rudelgefährten wider. Dennoch war seine Stimme fest und seine Aura strahlte Zuversicht aus, was mich zusehends beruhigte.
,,Ich nehme an, es ist für uns alle klar, was Fetz und seine Kumpanen von uns wollen: unser Revier und somit auch das Lager. Aber ich versichere euch, wir werden nicht so schnell aufgeben wie sie offensichtlich denken. Wir lassen uns nichts vorschreiben!"
Teon hielt inne und schaute jedem von uns in die Augen.
,,Seid ihr bereit zu kämpfen und unser Land zu verteidigen?"
Zur Bestätigung von den Worten unseres Anführers hin legte Force seinen Kopf in den Nacken und heulte mit seiner kräftigen Stimme in den nächtlichen Himmel empor. Die anderen Wölfe taten es ihm gleich. Auch ich gab mir große Mühe, bei dem kraftvollen Gesang mitzuhalten. Nach und nach hörten wir wieder auf und ich stand auf, um an meinen Schlafplatz zu gehen, wo bereits der zweite der geklauten Pullover lag. Ich ließ mich erschöpft auf das weiche Gras fallen, nahm den Apfel aus der Tasche des Pullovers und legte meinen Kopf auf den weichen Stoff.
Am nächsten Morgen wurde ich von Schyn geweckt, der mich unsanft in die Seite stieß. Ich hob schwerfällig meinen Kopf und öffnete die Augen. Der weiße Wolf sah angespannt aus.
,,Wach auf Ellie! Wir haben neue Informationen vom anderen Rudel erhalten."
Sofort war ich hellwach.
,,Vermutlich keine Guten, oder?"
Schyn nickte. Sein Schwanz zuckte dabei beunruhigt hin und her.
,,Aska und Schitzka sind einem Botenwolf an der Grenze begegnet. Wir sollen ihnen bei Sonnenuntergang in zwölf Tagen unsere Entscheidung beim Bach mitteilen. Teon hat eben gesagt, dass wir um unsere Heimat kämpfen werden, denn ohne Kampf werden Fetz und seine Anhänger uns nicht weiter dulden."
Ich kniff meine Augen gegen das helle Tageslicht zusammen, als ich unter dem Haselnussstrauch hervor kroch.
,,Mmm... das sind wirklich schlechte Neuigkeiten. Ich dachte, wir hätten wenigstens im Herbst und Winter unsere Ruhe."
,,Das dachten wir vermutlich alle."
Schyn drückte sich aufmunternd an mich.
,,Lass uns jagen gehen. Das wird unsere Köpfe wieder klarer machen."
Ich nickte, erleichtert über diesen Vorschlag.
,,Mit oder ohne Bogen?"
,,Ohne?"
Ein Grinsen huschte über mein Gesicht.
,,Von mir aus", sagte ich und folgte Schyn in den Wald.
Nach einigen Minuten blieb mein Freund stehen und deutete still mit seinen Ohren auf eine Buche. An den Wurzeln des Baumes erkannte ich die braune Gestalt eines Wildkaninchens, welches mit gespitzten Ohren an einer Buchecker knabberte. Ich nickte Schyn zu, zum Zeichen, dass ich es bemerkt hatte. Geduckt schlich ich ein Stückchen weiter während Schyn lautlos in einem Bogen um das Tier herumlief. Nichtsahnend suchte das Kaninchen weitere Bucheckern auf dem Waldboden. Mit einem Aufschrei sprang ich aus meinem Versteck. Entsetzt sah das Kaninchen auf und floh direkt in Schyns Tatzen, der es mit einem gekonnten Bissen in die Kehle tötete. Mit seiner vorderen Tatze stieß er gegen das Tier und betrachtete es.
,,Es hat kaum Fleisch auf den Knochen", beschwerte er sich knurrend. Beschwichtigend hob ich die Hände.
,,Besser als nichts, findest du nicht?"
,,Natürlich. Aber erst recht, wenn demnächst ein Kampf bevorsteht sollten wir gut genährt sein."
,,Stimmt auch wieder."
Ich sah zum Himmel auf. Die Sonne hatte sich kaum von der Stelle bewegt.
,,Aber wir haben noch genug Zeit, bis zum Mittagsmahl."
Das Mittagsmahl bezeichnete das 'Mittagessen', was jeden Tag zur selben Zeit abgehalten wurde. Den Vormittag über jagten die Wölfe des Rudels und hoben die Beute bis zum Mittagsmahl auf, wo wir alle zusammen speisten.
,,Du hast recht Ellie. Lass uns weiter jagen."
Ich nickte und wir beide machten uns wieder auf den Weg, um den Wald nach Beute zu durchstöbern.

____________________________________

Das 2. Kapitel ist da!

Wie findet ihr die Geschichte bisher?

Nächsten Freitag werde ich das nächste Kapitel veröffentlichen. ;)

Vergesst nicht zu Voten! 😃

~Sonnenfunke~

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt