Kapitel 22

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Sobald die Tür hinter der Krankenschwester ins Schloss fiel, sprang ich auf. Glücklicherweise war ich mit keinen Kabeln oder Nadeln versehen, denn das wäre schmerzhaft geworden.
Ich muss hier raus, war mein einziger Gedanke. Im Schrank fand ich saubere Klamotten und tauschte sie gegen das weiße Krankenhausgewand aus, das mir angelegt worden war. Meine eigenen Anziehsachen waren nicht mehr da, geschweige denn der Bogen mit den Pfeilen. Die ganze Arbeit, die ich in dessen Produktion gesteckt hatte, war umsonst gewesen. Mal wieder.
Ich zog eine neue Jeans an, Turnschuhe und streifte BH, T-Shirt, Pullover und eine dicke Jacke über. Keine Ahnung, ob die Sachen für mich bestimmt waren, aber das kümmerte mich herzlich wenig.
Mit den Händen schloss ich leise wieder den Schrank und erstarrte mitten in der Bewegung. Vor der Tür hörte ich Stimmen, die der Krankenschwester und eine andere, eine männliche. Da keine Zeit mehr zum Abhauen war, setzte ich mich wieder aufs Bett, mit dem Rücken zur Tür, und sah aus dem Fenster. Keiner durfte wissen, was ich plante.
Wahrscheinlich hätte ich mir schon überlegen sollen, was ich zu dem Polizisten sagen würde. Die Wahrheit schloss ich sofort aus.
Ich wandte leicht meinen Kopf und sah einen Mann mit Uniform der durch die Tür trat, hinter ihm noch einer, ein sehr junger, wahrscheinlich noch in der Ausbildung.
Na super! Die hat doch gesagt, da wäre nur einer!
Der jüngere blieb an der Tür stehen und ich wusste sofort, dass ich mir die Flucht streichen konnte, solange die hier waren. An solchen durchtrainierten Typen würde ich niemals vorbeikommen.
Der älter kam zu mir und stellte sich neben das Fenster, seinen Blick auf mich gerichtete. Ich ignorierte ihn und betrachtete die Landschaft, die sich mir bot. Eine Wiese, die von einem steinernen Weg durchkreuzt wurde, daneben zwei hohe Gebäude, vermutlich weitere Teile des Krankenhauses.
,,Emily Hale, richtig?" Ohne den Blick vom Fenster abzuwenden, nickte ich. Die Krankenschwester musste die wenigen Informationen, die sie über mich besaß, sofort weitergegeben haben.
,,Kannst du mir sagen, was gestern Nacht passiert ist?"
Jetzt musste ich ihn doch ansehen. Seine blauen Augen sahen mich fragend an, eine Hand ruhte in seiner Jackentasche.
,,Wo sind die Wölfe?" Wenn er mir eine ausreichende Antwort gab, würde ich es vielleicht auch tun. Vielleicht auch nicht. Mir entging nicht, wie er einen Blick mit seinem Kollegen tauschte.
,,Die Wölfe." Er machte eine Kunstpause und mich überkam das Gefühl, dass er genau wusste, weshalb ich ihn fragte.
,,Sie wurden weggebracht. Was hast du mit solchen wilden Tieren zu tun?"
Fragen um Fragen, wie üblich bei der Polizei. In den vier Jahren hatte sich wohl nicht viel geändert. Ich dachte über seine Worte nach. Weggebracht? Wohin? Was verschwieg er mir? Die nächste Frage, die er gestellt hatte, war schon etwas schwerer zu beantworten. Ich brauchte dringend eine gute Lüge. Eine verdammt gute, um genau zu sein.
All das schoss mir in nur wenigen Sekunden durch den Kopf.
,,Die haben mir geholfen."
Wieder der Blickkontakt mit dem Kollegen. Was hatte das zu bedeuten?
,,Inwiefern. Könntest du bitte etwas diskreter werden?"
Seine Ungeduld brannte in mir wieder. Wenn ihm meine Antworten nicht gefielen, konnte er gerne gehen. Niemand zwang ihn, sich mit mir abzugeben.
,,Ich will wissen, wo Sie die Wölfe hingebracht haben!" Langsam war meine Ruhe aufgebraucht. Zu viel war schon passiert, ich wunderte mich bereits, woher ich bisher die Ruhe genommen hatte.
Der Polizist seufzte.
,,In einen Wildpark, hier in der Nähe. Sagst du mir jetzt endlich, was passiert ist und was du mit den Tieren zu tun gehabt hast?"
Wildpark! Ich konnte mich nicht entscheiden, ob das gut oder schlecht war. Sie waren immerhin noch am Leben und in Sicherheit, wenn auch eingesperrt wie Zootiere.
,,Nein", sagte ich daraufhin stur. Ich hatte was ich brauchte. Sollten die mir Fragen stellen, so viele sie wollten, aus mir bekam man jetzt nichts mehr raus.
,,Ist es dir lieber, wenn wir dich mit auf die Polizeiwache nehmen, und dich dort verhören?"
Ich schwieg. Der Alte ging zu seinem Kollegen und raunte ihm leise etwas zu. Daraufhin öffneten sie die Tür.
,,Rühr dich nicht vom Fleck. Wir sind gleich wieder da", sagte er, bevor er rasch das Zimmer verließ.
Als die beiden draußen waren, atmete ich erleichtert aus und wischte meine schwitzenden Finger an der neuen Hose ab. Als ob ich hier bleibe und auf mein Urteil warte! Das können die sich abschminken! Aber ich konnte nicht sauer auf die Polizisten sein, irgendwie taten sie mir sogar leid. Die machten nur ihre Arbeit und dabei stand ihnen meine angeborene Sturheit in Weg, die ich selbst manchmal verfluchte. Genug davon. Jetzt hieß es, sich zu beeilen. Die Polizisten konnten jeden Moment wiederkommen. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit und lugte hindurch. Außer einem langen weißen Gang war nichts zu sehen. Keine Menschenseele war hier unterwegs. Auf Zehenspitzen huschte ich zur nächsten Ecke. Dort schob eine andere Krankenschwester einen Waagen vor sich her. Ich wartete, bis sie in einem der vielen Räume verschwunden war und rannte das letzte Stück zum Treppenhaus. Dort war es kälter, als im restlichen Gebäude und es herrschte eine Totenstille, die mich leicht beunruhigte. Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich runter bis zum Erdgeschoss, wo ich den Ein- und Ausgang vermutete.
Ich verlangsamte meine Schritte und ging ohne aufzufallen an der Rezeption vorbei. Sobald ich draußen war gestattete ich mir, einmal tief die kühle Luft des Morgens einzuatmen. Sie füllte meine Lunge mit Sauerstoff und ich wurde wieder etwas ruhiger.
Wie soll ich denn jetzt den Wildpark finden, von dem der Polizist gesprochen hat?
Ich verließ das Gelände des Krankenhauses und mischte mich unter die anderen Menschen. Automatisch steuerte ich auf eine Fußgängerzone mit vielen Geschäften zu. Dort würde man mich nicht so schnell finden. Vor einem Schaufenster blieb ich stehen und betrachtete die ganzen funkelnden Juwelen, Ketten und Ringe. Ich hatte auch einmal eine Kette gehabt, aber nicht so eine schöne. Meine Mutter hatte sie mir zum Geburtstag geschenkt. Nicht dran denken, ermahnte ich mich, sonst fang ich wieder zu weinen an, wie ein kleines Kind. Ich ging zu einer jungen Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschob. Sie sah nett aus und erinnerte mich an meine Mutter.
,,Entschuldigen Sie, wissen Sie in welcher Richtung der Wildpark ist?"
Sie blieb stehen, beide Hände auf dem Griff des Kinderwagens, in dem ich ein schlafendes Baby ausmachen konnte, und lächelte mich freundlich an.
,,Natürlich. Du musst nur der Straße hier folgen, dort einmal nach rechts abbiegen und dann siehst du ihn schon", erklärte sie.
,,Danke."
Im Laufschritt folgte ich der Wegbeschreibung der Frau. Keuchend und außer Atem stand ich schließlich vor dem Eingang des Parks, der mit einem großen Schild ausgestattet war. Ich ging hinein und blieb auf einer Kreuzung stehen. Wo waren die Wölfe? Ich entschied mich für den linken Pfad, wo mehr Bäume standen. Im ersten großen Gehege grunzten mir Wildschweine entgegen. Hinter einem Zaun wirkten sie viel friedlicher als im Wald. Der nächste Abschnitt war ebenfalls bewohnt, ich konnte aber niemanden sehen. Ungeduldig ging ich auf und ab und suchte nach einer Spur von meinen Freunden.
,,Ellie?", ertönte da eine leise Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und sah in das nächste Gehege. Schyn stand hinter dem metallenen Zaun und sah mich an.
,,Ellie! Du bist es wirklich!"
Sofort legte ich einen Finger an den Mund.
,,Schhhh! Nicht so laut! Es darf keiner wissen, dass ihr unsere Sprache sprecht. Ist Force bei dir?"
,,Ja ist er. Aber warum nicht? Das können wir doch zu unseren Vorteil nutzen. Wenn wir den Menschen alles erklären, lassen sie uns bestimmt frei."
Ich schüttelte traurig den Kopf. ,,Das würden sie nicht machen."
Wie sollte ich Schyn auch erklären können, wozu die Menschen wirklich fähig waren? Wenn jemand herausfände, was er konnte, würde man Experimente mit ihm und Force durchführen und sie nie wieder in Ruhe leben lassen. So war das auf dieser Welt.
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Hey!

Dank den Sommerferien konnte ich in letzter Zeit sehr viel weiterschreiben. Innerhalb von einem Monat hab ich 10 Kapitel geschrieben. Für einige von euch ist das vielleicht normal, aber nicht für mich 😳 Bei mir ist das eine Meisterleistung!

Jetzt habe ich nur blöderweise das Gefühl, dass es jetzt wieder viel langsamer vorangeht😥😭

Hoffentlich keine Schreibblockade!!😣

Liebe Grüße, Sonnenfunke❤

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt