Kapitel 6

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Ein bedrohliches Knurren drang aus der Kehle des dunkel gefleckten Anführers, als er seinen Lagergefährten auf dem Boden kauern sah, sein graues Fell vom Blut durchnässt. Ich stolperte erschrocken einige Schritte rückwärts, bis ich mit meinem Rücken gegen einen Baumstamm stieß. Heiße Furcht ergriff mich, denn nun trat Fetz langsam auf mich zu, Schritt für Schritt.
,,Wie", knurrte er in meiner Sprache, ,,kannst du es wagen, mein Freund zu töten, obwohl er dir nichts getan?"
Ich überlegte fieberhaft. Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit würde er wohl kaum glauben, oder doch? Ich muss es versuchen, sonst bin ich gleich nur noch ein zerfetzter Haufen bestehend aus Fleisch. Meine Kehle war wie ausgetrocknet, und meine Stimme hörte sich ungewöhnlich kratzig an.
,,Ich war jagen", begann ich vorsichtig und sah erleichtert, dass Fetz mir tatsächlich zuhörte. Was man von einem Wolf solcher Art niemals glauben würde. Bedacht wählte ich meine Worte und versuchte die Tat so zu schildern, dass für mich kein Nachteil entstehen würde.
,,Ich entdeckte einen Vogel, eine Elster. Zur Jagd benutze ich immer meinen Bogen. Also machte ich mich bereit und ... schoss ab, als er", ich deutete nervös mit dem Kopf auf das verletzte Tier, an dessen Seite sich die braune Wölfin um ihn kümmerte, ,,aus dem Gebüsch sprang. Er hatte den Pfeil abbekommen, obwohl wir beide es nur auf die gleiche Beute abgesehen hatten. Und dann kamt ihr beide."
Es entstand eine kurze Pause.
Als Fetz mir schließlich antwortete, hielt ich vor Anspannung die Luft an.
,,Du gibst also zu, ihn ohne Grund haben zu erschossen." Es klang wie eine Feststellung, und nicht wie eine Frage. Fassungslos starte ich ihn an und anstelle der Angst, brodelte in mir nun ein ganzes Feuer.
,,Hörst du mir eigentlich zu?! Es war ein Unfall an dem keiner Schuld war!"
Er ließ sich weder von meinen Worten, noch von dem barschen Ton beeinflussen. Seine Augen funkelten wild. Seine nächsten Worte ließen mich erstarren.
,,Du mit uns kommst. Mit so etwas kommst du uns nicht davon." Wie, um seine Worte zu bestätigen, kam er näher auf mich zu. Automatisch wich ich zur Seite aus, wobei mir ein eisiger Schauder den Rücken entlang kroch. Der Anführer sprach nun zu der braunen Wölfin, ließ mich dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen. Er knurrte etwas, woraufhin die Angesprochene nickte und den schwer verletzten Lagergefährten am Nackenfell mühevoll hochhob. Mit schweren Schritten verschwand sie in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Meine Gedanken rasten, als ich mich nach einem Fluchtweg umsah, den es in dem ganzen Gestrüpp auch durchaus gab. Wenn ich jetzt laufe, überlegte ich verzweifelt, tötet Fetz mich auf der Stelle. Als hätte er meine umherhuschenden Blicke bemerkt, schüttelte er verächtlich seinen narbigen Kopf. ,,Wag es nicht."
Unsicher ging ich einige Schritte weiter, nicht in der Lage, klar denken zu können.
,,Folge Kratzer." Erst starrte ich den dunkel gefleckten Anführer fassungslos an, bis ich verstand. Kratzer hieß die Wölfin, die den von mir gehunfähig gemachten Wolf schleppte, vermutlich zu dem Lager. Von allem Mut verlassen trottete ich verunsichert hinter ihr her. Den ganzen Weg über lief Fetz hinter mir, bereit mögliche Fluchtversuche zu verhindern. Ich darf ihnen nicht zeigen, dass ich Angst habe. Ansonsten würde ich ihnen ja genau das geben, was sie wollen! Mit neuem Mut lief ich schweigend durch den dichten Wald, entschlossen, meine Furcht nicht zu offenbaren. Ich versuchte mir den Weg zum Lager der Raubtiere zu merken, was mir allerdings nicht ganz gelang. Schon nach Kurzem schien mein Kopf vor Anstrengung zu brummen. Ich stellte fest, dass die Bäume immer weiter voneinander entfernt standen, bis nur noch einige Büsche aus dem erdigen Boden wuchsen. Ohne den Schutz der Bäume über meinem Kopf fühlte ich mich noch unwohler, als ich es bereits tat. Unsere Gruppe überquerte einen kleinen Bach, kaum breiter als eine Fußlänge gluckerte das Wasser in dem ausgewaschenen Graben und verschwand hinter den entfernten Bäumen.
Nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam, betraten wir das Revier des Rudels. Nun wieder in einem durchschaubaren Wald konnte man die Grenze deutlich durch die Krallenspuren an den Baumstämmen erkennen. Die Wölfin Kratzer setzte den verletzten Wolf ab und schnaufte kurz durch. Fetz blieb hinter mir stehen und ich wartete ungeduldig, dass wir weiter gingen, auch wenn ich nicht gerade darauf brannte, bei unserem Ziel zu sein. Als wir uns schließlich dem Lager näherten, bis es zwischen grünem Gestrüpp sichtbar war, wurde ich zunehmends unruhiger und Schweiß bildete sich trotz des kalten Wetters auf meiner Stirn.
Das Knurren von Fetz ließ mich zusammenschrecken und ich bemerkte, dass ich langsamer geworden war. Meine Füße, schwer wie Blei, wollten sich nicht mehr vorwärtsbewegen und ich musste mich anstrengen, um nicht auf der Stelle innezuhalten und wegzulaufen.
Das Lager von Fetz lag gut getarnt zwischen langen, grünbraunen Farnen. Die Halme hatten sich zwischen größeren Büschen verbreitet und verbargen innerhalb eine Lichtung vor fremden Blicken. Diese Lichtung war deutlich größer als die von uns und in der Mitte wuchsen zwei stachelige Brombeersträucher. Ich folgte Kratzer durch die Farnhalme und schluckte nervös. Ein dutzend Wölfe, die meisten mit den Farben grau und braun, lagen auf dem Waldboden und wärmten sich das Fell in den Sonnenstrahlen, die schwach durch die Baumkronen hindurch schienen. Einige aßen Beutestücke und wieder andere redeten leise miteinander. Als ich ihr Lager betrat, zog ich mit meiner menschlichen Größe all ihre bedrohlichen Blicke auf mich, wodurch mir vor Angst beinahe übel wurde. Dennoch versuchte ich ihren wilden Blicken standzuhalten und ihr gefährliches Knurren zu überhören, als mich Fetz zum anderen Ende der Lichtung führte. Als sich ein dunkler Wolf urplötzlich aufrichtete und seine Zahne zeigte, fuhr ich erschrocken zusammen und ging schnell weiter. Der feindliche Anführer ließ sich auf einem Mossflecken nieder und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, das Gleiche zu tun. Angespannt kniete ich mich hin und rückte etwas von Fetz weg, um Abstand zwischen uns zu bringen. Er musste es mit Sicherheit bemerkt haben, doch sagen tat er nichts dazu.
,,Ich werde morgen entscheiden, was wir machen mit dir", knurrte er. Wieder wunderte ich mich, woher dieser Wolf so gut die Sprache der Meinen kannte, doch momentan hatte ich wirklich andere Sorgen. Ich drehte meinen Kopf, als sich uns Pfotenschritte näherten. Die dunkelbraune Wölfin Kratzer und ein junger, silbern gescheckter Wolf stellten sich zu Fetz. Dieser knurrte ihnen etwas zu, woraufhin sich beide Anhänger von ihm an mich wandten. Bei ihren gelenkigen Bewegungen wurden mir die Muskeln unter ihren Pelzen bewusst, die sich bei jeder kleinen Rührung an ihren Körpern abzeichneten.
,,Kratzer und Dunkel", sagte Fetz, ,,werden dich bewachen, solange du bist hier. Also nicht versuch, zu fliehen."
Die Worte hatten einen belustigten Unterton, als würde es ihm gefallen, mir zu drohen und Angst einzujagen. Ich nickte dennoch bei Fetz Erklärung und hoffte, dass er mir glaubte. Ich werde wohl kaum hier warten und mein Schicksal über mich ergehen lassen!, dachte ich mir bitter. Allerdings könnte ich hier etwas spionieren, wenn ich schonmal mitten im Lager des Feindes bin. Nun, da ich eine Aufgabe gefunden hatte, fühlte ich mich gleich ein bisschen besser. Und dennoch kribbelten meine Finger vor Angst und ich konnte kaum ruhig atmen.
Die mir zugeteilten Wölfe brachten mich zu einer großen Lärche, die sich in den Himmel empor streckte. Dunkel stieß mich mit der Schnauze in die Rippen, so dass ich erschrocken zu Boden fiel.
,,Du bleibst hier."
Erstaunt erkannte ich, dass Dunkel meine Sprache kannte, und wenn er sie sprach, musste Kratzer es gewiss auch tun. Ich setzte mich auf und stieß augenblicklich mit dem Kopf gegen einen Brombeerzweig, so dass sich meine Haare darin verfingen. Wütend auf meine Ungeschicklichkeit und überhaupt auf die derzeitige Lage, riss ich die Haare mit einem Ruck los und achtete nicht auf die Schmerzen.
In diesem Moment zweifelte ich stark daran, jemals wieder gesund dieses Lager zu verlassen.
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Endlich! Das 6. Kapitel ist da 🎉🎉

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Wahrscheinlich hab ich das 7. Kapitel nächste Woche fertig, bin mir aber noch nicht sicher. Hab momentan so eine nervende Schreibblockade :/ Ich hoffe die ist schnell wieder weg.

~Sonnenfunke~

Delta ~ Mythos der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt