Nie hatte ich gedacht dass Schmerz so glücklich machen kann. Er gab mir das Gefühl frei zu sein, endlich ein bisschen Kontrolle über mein Leben zu bekommen.
In den letzten Tagen hatte es immer mehr so ausgesehen als ob ich die Kontrolle verlieren werde, doch nun schien ich wieder mit beiden Beinen am Boden zu stehen. Wie konnte Schmerz so viel bewirken? Und warum ausgerechnet Schmerz?Ist es weil er die anderen Schmerzen überdeckt? Weil es einem so viel Kontrolle gibt? Weil man die Wut und die Agressionen an etwas auslassen kann?
Vermutlich traf alles davon zu.
Das Blut rann warm über meinen Arm, der beinahe unerträgliche Schmerz verstärkte das teuflische Grinsen auf meinem Gesicht. Ein weiteres Mal zog ich die Scherbe über meinen Arm. Und nochmal, und nochmal und nochmal...
Unzählige Schnitte zierten meinen Arm, ich befand mich wie in einem Rausch. Mir war leicht schwindelig, ich fühlte mich wie vernebelt vor Schmerz. Dieses brennen auf der Haut, als würde die Scherbe die Hitze eines Feuers haben. Mir wurde immer schwindeliger, vermutlich weil ich doch eine beträchtliche Menge Blut verlor. Sogar mein Ärmel war blutgetränkt als ich endlich die nun rot verschmierte Scherbe von mir warf.
Alles verschwamm vor meinen Augen, ich versuchte mich an der Bank festzuhalten doch der Blutverlust schien mir jede Kraft geraubt zu haben. Ich krachte ungebremst und unsanft auf den Beton, und es war nimand da um mich aufzufangen...Als ich meine Augenlider endlich wieder heben konnte war es bereits Abend. Bis vor kurzem musste es wohl geregnet haben, denn ich lag in einigen dreckigen Pfützen aus feuchtem Schlamm und Regenwasser. Der Betonweg auf dem ich so verloren lag schien verlassen, doch selbst wenn hier Leute entlang laufen würden, keiner würde mir helfen. Wer wollte schon einen Obdachlosen wie mich? Einen hoffnungslos depressiven Emo mit so vielen Wunden auf den Armen? Ich wusste die Antwort bereits. Keiner.
Ich versuchte mich langsam aufzusetzen, wobei mir fast wieder schwarz vor den Augen wurde. Als ich versuchte zur Bank zu robben, wo noch immer meine Tasche drauf lag bemerkte ich plötzlich die vielen Wunden auf meinem linken Arm. Feine rote verschorfte Linien überzogen den ganzen Unterarm, einige etwas tiefer, andere nur oberflächlich.
Hatte ich mir die alle selber zugefügt?Was war ich nur für ein Monster? Mein Arm sag so zerfickt aus als ob da jemand sein neues Küchenmesser ausprobiert hätte. War ich tatsächlich zu solchen Taten fähig? Angst überkam mich wie ein Schwall siedend heisses Wasser. Vor wem? Vor mir selbst. Nie hätte ich gedacht dass ich so etwas tun würde.
Anscheinend war ich doch ein Emo - und das durch und durch. Ich fühlte mich schrecklich.
Eine gefühlte Ewigkeit sass ich einfach nur da. Mein Kopf fühlte sich leer an, als ob ein Wirbelsturm hindurchgefegt wäre.
Ich versuchte, den Schwindel und die Leere mit einem Kopfschütteln loszuwerden. Doch egal wie lange ich es versuchte, dieses unangenehme Gefühl wollte einfach nicht verschwinden...
Wie ging es jetzt weiter?
Morgen geh ich mit Joni zur Ost... dann wird alles wieder gut... ich mach einen Neuanfang...
Ich raffte mich hoch, setzte mich gerade auf die Bank und drückte meine Tasche an mich. Als ich einen Blick gen Himmel wagte sah ich, dass er bereits den typisch blassrosa Ton angenommen hatte, der den baldigen Nachteinbruch verkündete. Es sah wunderschön aus, wie die Farben am Himmel spielten, das rot, das orange und das blau. Ein Sonnenuntergang wie im Bilderbuch...
War das ein Zeichen bezüglich morgen? Würde die Ost den erhofften Neuanfang bringen? Hoffentlich... ich hoffte es so sehr...
Mit diesen Gedanken schlief ich ein...Ich erwachte durch die Strahlen der aufegehenden Sonne. Ich musste wohl gestern beim Nachdenken eingeschlafen sein.
Heute gehts zur Ost... schon allein der Gedanke an den Neuanfang zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht...
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, streckte meinen Rücken durch und seufzte befreit, als es knackte. Anschliessend packte ich meine Sachen, beziehungsweise schnappte mir meine Tasche. Euphorisch sprang ich auf, und eilte mit beflügelten Schritten Richtung Ubahn...
"Nächster Halt: Hauptbahnhof. Umsteigemöglichkeit zur U1, zu den Straßenbahnlinien 5, 8 und 9 sowie zur Regional, -Fern und S-Bahn", sagte die Stimme der Ubahn.
Ich erhob mich von meinem Sitzplatz und begab mich zur Tür.Inzwischen hatte ich mich einigermassen dran gewöhnt, dass man mich meist zwei Mal ansah, doch heute war es noch schlimmer als sonst. Es kam mir vor als würden mich alle anstarren... Sie sahen mir hinterher als ob ich ein gesuchter Serienmörder oder sowas in der Art wär. Wohin ich auch blickte, ihre Augen verfolgten mich. Wie schnell ich mich auch durch die Menge drängte, ich wurde dieses Gefühl einfach nicht los. Warum konnten sie nicht einfach jemand anderen anschauen? Was war an mir so falsch? Warum schauten sie nicht den alten Mann mit den grauen Lumpen an, die seinen Körper bedeckten? Oder die schwangere Frau mit den Zwillingen im Arm? Den bierbäuchigen Alten? Die Bitch aus meiner alten Schule? All die ach so tollen Mädchen?
Es war doch nichts anders heute? Ich sah an mir herab. Meine schwarzen destroyed Jeans, mein Asking Alexandria Bandshirt, mein rechter Arm, mein zerfickter linker...War es das? Waren es die blutigen Wunden? Machte dies mich zu einem abstossenden Sonderling?
Einer starrte von links, eine Gruppe von rechts, die mir entgegen kommenden auch... verfolgten sie mich? Ich kam mir vor als wär ich paranoid. Ich versuchte davon zu laufen, den Blicken zu entkommen. Doch es war zwecklos. Sie verfolgten jeden Schritt, jede Bewegung.
Fast rennend gelang ich schliesslich in die grosse Bahnhofshalle. Wie von einer auf die andere Sekunde schienen alle Blicke auf mich gerichtet... Sofort blieb ich stehen. War ich denn ganz allein? Es schien fast als wollten ihre Blicke mich töten, mich aus der Welt schaffen, damit sie wieder gewöhnlich und normal ist. Sollte ich doch sterben um ihrer Normalitäts Willen.
Ich sank zu Boden, jede Kraft hatte mich verlassen. Den Kopf in die Hände gestützt liess ich mich gehen, alle Trauer und Wut weinte ich aus mir hinaus. Sollen sie doch starren. Sollen sie doch normal sein. Soll ich doch sterben.Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Warum immer ich? Nur weil ich anders war? Warum hatte jeder ein Problem damit? Konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Ich warf meinen Kopf in den Nacken, schrie die ganze Wut auf diese Menschen aus mir heraus.
Ich schrie immer weiter, immer lauter, selbst als meine Stimme langsam heiser wurde.
Sie machten alle einen grossen Bogen um mich, als wäre ich gefährlich, würde ihnen etwas tun. Vermutlich würde ich sie wirklich zerfetzen, würden sie mir zu nahe kommen.Blind vor Wut begann ich um mich zu schlagen, vollkommen egal wen es treffen sollte.
Meine Schreie wurden immer leiser, meine Schläge schwächer, ich war kraftlos.So sank ich in mich zusammen, wie ein kleines Häufchen Elend sass ich zusammengekauert auf dem Boden des Nürnberger Hauptbahnhofs.
Everybody wants to go to heaven but nobody wants to die
(Danke xJack_Blackx)

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Leben auf der Strasse?
Teen FictionWarum? -Das ist die Frage die Sevi sich Tag täglich stellt. Sein Stiefvater schlägt, seine Mutter ignoriert und seine Schwester hasst ihn. Wegen seinem ehemals besten Freund schmeisst man ihn auf die Strasse, er muss auf Parkbänken schlafen, alles w...